Aus: Gehirn&Geist;, Oktober 2012
Was macht den Mensch zum Menschen? Worin unterscheidet er sich vom Tier? Warum war die Spezies Homo sapiens so erfolgreich? Diesen Fragen geht die neue Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Gehirn&Geist;" (Heft 10/2012) in seiner Titelgeschichte nach. Die Antwort erscheint zunächst einfach: Seine herausragende Intelligenz sicherte dem Menschen das Überleben. Doch der Wissenschaftsjournalist Thomas Grüter hält das allenfalls für die halbe Wahrheit. Denn auch andere Menschenarten wie Homo erectus oder der Neandertaler waren nicht dumm – starben aber dennoch aus. Das Erfolgsmodell Homo sapiens dagegen setzte sich erst dann durch, als er das Jäger-und-Sammlertum aufgab und in größeren Gemeinschaften sesshaft wurde.
Grüter hält die steinzeitliche Gruppendynamik für den entscheidenden Faktor. Im Gegensatz zu Menschenaffen identifizieren sich unser Vorfahren mit unterschiedlichen sozialen Verbänden – und das wirkt bis heute nach: So kann jemand gleichzeitig als Deutscher, Schalke-Fan und Universitätsmitglied fühlen – und entsprechend unterschiedliche Rollen ausfüllen. Der Gruppengröße ist dabei keine Grenzen gesetzt. Wir kennen nur einen Bruchteil unserer Landsleute, betrachten uns aber trotzdem als Teil einer Nation. Diese soziale Ader, so Grüter, förderte bereits in der Steinzeit die gegenseitige Unterstützung.
Im Sozialleben sieht auch der Evolutionsbiologe Mark Pagel von der University of Reading den grundlegenden Unterschied zwischen Mensch und Tier. Nur der Mensch sei damnach in der Lage, Ideen mit anderen Gruppenmitgliedern auszutauschen und so weiterzuentwickeln. Als entscheidendes Werkzeug hierfür diene die Sprache – sowie etwas typisch Menschliches: die Kultur.
Doch wer Ideen von seinen Artgenossen übernimmt, kann sie auch leicht stehlen. "Am Anfang war das Plagiat" – so die provokante Schlussfolgerung des britischen Forschers. Die Neigung zum Ideenklau konnte nur durch soziale Kontrolle und Altruismus gebändigt werden: Wer sich gegenüber seinen Gruppenmitgliedern besonders hilfsbereit zeigt, steigt in der Hierarchie auf und sichert so sein Überleben. Dieses Wechselspiel von Hilfsbereitschaft und dem Diebstahl geistigen Eigentums förderte die Evolution unserer Vorfahren – und prägt unser Denken.