Erstmals im Halbfinale

oder: wie der ohnehin schlechte Sportjournalismus nun auch noch verlernt, Sportstatistiken heranzuziehen.
Was zu Spaniens Halbfinaleinzug zu vernehmen war, klang wie aus einem Kugelschreiber entflossen: Da schrieb FAZ.NET, dass die Spanier "nach dem ersten Erreichen eines WM-Halbfinales" nun auch noch ins Finale vordringen möchten; zuvor hatte Spiegel Online schon erklärt, gewönne Spanien gegen Paraguay, "zöge Spanien erstmals in ein Halbfinale einer Weltmeisterschaft ein". Mühevoll sei die spanische Elf "erstmals in ein WM-Halbfinale" vorgestoßen, konstatierte Focus Online. Und Bild.de wusste seinen Lesern dienliche WM-Sprüche zu servieren, damit man als WM-Neuling (als Ahnungsloser also) mitreden könne: "Für die Spanier ist das Halbfinale was ganz Neues! Zum ersten Mal überhaupt stehen sie bei einer WM im Halbfinale." Taz.de indes lobt Trainer del Bosque, denn "unter seiner Ägide" habe Spanien es "erstmals in ein WM-Halbfinale geschafft". Ein spätes Siegtor brachte "Spanien erstmals in ein WM-Halbfinale", wusste auch ARD.de zu berichten. Da durften die Kollegen aus Mainz nicht nachstehen, sprachen ebenso vom "ersten Halbfinaleinzug bei einer WM" - RTL schloss sich solidarisch an, Geschichte sei geschrieben worden, durch dieses "erste Halbfinale überhaupt".

Soviel Einigkeit, soviel Gleichklang - sowenig journalistisches Geschick! Der erste Halbfinaleinzug Spaniens? Nein! Oder treffender gesagt: Jein! In einem klassischen Halbfinale, nach K.-o.-Schema, standen die Iberer tatsächlich noch nie - aber an einer Runde der letzten vier Mannschaften, und nichts anderes ist ja ein Halbfinale, durfte man schon mal teilnehmen. Das war damals, als Brasilien seine bis dahin weißen Trikots ablegte, weil die Seleção sensationell den Titel im eigenen Land gegen Uruguay verspielte - die beschmutzte Reinheit sollte fortan durch Gelb und Blau ersetzt werden. Das ist lange her, sechzig Jahre schon. Es gab damals kein K.-o.-System, stattdessen trafen die letzten vier Mannschaften in einem Rundenturnier aufeinander, in der Spanien hinter Uruguay, Brasilien und Schweden Vierter wurde. Derart jungfräulich ist der Halbfinaleinzug der Selección also nicht gewesen - man stand schon einmal unter den letzten vier Teams. Dass man diese Finalrunde damals nicht Semifinale hieß, ist bestenfalls eine terminologische Problematik.
Oder doch nicht nur? Denn es hat den Anschein, dass es alleine genügt, die Runde der letzten Vier anders zu taufen und schon bekommt sie ihren Finalcharakter aberkannt. Denn wahr wäre überdies nämlich auch: diese Finalrunde ist mehr als ein Halbfinale gewesen - es war eben, wie der Name schon sagt, eine finale Runde - ein Finale im Gruppenmodus gestrickt. Fragt sich denn kein Journalist, kein Sportreporter, warum denn Spanien in den Fußball-Almanachen als WM-Vierter 1950 geführt werden kann, wenn man denn noch nie das Halbfinale, geschweige denn das Finale erreicht hat? Das müßte doch stutzig machen! Und dass diese Ungereimtheit einem Berichterstatter nicht auffällt, das wäre verzeihlich - aber allen? Schreiben denn alle nur noch voneinander ab? Keine selbstgeschmiedeten Gedanken mehr? Kein Nachblättern in Chroniken und Jahrbüchern? Kein sportstatistisches Basiswissen, dass zumindest grundsätzliche Ergebnisse im Kopf vorrätig hält?
Scheinbar nicht, denn sonst hätte man merken müssen, dass die Spanier sogar schon mal im Finale standen - in einem Finale, das unter den verbliebenen vier Teams ausgespielt wurde. Man hätte ja schreiben können, dass man unter die letzten vier Mannschaften eingezogen ist, so wie 1950 auch, nur dass damals noch kein K.-o.-System angesetzt war und man deshalb nun zum erstenmal an einem Halbfinale aktueller Machart teilnimmt. Vielleicht in etwa so, wie es Zeit Online praktiziert hat, als sie berichtete, dass beide Geschichte schreiben wollten, "Paraguay, das noch nie in das Halbfinale einer Weltmeisterschaft eingezogen war, ebenso wie Spanien, dem diese Ehre zuletzt vor 60 Jahren widerfahren war". In der Zeit-Redaktion steht er wahrscheinlich noch, der gute alte Kicker Fußball-Almanach.
Wobei, auch der Kicker ist nicht mehr das, was er mal war, denn durch das späte Tor David Villas gegen Paraguay, so wusste er seinen Lesern zu berichten, stehe "La Roja" damit erstmals in einem WM-Halbfinale"...

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