Das menschliche Versagen einer Branche

Schämen sollte sie sich, die deutschen Feuilletonisten und Leitartikler, die Kolumnisten und Kommentatoren! Allesamt wissen sie denkbar viel zu den vormaligen Häftlingen aus Guantánamo zu erzählen - gefährlich seien sie, eine Gefahr für unser friedliches Land, selbst neun Jahre Isolierung und Folter vermochten es nicht, aus diesen Männern Exponate friedlicher Beschaffenheit zu formen.
Natürlich pflegen die beiden entlassenen Häftlinge gefährliches Gedankengut! Wie sollte es auch anders sein nach neun Jahren Gefangenschaft? Wer jahrelang in Konzentrationslagerhaltung abgeschoben, wer isoliert und geprügelt, entwürdigt und gefoltert wurde, tut sich schrecklich schwer damit, ein kitschiges Liebesgefühl für die Welt und alle Menschen als solche zu entwickeln. Da kann man vor der großen Zäsur, die ein solches Leben befiel, vor der Inhaftnahme also, noch so ein entzückender Kerl gewesen sein: nach so einer Erfahrung reift Feindseligkeit und Rachsucht, stellt sich unerbitterliche Verbitterung ein - eine halbwegs humanistische, menschenfreundliche Einstellung muß da zwangsläufig verschimmeln.

Friedliche Menschen: das werden sie ungeachtet ihres Hasses unvermeidlich dennoch sein. Physisch friedlich, psychisch im Krieg! Fast ein Jahrzehnt eingekerkert gewesen zu sein, zwischendurch geschlagen und getreten, ob seiner Religion und seines Aussehens verhöhnt worden, permanent Zeuge von Freitoden vieler Mitgefangener, zur Nacktheit und Schlaflosigkeit gezwungen gewesen zu sein: das entfesselt einen seelischen Ausnahme- und Kriegszustand, löst einen seelischen Notstand aus. Wie sollte ein derart gebeutelter Mensch friedlich in sich ruhend sein wollen; wie könnte so jemand seinen Frieden mit denen machen, die ihn ungesühnt wie Unrat behandelten?
Körperlich ausgelutscht, zum Abfall heruntergekommen, wird die Feindseligkeit mental bleiben - körperlich werden sie sich irgendwann mutmaßlich erholen, aber selbst dann werden sie nurmehr ein Schatten von Mensch sein, ein erbärmlicher Fleischklumpen mit Gesicht. Wesen, mit zu Brei geschundenem Gemüt, erschöpftem Innenleben und maroder Seele. In Nächten und Tagträumereien werden sie wieder und wieder von Folterknechten in die unbequeme, auf Dauer schmerzhafte Hocke gezwungen, werden sie die Tritte in den Hodensack schmerzlich wiederempfinden, werden sich die Hose einnässen und beim Rasseln von Metall heulend an jene Ketten denken, die um ihre Extremitäten geschlungen wurden. Sie werden hassen, ohnmächtig hassen, denn ihre Gefühlswelt wird gar keinen körperlichen, plastisch umgeformten Haß erlauben. Das KZ wird nur äußerlich aus ihrem Blickfeld verschwunden sein, innerlich wird es nie vorüberfliegen. Die Peiniger haben ganze Arbeit geleistet, haben Drangsal und Beklommenheit zum unveränderlichen, ewiglichen Parameter ihres - der Ex-Häftlinge - Leben gemacht - neun Jahre Verdammnis hinterlassen Spuren, Furchen, brandige Fleischwunden - keine Chance auf Schorf, man muß lernen mit den entzündlichen Seelenpartien zu leben; man muß lernen, dass man damit nie zufrieden leben werden kann.
Die Meinungsmacher bewässern die kollektive Furcht, schwatzen der deutschen Öffentlichkeit vermeintliche Terrorpäpste auf, lassen den Eindruck erblühen, hier passierten zwei die Landesgrenzen, die uns später einmal erpressen und ermorden könnten. Dass es seelische Krüppel sind, die uns heimsuchen, emotionale Invaliden und nervlich Verstümmelte, auf diesen Gedanken will die schreibende und berichtende Zunft nicht kommen. Opfer dürfen sie nicht sein, Versehrte im Namen der westlichen Welt, darf man sie nicht nennen! Dass es sich um Männer handelt wie jenem Robert L., den Marguerite Duras in ihrem Roman "Der Schmerz" beschreibt; um Männer, die nie wieder so sein werden, wie sie einst waren, die bis in Unendlichkeit schlaflos und innerlich abgewirtschaftet, bis ans Ende ihrer Tage fortwährend entkräftet und schwächlich, psychische Greise sein werden - dass es sich um solche aufgeriebene Charaktere handelt, offenbart mehr als die bloße Verruchtheit der journalistischen und feuilletonistischen Lohnschreiberei
Es steht mehr dahinter, es ist das (mit-)menschliche Versagen einer Zunft, die nicht mehr fähig zu sein scheint, sich in das Leid und die Not, in die dramatische Situation anderer Menschen hineinzuversetzen; einer Zunft, die nicht manns genug ist, nicht mal für einige Minuten, sich in ein psychisches Vernichtungslager hineinzuimagnieren, um die dann ersonnenen Erkenntnisse multipliziert um ein Jahrzehnt zu nehmen - sich hineinfühlen, hineindenken, hineinleben zu können: das war irgendwann mal das Substrat der Schreiberei. Zu glauben, neun Jahre Kerker würden spurlos am Wesen eines Menschen vorbeigehen: nein, das ist nicht nur naiv und einfältig - es ist die Dokumentation menschlicher Unzulänglichkeit, zeugt vom Gebrechen gelebter, geschriebener Misanthropie. Und diesem Fiasko setzen manche gar noch den Dornenreif auf, weil sie die elektronische Fußfessel am Fußgelenk dieser beiden Kreaturen für vertretbar hielten. Aus der Haft in die Haft, aus dem KZ ins KZ! Und dass Menschen, die schlechter wie Vieh gehalten, die im Namen der westlichen Gesellschaft zerrieben wurden, notgedrungen eine gefährliche Denke praktizieren, hassen, ablehnen und aufrichtig verabscheuen, will diesen Meinungsmachern absolut nicht in den Kopf - statt Wiedergutmachung fordern sie in einem Anflug an menschlicher Inkompetenz weitere Bedrängungsmaßnahmen und fachen den Haß weiter an.
Schämen sollte sie sich, die deutschen Feuilletonisten und Leitartikler, die Kolumnisten und Kommentatoren! Nur für was, nur wie? Die Scham ist ein menschliches Attribut - aber alles Menschliche, selbst die gefühlvolle, sich hineinfühlende, primitive Einsicht, dass Jahre der Folter und der Haft unheilbare Wunden hinterlassen, die niemals vernarben können, ist ihnen fremd. Wenn sie sich schon nicht hineinversetzen können in systematisch gefolterte, über Jahre hinweg eingekerkerte Menschen, der Griff ins Bücherregal, dort wo ein unerschöpflicher Bestand an Erfahrungsliteratur eingelagert ist, wo ehemalige KZ-Häftlinge von der Unmöglichkeit berichten, in ein geregeltes, normales Leben zurückzukehren, so ein sich bildender, sich hineinlesender Griff, hätte dringend Not getan - und hätte etwas Menschliches zurückgebracht. Aber so - warum sollten sie sich denn schämen? So unmenschlich wie sie sind, ist ihnen jegliches Gefühl, jegliches Schamgefühl abhanden gekommen. Sie würden sich ja bestimmt ein wenig schämen, wenn noch ein Prise Menschlichkeit in ihnen wäre...

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