Wie sagten Sie, junger Mann? Enthüllungswas? Enthüllungsjournalismus? Sie sind sich sicher, dass Sie das so irgendwo gelesen haben? Ich frage, weil mich das nur wundert. Ich habe diese Komposition zweier Substantive von so gegensätzlicher Wesensart, noch nirgends gelesen.
Ein historischer Begriff, meinen Sie? Nun, ich bin Linguist, kein Historiker, aber ich bin mir sicher, dass Sie da etwas missverstanden haben, junger Mann! Warten Sie bitte mal, ich rufe mal schnell zu meinem Kollegen rüber, der ist Medienhistoriker, der soll mir die Sache mal erläutern.
Bleiben Sie bitte sitzen, ich bin gleich zurück.
Nun, junger Mann, Sie lagen da tatsächlich richtig. "Enthüllungsjournalismus" ist ein Begriff des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, der sich bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hielt. Mein Kollege behauptet nun, dass dieses Wort für etliche Furore bei der gegenwärtigen Fachwelt gesorgt habe. Vor wenig mehr als einer Dekade, zwischen den Jahren 2060 und 2070, habe der so genannte Enthüllungsstreit unter den Experten getobt. Die einen behaupteten, es sei ein Kunstwort aus späteren Tagen, weil sich zweierlei Nomen, die so gegensätzlich sind wie jene, gar nie hätten zu einer Komposition verschmelzen lassen - und weil es überhaupt so eine schiefe Form des Journalismus nie gegeben haben kann! Andere schwörten darauf, dass es etwas wie Enthüllungsjournalismus tatsächlich gegeben habe. Mein Kollege tendiert natürlich zur ersten Variante, er ist immerhin Realist und Kenner der Mediengeschichte. Letztlich, so sagte er, habe sich diese Variante im Enthüllungsstreit auch durchgesetzt.
Die Jünger der Enthüllungsjournalismus-These seien demnach so naiv zu glauben, es hätte etwas wie eine enthüllende Bewegung der berichtenden Zunft gegeben, die versucht war, auf dem Wege des legalen Journalismus, Dinge ans Tageslicht zu fördern, die dort gar nichts zu suchen hatten. Sie kennen ja sicher diese Geschichten über diese Transparenzterroristen, junger Mann, die haben Sie sicherlich damals im Geschichtsunterricht durchgenommen - Sie wissen schon, diese Bande um diesen australischen Blutsäufer. Aber das waren ja auch keine Journalisten, das waren Terroristen - Geschwüre am journalistischen Handwerk. Jedenfalls behaupten diese linken Spinner, dass es auch handfeste Journalisten gegeben hat, die enthüllt haben. Stellen Sie sich das nur mal vor! Welcher Missbrauch von Journalismus hätte das denn sein müssen! Das steht ja dem, was Journalismus ist, diametral entgegen!
Sehen Sie, es hat da wohl eine Weile etwas wie Pressefreiheit gegeben. Mein Kollege hat mir knapp erläutert, dass das wohl so eine Art Bekenntnis dieser Zunft gewesen ist, das aber wenig reale Auswirkungen hatte. Zu Anfang unseres Jahrhunderts ist man immer mehr davon abgekommen, man wollte keinen falschen und irrelevanten Bekenntnissen nachjagen, pragmatischer sein. Außerdem wollte man sich vor denen, die im Namen der Transparenz empfindliche Daten an die Öffentlichkeit brachten, distanzieren. Der Journalist war ja nicht auf Transparenz aus - und daher durfte die Presse auch nicht zu frei sein. War sie ohnehin nie! Aber dieses sowieso tote Postulat der Pressefreiheit konnte natürlich fehlgedeutet werden und so hob man es auf - nicht der Staat tat das, die Medienanstalten selbst waren verantwortungsvoll genug, diesen Schritt zu gehen. Man wusste ja, was man der Gesellschaft schuldig war. Der Journalismus erkannte, dass zu viel Offenheit der Gesellschaft Schaden zufügen könne - und er war ja nie offen, aber jene, die im Namen etwaiger Freiheitsrechte Transparenz feilboten, die warfen natürlich einen Schatten auf den Journalismus.
Kurzum, man tat das, was man eigentlich schon immer tat, nur diesmal bewusster: man bildete die Realität so ab, dass die braven Bürger einen wohligen Schlaf haben konnten und die schlechten Exemplare Schlaflosigkeiten zu behandeln hatten. Journalismus eben! Die Nachzeichnung dessen was ist, bereichert um den Zierat derjenigen, die herrschen! Journalist zu sein bedeutet verantwortungsvoll zu sein, bedeutet durch die Augen der herrschenden zu blinzeln - mit Enthüllung hatte dieses Geschäft nie etwas zu tun. Wer das heute behauptet, der sitzt einem phänomenalen Irrtum, einer Geschichtslüge auf.
Denken Sie doch mal logisch, junger Mann! Und überhaupt: was gäbe es denn zu enthüllen? Die Herrschenden sagten uns, sagen uns und werden uns immer sagen, was Sache ist - es gab und gibt kein Potenzial für Schauermärchen über Enthüllungen. Und noch was sollten Sie sich gesagt sein lassen, bevor Sie erneut danach fragen: Ja, Journalisten waren immer schon staatliche Beamte - es war nie anders; mein Kollege, dieser erwiesene Fachmann, hat mir das als Information an die Hand gegeben. Es war nie anders, hören Sie...
Ein historischer Begriff, meinen Sie? Nun, ich bin Linguist, kein Historiker, aber ich bin mir sicher, dass Sie da etwas missverstanden haben, junger Mann! Warten Sie bitte mal, ich rufe mal schnell zu meinem Kollegen rüber, der ist Medienhistoriker, der soll mir die Sache mal erläutern.
Bleiben Sie bitte sitzen, ich bin gleich zurück.
Nun, junger Mann, Sie lagen da tatsächlich richtig. "Enthüllungsjournalismus" ist ein Begriff des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, der sich bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hielt. Mein Kollege behauptet nun, dass dieses Wort für etliche Furore bei der gegenwärtigen Fachwelt gesorgt habe. Vor wenig mehr als einer Dekade, zwischen den Jahren 2060 und 2070, habe der so genannte Enthüllungsstreit unter den Experten getobt. Die einen behaupteten, es sei ein Kunstwort aus späteren Tagen, weil sich zweierlei Nomen, die so gegensätzlich sind wie jene, gar nie hätten zu einer Komposition verschmelzen lassen - und weil es überhaupt so eine schiefe Form des Journalismus nie gegeben haben kann! Andere schwörten darauf, dass es etwas wie Enthüllungsjournalismus tatsächlich gegeben habe. Mein Kollege tendiert natürlich zur ersten Variante, er ist immerhin Realist und Kenner der Mediengeschichte. Letztlich, so sagte er, habe sich diese Variante im Enthüllungsstreit auch durchgesetzt.
Die Jünger der Enthüllungsjournalismus-These seien demnach so naiv zu glauben, es hätte etwas wie eine enthüllende Bewegung der berichtenden Zunft gegeben, die versucht war, auf dem Wege des legalen Journalismus, Dinge ans Tageslicht zu fördern, die dort gar nichts zu suchen hatten. Sie kennen ja sicher diese Geschichten über diese Transparenzterroristen, junger Mann, die haben Sie sicherlich damals im Geschichtsunterricht durchgenommen - Sie wissen schon, diese Bande um diesen australischen Blutsäufer. Aber das waren ja auch keine Journalisten, das waren Terroristen - Geschwüre am journalistischen Handwerk. Jedenfalls behaupten diese linken Spinner, dass es auch handfeste Journalisten gegeben hat, die enthüllt haben. Stellen Sie sich das nur mal vor! Welcher Missbrauch von Journalismus hätte das denn sein müssen! Das steht ja dem, was Journalismus ist, diametral entgegen!
Sehen Sie, es hat da wohl eine Weile etwas wie Pressefreiheit gegeben. Mein Kollege hat mir knapp erläutert, dass das wohl so eine Art Bekenntnis dieser Zunft gewesen ist, das aber wenig reale Auswirkungen hatte. Zu Anfang unseres Jahrhunderts ist man immer mehr davon abgekommen, man wollte keinen falschen und irrelevanten Bekenntnissen nachjagen, pragmatischer sein. Außerdem wollte man sich vor denen, die im Namen der Transparenz empfindliche Daten an die Öffentlichkeit brachten, distanzieren. Der Journalist war ja nicht auf Transparenz aus - und daher durfte die Presse auch nicht zu frei sein. War sie ohnehin nie! Aber dieses sowieso tote Postulat der Pressefreiheit konnte natürlich fehlgedeutet werden und so hob man es auf - nicht der Staat tat das, die Medienanstalten selbst waren verantwortungsvoll genug, diesen Schritt zu gehen. Man wusste ja, was man der Gesellschaft schuldig war. Der Journalismus erkannte, dass zu viel Offenheit der Gesellschaft Schaden zufügen könne - und er war ja nie offen, aber jene, die im Namen etwaiger Freiheitsrechte Transparenz feilboten, die warfen natürlich einen Schatten auf den Journalismus.
Kurzum, man tat das, was man eigentlich schon immer tat, nur diesmal bewusster: man bildete die Realität so ab, dass die braven Bürger einen wohligen Schlaf haben konnten und die schlechten Exemplare Schlaflosigkeiten zu behandeln hatten. Journalismus eben! Die Nachzeichnung dessen was ist, bereichert um den Zierat derjenigen, die herrschen! Journalist zu sein bedeutet verantwortungsvoll zu sein, bedeutet durch die Augen der herrschenden zu blinzeln - mit Enthüllung hatte dieses Geschäft nie etwas zu tun. Wer das heute behauptet, der sitzt einem phänomenalen Irrtum, einer Geschichtslüge auf.
Denken Sie doch mal logisch, junger Mann! Und überhaupt: was gäbe es denn zu enthüllen? Die Herrschenden sagten uns, sagen uns und werden uns immer sagen, was Sache ist - es gab und gibt kein Potenzial für Schauermärchen über Enthüllungen. Und noch was sollten Sie sich gesagt sein lassen, bevor Sie erneut danach fragen: Ja, Journalisten waren immer schon staatliche Beamte - es war nie anders; mein Kollege, dieser erwiesene Fachmann, hat mir das als Information an die Hand gegeben. Es war nie anders, hören Sie...