Die Arbeitslosigkeit in Europa steigt und steigt – laut Eurostat sind inzwischen fast 20 Millionen Menschen offiziell arbeitslos, die Arbeitslosenquote liegt EU-weit bei 12,2 Prozent. Jeder, der es wissen will, weiß, dass diese Zahlen keineswegs die Realität abbilden, denn sie enthalten weder diejenigen, die die ohnehin meist vergebliche Suche nach bezahlter Arbeit längst aufgegeben haben, noch diejenigen, die mit einem Teilzeitjob ein paar Euro dazu verdienen, anstatt sich von einer Vollzeitstelle halbwegs anständig ernähren zu können. Und dann gibts natürlich noch die Statistik-Tricks mit Arbeitslosen, die krank sind, an Schulungsmaßnahmen oder gemeinnützigen Aktionen teilnehmen, oder was sich die Regierungen sonst noch einfallen lassen, damit alles nicht so schlimm aussieht.
Für die Betroffenen ist und bleibt es aber schlimm, vor allem, weil es immer mehr werden und sich die jeweiligen Staaten nicht mehr leisten können wollen, so viele Unproduktive auf Dauer noch durchzufüttern. Da muss man nur mal nach Griechenland oder Spanien schauen: Dort sind bereits Millionen Menschen ins Elend gestürzt, und als ob das noch nicht schlimm genug wäre, sind weitere Einsparungen und Massenentlassungen geplant.
Aber natürlich hat das auch einen positiven Aspekt: Wer noch einen Arbeitsplatz hat, klotzt härter ran, aus Angst, ihn zu verlieren. Für den Arbeitgeber ist das natürlich prima, denn der bekommt mehr Leistung für den gleichen Lohn. Für die Beschäftigten heißt es aber keineswegs, dass der Arbeitsplatz damit sicher würde.
Aus diesem Anlass ein Text von 1983, der heute aber noch genau so richtig und wichtig ist:
7 LEHREN AUS ENTLASSUNGEN
Wenn Arbeiter entlassen werden, wenn gar ganze Betriebe geschlossen und Tausende mit Sozialplänen in die Arbeitslosenstatistik oder ins vorgezogene Rentnerdasein befördert werden, dann ist für die Betroffenen und für die fleißig anteilnehmende Öffentlichkeit – Gewerkschaft, Politiker, Unternehmer eingeschlossen – eines immer gleich klar: Da ist nichts zu machen; das ist hart, aber muß sein.
Wir meinen: nein, wenn die vom Kapital Beschäftigten aus Entlassungen die richtigen Lehren ziehen.
LEHRE NR. 1:
Was heißt schon “sicher” bei einem Arbeitsplatz!
Es stimmt: Wegen nicht mehr lohnender Geschäfte werden Betriebe zugemacht. Was nicht stimmt: daß deswegen lohnende Geschäfte woanders Arbeitsplätze sichern würden. Einmal ganz abgesehen davon, daß ein Arbeitsplatz für denjenigen, der ihn gerade ausfüllt, nie eine Garantie darstellt, daß e r ihn auch behält: Er ist durch andere Arbeiter jederzeit ersetzbar. Einmal ganz abgesehen davon, daß Geschäfte gerade mit Rationalisierungen lohnender gemacht werden – mit Maßnahmen also, die immer die Streichung von Arbeitsplätzen und deswegen mitten im schönsten Boom eines Betriebes auch Entlassungen einschließen. Nicht einmal das ist wahr, was den Arbeitern immer erzählt wird: daß dadurch die verbleibenden Arbeitsplätze sicherer würden! Erstens ist es sowieso schon eine Gemeinheit, denn bekanntlich wird die Familie des Gefeuerten nicht dadurch satt, daß andere Arbeiter nicht gefeuert worden sind. Und zweitens gehen die Kapitalisten in den Sprüchen, mit denen sie die Schließung eines Betriebs oder den Aufschwung eines anderen kommentieren, ihre Lüge selbst preis. Im ersteren Falle heillt es: Die Investitionen von gestern sind die Überkapazitäten von heute. Arbeitern wird der Lohn gestrichen, weil die einstmals rentablen Investitionen sich heute nicht mehr lohnen. Bei den Betrieben, bei denen “der Schornstein raucht”, heißt es: Die Investitionen von heute sind die Gewinne von morgen, und die Gewinne von morgen sichern die Arbeitsplätze. Ein und dieselben Investitionen sollen also einmal der Grund für gesicherte Arbeitsplätze und das andere Mal der Grund für die Massenentlassung sein. Was denn nun? Die Wahrheit sagen die Herren nie. Die heißt nämlich: Ob eine Investition von heute die Konkursmasse oder die Gewinnmaschinerie von morgen ist, das hängt eben ganz davon ab, wie die Mitkonkurrenten sich ihrerseits mit denselben Maßnahmen durchsetzen. Welchen Betrieb e s trifft, steht heute eben nich nicht fest. Daß jedoch alle zusammen kräftig die nächsten Überkapazitäten ins Werk setzen, das steht jetzt bereits fest. Und darauf sollen Arbeiter bauen?
LEHRE NR. 2:
Arbeitsplätze sind das Erpressungsmittel der Betriebe – und der Wunsch nach einem “sicheren Arbeitsplatz” ist die UnterWerfung unter diese Erpressung.
Mit der Aussicht auf “sichere Arbeitsplätze” wird heute in allen Betrieben alles und jedes “begründet”. Seien es Überstunden bei Engpässen oder Sonderschichten bei Umrüstungen, seien es Umsetzungen mit oder ohne Abgruppierungen, seien es Streichungen von Pausen oder Kürzungen von Sozialleistungen…, immer geschieht alles, was Betriebe Arbeitern so zumuten, wegen der “Sicherung der Arbeitsplätze”; eine Lüge und eine Unverschämtheit obendrein: Was wird denn eigentlich versprochen? Wie sieht diese Sorte “Vorteils-Nachteils-Rechnung” denn in Wahrheit aus? Die Aussicht, die der Betrieb den Leuten eröffnet, heißt im Klartext: Wenn ihr jetzt die nächsten Angriffe auf euren Lohn und euer Leistungsvermögen schluckt, dann vermeidet ihr eventuell eure Entlassung. Schöne Rechnung: Eine Schädigung soll man akzeptieren, weil als Gegenleistung ein noch größerer Schaden eventuell vermieden werden kann. Und w o sind die Vorteile? Nichts ist mit Vorteilen! Den Arbeitern werden immer nur solche Rechnungen aufgemacht: Falls ihr nicht verzichtet, dann kommt es noch dicker!
Die Arbeiter von der AG Weser z.B. oder die von Arbed und andere haben verzichtet. Bei jeder neuen Entlassungswelle haben sie sich den Maßnahmen des Vorstands und Betriebsrats unterworfen – und gehofft, damit würden die anderen Arbeitsplätze wenigstens gerettet. Solange, bis wieder welche gerettet werden müssen oder keine Arbeitsplätze mehr zu retten sind!
LEHRE NR. 3:
Je mehr Vorleistungen der Betrieb den Leuten für die “Sicherung von Arbeitsplätzen” abpreßt, desto maßloser wird der Betrieb, und desto weniger lohnt sich die Arbeit für die Leute.
Für einen Betrieb ist eine gelungene und mit Billigung des Betriebsrats erfolgreich durchgesetzte Rationalisierung mit Sozialplan, Umsetzungen und Abgruppierungen nur ein Signal dafür, daß er freie Hand hat im Umgang mit den Arbeitskräften. Wenn ihm so mitgeteilt wird, daß Arbeiter an ihrer Arbeit kein anderes Interesse geltend machen als das, ihren Arbeitsplatz auf Biegen und Brechen behalten zu wollen, dann wird das kräftig ausgenützt. Der Betrieb sagt doch nicht: “So; jetzt habe ich an meine Bilanz gedacht. Das nächste Mal sind die Arbeiter dran, die können eine Lohnerhöhung und Leistungsminderung ganz gut vertragen!”
Noch jede Massenentlassung wird ergänzt durch ein betriebliches Lohnsenkungsprogramm: Da werden Akkorde gekürzt und Zeiten neu berechnet: da wird gestrichen, was zu streichen geht. Es geht ja! Wegen der “Arbeitsplätze”. Die nächste Lehre lautet also:
LEHRE NR. 4:
Man soll sich nicht um “sichere Arbeitsplätze”, sondern darum kümmern, daß sich die Arbeit für einen selbst lohnt.
Das ist überhaupt die wichtigste Lehre. Das ganze Anliegen, seinen Arbeitsplatz “sichern” zu wollen, ist falsch! Das führt nur zu einem: daß man eine Arbeit behält oder auch nicht – je nachdem -, die nach allen Regeln der kapitalistischen Kunst vom Betrieb benutzt wird. Das Resultat davon ist auch in florierenden Betrieben zu besichtigen. Wo kommen denn die Arbeiter nach der Arbeit frisch und munter und mit einem ordentlichen Batzen Geld nach Hause? Wo kann denn ein Arbeiter von sich ernsthaft behaupten, seine Arbeit habe sich für ihn aus gezahlt?
Wer sich auf den Erpressungszirkus einläßt, der kommt darin um. Für den Erhalt von Arbeitsplätzen auf all das zu verzichten, weswegen man überhaupt zur Arbeit geht, das ist eine schädliche Dummheit! Was hat man denn, wenn man den Arbeitsplatz “erhalten” hat: die Aussicht, wegen der “Erhaltung des Arbeitsplatzes” noch mehr für noch weniger Geld rangenommen zu werden!
Arbeiter und Angestellte können heute beim Blick auf ihren Lohnstreifen feststellen, daß der Lohn von heute das Arbeitslosengeld von gestern ist. Daraus folgt, daß das Arbeitslosengeld von heute der Lohn von morgen ist. Und deswegen gehen die Leute zur Arbeit? Das kann ja wohl nicht sein.
Also
LEHRE NR. 5:
Nur solange der Betrieb scharf auf ihre Arbeit ist, haben Arbeiter ein Mittel in der Hand, um die Arbeit für sich lohnender zu machen.
Das muß man nicht lange beweisen. In Bremen hat die Werftbelegschaft z.B. die Werft besetzt, als es dort nichts mehr zu besetzen gab. Da bringen ja Hausbesetzungen noch mehr, nämlich zeitweilig ein Dach überm Kopf. Aber eine Werft besetzen, in der ohnehin nicht mehr gearbeitet wird, und dann auch noch peinlichst darauf zu achten, daß ja der letzte Reparaturauftrag auftragsgemäß erledigt wird, das taugt nichts, jedenfalls nicht für die Durchsetzung irgendeines Interesses. Dafür waren die Werftler zu spät dran. Es sei denn, sie hatten das gar nicht vor. Wenn sie ohnehin nur die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfahrtn ist, demonstrativ bejammern wollten, dann war diese “Besetzung” goldrichtig.
Allerdings muß man sich über eines im klaren sein, und das führt zu
LEHRE NR. 6:
Hilfe darf man von niemandem erwarten, wenn man ernstlich daran gehen will, die Arbeit für sich selbst lohnender ru machen. Das ist eine bittere Lehre. Von den Unternehmern etwas zu erwarten wäre ohnehin dasselbe, wie das Finanzamt mit einem Dukatenesel zu verwechseln.
Die Parteien und die staatlichen Stellen? Denen sind immer die “Hände gebunden”, wenn es darum geht, Leuten ein Einkommen zu erhalten. Beim Abkassieren sind die Hände alles audere als “gebunden”. Geld gibt es dafür, daß die Betriebe ordentliche Geschäfte machen. Aber das hat ja mit lohnender Arbeit für die Arbeiter nichts zu tun – siehe: Lehre Nr. 1.
Die Öffentlichkeit ist immer voll “solidarisch”, wenn es darum geht, die Opferbereitschaft von Leuten zu feiern. Wehe, die wagen es mal, nicht mehr nur Opfer sein zu wollen. Dann ist es aus mit der “Solidarität”.
Wer bleibt? Da war doch noch was? Richtig, die Gewerkschaft! Der ehemalige IG-Metall-Chef Loderer sagte auf dem Gewerkschaftstag zu den Besetzungen: “Das ist nicht mein Stil!” So kann man auch ausdrücken, daß man als Gewerkschaft jede Gegnerschaft zum Kapital – und sei es auch inur eine solche Werftbesetzung – unterbinden will! Streikgeld gibt es dafür nicht. Andere Hilfe auch nicht. Wenn es nicht die ganze Belegschaft, sondern nur Teile gewesen wären, hätte die IG Metall die “Rädelsführer” wahrscheinlich aus der Gewerkschaft geschmissen!
Die Gewerkschaft will eben was ganz anderes, als die Arbeiter vor weiterem Schaden zu bewahrern. Die will Beschäftigungspolitik machen! Dafür hat sie seit 3 Jahren Lohnkürzungen tariflich durchgesetzt und kündigt – als “Preis” (Hans Mayr, neuer IG-Metall-Chef) für die Arbeitszeitverkürzung – für die nächsten Jahre die Fortsetzung dieser Lohnverzichtspolitik an. Alles nach dem Motto: “Jahrelang haben wir klargestellt: Lohnverzicht schafft keine Arbeitsplätze. Jetzt werden wir zeigen, daß beides auch mit Arbeitszeitverkürzung zu haben ist!” Eine harte Wahrheit. Aber eben eine Wahrheit. Die Gewerkschaft hilft keinem Arbeiter, keiner Belegschaft, die auf die Idee kommt, mal für sich was rausholen -zu wollen; sie bekämpft solche Anliegen. Grund genug, der Gewerkschaft diese Sorte Interessenvertretung gründlich zu vermasseln. Folglich heißt
LEHRE Nr. 7:
Wenn die Arbeiter den Spieß umdrehen und aus der Arbeit für sich was rausholen wollen, dann müssen sie aufhören,
- den Arbeitsplatz für das höchste Gut des Arbeiters zu halten;
- “Solidaritäts”appelle mit Unterstützung zu verwechseln;
- ihre Gewerkschaft als Einrichtung zu behandeln, “ohne die es noch schlimmer wäre”.
Wie schlimm soll es eigentlich noch werden?
Ein klares Wort der Unternehmerschaft
“In einer Entschließung unterstreicht der Bund katholischer Unternehmer, daß er von der Sozialverpflichtung des Eigentums und des Wirtschaftens nicht abrücken wolle. Aber es hätten sich unter der Überschrift ‚Sozialpolitik’ Entwicklungen vollzogen, die als zutiefst unsozial angesehen werden müßten. So sei es unsozial, die Arbeitslosigkeit durch pauschale Regelungen der Arbeitszeit auf ältere Mitmenschen abzuschieben, durch den überzogenen Kündigungsschutz nur die Besitzer von Arbeit zu schützen, durch übertriebene Sozialpläne Unternehmen in den Konkurs zu treiben und Arbeitsplätze zu vernichten, die gerettet werden könnten, durch zu hohe Arbeitskosten die Schattenwirtschaft zu fördern…” (Süddeutsche Zeitung)
Die “Sozialverpflichtung des Eigentums” kann also nur dann gewahrt bleiben,
- wenn die Arbeitslosigkeit auf ältere und jüngere Mitmenschen “abgeschoben” wird;
- wenn die Unternehmer bei ihren speziellen Regelungen zur Arbeitszeit und Produktion von Arbeitslosen in keiner Weise beschränkt werden;
- wenn der Kündigungsschutz weniger die “Arbeitsplatzbesitzer”, dafür um so mehr die Gekündigten “schützt”;
- wenn Konkurse unbehindert von Sozialplänen gemacht werden könmen, denn nur das “erhält Arbeitsplätze”;
- wenn durch niedrigste Arbeitskosten die Schattenwirtschaft in den Schatten gestellt wird.
Merke: Die sozialste Einrichtung ist der Profit.