Erstschriften, Zweitschriften und der Fehlerteufel…

Der erfahrene Ahnenforscher wird bereits mitbekommen haben, dass bei Ancestry.de seit vergangener Woche eine neue Sammlung mit Kirchenbücher online für die Forschung zur Verfügung steht. Hierbei handelt es sich um die Zweitschriften der Brandenburgischen Kirchenbücher, die neben Brandenburg auch Teile von Pommern, Posen und Schlesien im Zeitraum von ca. 1700-1874 abdecken. Hierbei handelt es sich um den Kirchenbuchbestand des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in Potsdam.

Da es im Evangelischen Landeskirchlichen Archiv in Berlin ebenfalls Kirchenbücher u. a. auch aus Brandenburg gibt, bin ich dann ja mal neugierig geworden und wollte herausfinden, was denn da so die Unterschiede sind. Kurz im Internet etwas recherchiert bin ich auf der Seite des Archivs in Berlin auf einiges historische Erklärungen gestoßen. Danach wusste ich dann, ab wann es warum welche Kirchenbücher gibt, die wichtigste Passage hierzu:

„Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 fasste dann erstmals die erlassenen Bestimmungen über die Kirchenbuchführung zusammen und gab genau vor, was bei den Eintragungen alles zu berücksichtigen ist. In § 481 heißt es ausdrücklich:
„Die Pfarrer sind schuldig, richtige Kirchenbücher zu halten, und darin alle von ihnen besorgte, ingleichen alle die Eingepfarrten betreffende und ihnen angezeigte Aufgebote, Trauungen, Geburten, Taufen und Begräbnisse, deutlich und leserlich einzuschreiben.”“

Den gesamten Text finden Sie hier.

Nun war mir allerdings noch immer nicht der Unterschied zwischen dem Bestand in Berlin und dem in Potsdam klar. Warum gibt es in Berlin zum Beispiel Kirchenbücher von Frankfurt/Oder, nicht aber in Potsdam. Oder aber warum gibt es in Potsdam für Neuruppin sowohl evangelische als auch reformierte Kirchenbücher?

Da habe ich doch kurz einmal mit dem freundlichen Herrn Buchholz vom Landeskirchlichen Archiv in Berlin telefoniert und habe folgende Erklärung erhalten:

Im Kirchenarchiv in Berlin liegen die so genannten Erstschriften oder Originalkirchenbücher, und im Landeshauptarchiv in Potsdam liegen die Zweitschriften oder Duplikate der Kirchenbücher.

Kirchenbücher sind dem Ahnenforscher von Welt natürlich ein Begriff, deshalb gehe ich hier darauf nicht weiter ein. Spannend fand jedoch auch ich, was ich neues über diese Zweitschriften erfuhr. Bisher dachte ich ja immer, dass diese angefertigt wurden, sozusagen als Vorsichtsmaßnahme, falls mal wieder die Scheune neben der Kirche Feuer fängt, der Wind ungünstig steht und die Kirche mit allen Kirchenbüchern abbrennt. Oder wenn das Pastorat so dicht am Fluss gebaut wurde, dass das eine oder andere Hochwasser alle Unterlagen im Haus inklusive der Kirchenbücher weggeschwemmt hat. In Zeiten, als Kopierer, Scanner oder Digitalkamera noch lange nicht erfunden waren, war halt die mühsame Abschrift eines Buches bei Kerzenschein mit Federkiel und Tinte die Art und Weise, wie die Duplikate angefertigt wurden. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie langweilig und anstrengend das gewesen sein muss. Kein Wunder also, dass dem Kirchenbuch(ab)schreiber vielleicht wegen Müdigkeit oder einer Sauklaue des Originalbuchschreibers der eine oder andere Fehler bei der Abschrift unterlaufen sein kann. Wobei mich ja doch immer wieder fasziniert, wenn das Duplikat genauere Angaben hat als das Originalkirchenbuch.

Doch weit gefehlt, wie ich jetzt erfuhr: Diese Duplikate, also Abschriften der Originalkirchenbücher wurden angefertigt als staatliche Quelle und wurde direkt an die Amtsgerichte abgegeben. Sie waren also sozusagen die Vorläufer der erst zwischen Oktober 1874 und Januar 1876 eingeführten Standesamtsurkunden.

Dadurch lässt sich dann auch der Unterschied in der beiden Archivbestände erklären: In Berlin sind es halt die evangelischen Originalkirchenbücher aus Berlin und Brandenburg, die eben keinem Feuer, Wasser, Krieg oder sonstigen Katastrophe zum Opfer gefallen sind. In Potsdam liegen die Duplikate der Kirchenbücher unabhängig von Religionen, soweit sie von den Gerichten and Archiv abgegeben wurden. Auch bei den Gerichten gab es Verluste der Bücher, so wird es auch dort den einen oder anderen Gerichtsschreiber gegeben haben, der sich einiger Bücher entledigte weil er Platz in seinen Regalen brauchte oder eben auch die bereits erwähnten Gründe wie Feuer, Wasser, Krieg, etc.

Die geografische Abdeckung dieser Sammlung der Zweitschriften aus Potsdam, also die Tatsache, dass auch Bereiche aus Pommern, Posen und Schlesien mit inbegriffen seien erklärte mir Herr Buchholz damit, dass Landstriche dieser Regionen zeitweilig zu Brandenburg gehörten. Etwas weiter recherchiert fand ich heraus, dass dies mit der Neugestaltung der Gaugebiete in den Jahren 1939/1940 nach dem Einmarsch in Polen zu tun hatte.

Wieder was Neues dazu gelernt, wieder den geistigen Horizont mit geografischem Wissen erweitert. Und da soll noch mal einer sagen, Ahnenforschung sei langweilig…

Auf den Mailinglisten wurden schon erste Erfolge bei der Recherche in diesem „neuen“ Bestand berichtet.

Ich wünsche allen Lesern auch weiterhin viel Spaß und vielleicht kann mir jemand erklären, wieso die Duplikate manchmal mehr und genauere Angaben haben, als die Originale.

Ihre

Andrea Bentschneider


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