Erdbeben… schon wieder

Es war gar nicht so leicht, die Pferdezuchtfarm zu finden! Denn westlich von Christchurch scheint das Pferdegebiet schlechthin zu sein. Alles sieht nach Zucht und Gestüt aus. Die sehr unauffällige Beschriftung des Briefkastens der „Kazmere-Zucht“ fiel uns erst auf, als wir schon drei mal vorbei gefahren waren. Eine lange Auffahrt mit Pferdekoppeln links und rechts führte uns zu einem riesigen Haus und schon wurden wir von Gebell des Boxers Dita (nach Dita von Teese) und unserer Wwoofing-Mutter Maree empfangen. Sie führte uns gleich einmal im Haus herum, das von innen noch geräumiger aussah, als von außen, zeigte uns die Essenskammer und alles, was wir für unsere Verpflegung brauchten. Wir durften alles nehmen, uns überall aufhalten wo wir wollten und uns ganz zu hause fühlen. Und dann führte sie uns in den hinteren Teil des Hauses, wo wir nochmal durch einen riesigen Raum gingen (das zweite Wohnzimmer mit dem zweiten großen Plasmabildschirm) und über eine Treppe in das Dachgeschoss stiegen.

WOW! Ein Riesenzimmer mit Dachbalken und 1,60-Meter breitem Bett! So ein Luxus! Uns wurde schnell anhand der Fernseher und der Lebensmittelkammer klar, dass wir diesmal nicht auf einer typischen Organic-Farm gelandet sind! Das erste Essen am Abend begann auch schon mal richtig gemütlich: Spaghetti Bolognese mit ganz dünnen leckeren Nudeln und viel Knoblauch, beim Essen auf der bequemen Couch vor dem großen Plasmabildschirm sitzen und X-Faktor, die neuseeländische Variante von „Deutschland sucht den Superstar“ schauen. Die nächsten Abende sahen so ähnlich aus, nur mit unterschiedlichen Mahlzeiten (Satay-Hühnchen, Ofenkartoffeln, Cordon Bleau etc.) und anderen Sendungen (New Zealand’s Next Topmodel, Discovery Channel). Wenn der Tag stressig war, dann hat Maree Nudeln oder Pizza vom Take-Away geholt.

Für das große Bett und das Essen mussten wir natürlich auch was tun, allerdings war die Arbeit wirklich oft einfach und höchtens mal etwas langweilig. Viel mit Pferden hatten wir nicht zu tun. Der Kontakt beschränkte sich auf die zweimalige Aktion, drei junge Pferde an einen Balken zu binden und nacheinander zu putzen. Das erste mal ging es gewaltig schief, die Pferde rissen sich immer wieder los und waren dann so aufgedreht, dass ich nur 2 ½ putzen konnte. Die andere Gruppe klappte viel besser, obwohl auch hier ein gewisses Entertainment von Jere nötig war, um die jungen Tiere von ihren Befreiungsgedanken abzubringen. Wenn Jere noch keine Angst vor Pferden hatte, dann hat er sie jetzt. Und ich muss sagen: Ich wurde auch eher angespannt, als ich mit diesen teilweise sehr wilden Tieren zu tun hatte. So ein bisschen Respekt brauch man auch, um keine Körperteile zu verlieren. Denn genau das ist Maree vor eineinhalb Jahren passiert, als sie ein Pferd einreiten wollte: Sie sprang von dessen Rücken, als es zu wild wurde, kam blöd auf und zack war der Fuß ab und hing nur noch an einem Stück Haut. Der Bruch war so kompliziert, dass die ein großes Stück Knochen entfernt haben und sie musste ewig mit einem Gerät rumlaufen, dass den Fuß an der richtigen Stelle hielt. Jetzt ist der Fuß wieder angenäht und außer an der großen Narbe, die einmal um die Wade geht, merkt man ihr nichts von dieser Verletzung an. Maree ist eigentlich von morgens bis abends aktiv und voller Tatendrang. Neben ihrer Pferdezucht, der Pflege des Grundstücks und bekochen der Wwoofer organisiert sie noch eine neue Pferdeschau, die einmal die größte Neuseelands werden soll.

Aufgaben, die wir hier erledigt haben, waren: Die Stangen der Außenställe von Zentimeter dicker Vogelkacke befreien, damit ein Band gespannt werden kann, das die Vögel davon abhält, dort zu sitzen und noch einmal zu eine Sauerei zu veranstalten. Holzbalken abschleifen und bemalen, viel Unkraut entfernen, Stöcke aufsammeln, Laub rechen, Pferdeäpfel einsammeln, Löcher graben, Löcher zuschütten und und und… die größte Schwierigkeit war dabei, dass der junge Boxer Smo ein großes Aufmerksamkeitsbedürfnis hat und sich gerne als Greenpeace-Aktivist auf die Unkrautflächen legt, die man als nächstes zupfen wollte. Boxer sind ja nicht die schönsten Hunde (persönliche Meinung von Jere: Schnauze zu sehr eingedrückt), aber die zwei sind so goldig, dass wir sie ins Herz geschlossen haben. Ein weiteres Familientier ist die Katze Flee, die ich erst am letzten Tag gestreichelt habe, weil sie noch unberechenbarer als andere Katzen ist und schon Menschen zum Nähen ins Krankenhaus geschickt hat. Jere hat sich erbarmt und wurde zum Glück weder gekratzt, noch gebissen.

John, Maree’s Mann, kam nach zwei Tagen von seiner Geschäftsreise in Auckland zurück. Er arbeitet hauptberuflich als Marketingmensch bei einer Baumaschinenfirma und findet nach dem Arbeitstag noch die Motivation, auf der Farm zu arbeiten.

Unsere Arbeitszeiten waren völlig uns überlassen. Es war kein Problem, als Jere einen Vormittag nach Christchurch musste, um seine Impfung nachzuholen. An einem regnerischen, windigen Tag versicherte uns Maree, dass wir auf keinen Fall raus zu gehen bräuchten und am Sonntag war generell eher wenig Arbeit angesagt. Dafür arbeiteten wir an anderen Tagen 6 Stunden und mehr, aber alles aus eigenem Antrieb heraus.

Am ersten Sonntag fand ganz in der Nähe ein Reitwettkampf statt, an dem auch zwei von Maree’s Pferden teilnahmen. Da Maree nicht mehr richtig reiten kann, hat sie Tom, einen ca. 30-jähriger Freund, bei dem ihre Showpferde stehen und trainiert werden. Tom ritt auf dem Wettkampf beide Pferde in den drei Disziplinen Dressur, Sprung und Cross-Country-Springen und machte in den Kategorien vordere Plätze. Maree’s Pferde sind alle selbstgezüchtet und stammen von ihren zwei Zuchthengsten, die sie aus Australien und Holland nach Neuseeland importiert hat und die hier auf der Weide vor dem Haus ein faules Leben führen. So ein von ihr gezüchtetes Pferd kostet um die 15.000 bis 17.000 Dollar, was relativ wenig sei im Vergleich zu Europa, aber hier in Neuseeland gäben die Menschen nicht viel für Pferde aus.

Maree hatte neben der Pferdezucht auch eine Boxerzucht, verlor aber durch ein Unglück eine Boxerin und somit endete ihre Zucht. Sie wollte dann wieder von neuem Beginnen mit Dita, aber nach der Geburt der Welpen stellte sich trotz vorheriger Prüfung heraus, dass Dita einen für Boxer typischen Gendefekt (Herzbeschwerden) mit sich trägt und somit nicht mehr für die Zucht benutzt werden darf, genau wie ihre Welpen. So lernten wir ihr „Baby“ Smo am ersten Abend kennen, als sie von ihrer Sterilisation total müde und passiv zurückkehrte, ein völlig falscher erster Eindruck von diesem wilden liebesbedürftigen Hund.

Schon am ersten Tag fragten wir Maree über das große Erdbeben aus, dessen Ursprung näher an Maree’s Haus lag, als an Christchurch. Hier im Haus merkt man an Kleinigkeiten die Auswirkungen, wie z.B. dass manche Türen nicht mehr schließen, weil sich die Rahmen verzogen haben, oder an einem Riss über der Dusche. In Christchurch sahen wir die Auswirkungen deutlich, vor allem wenn man auf die Dächer der Häuser achtet. Bei vielen decken Planen die kahlen Stellen ab. In Häuserreihen befinden sich zwischendurch Löcher, in denen Tonnen von Schutt und Ziegeln liegen. Viele große Bürogebäude sind eingezäunt und man sieht die vielen gesplitterten Scheiben deutlich.

Und in unserer zweiten Nacht bei Maree und John war es dann so weit: wir spürten das erste Beben deutlich! Ich dachte ja, Erdbeben sind viel länger, aber es ist eher nur ein kurzer Stoß und dann ein längeres Nachvibrieren. Das Holz knackt, alles macht ein kurzes Geräusch und dann ist es still und man merkt, wie alles noch etwas wackelt. Wir hatte so einige Erdbeben, die wir mal aufgelistet haben:

• Thu, Oct 7 2010 11:09 pm
Magnitude:
4.2   !!!! das erste, das wir gespürt haben
Depth:
5 km
Details: 20 km south-east of Darfield

• Fri, Oct 8 2010 6:17 am
Magnitude: 4.4   !!!! und gleich am Morgen noch einmal
Depth: 5 km
Details: 30 km south-east of Darfield

• Fri, Oct 8 2010 6:29 am
Magnitude: 4.2   !!!und noch eins
Depth: 12 km
Details: 30 km south-east of Darfield

• Fri, Oct 8 2010 7:55 am
Magnitude: 3.3   !!!und noch eins
Depth: 5 km
Details: 30 km south-east of Darfield

• Fri, Oct 8 2010 9:20 am
Magnitude: 3.5   !!! das hörte gar nicht mehr auf
Depth: 10 km
Details: 30 km south-east of Darfield

• Fri, Oct 8 2010 7:54 pm
Magnitude: 3.5
Depth: 5 km
Details: 20 km south-west of Darfield

• Sat, Oct 9 2010 4:54 pm
Magnitude: 3.3   !!! das haben wir eher verpasst
Depth: 9 km
Details: 20 km south-east of Darfield

• Sat, Oct 9 2010 9:05 pm
Magnitude: 2.6   !!! das merkt man auch nicht
Depth: 5 km
Details: Within 5 km of Christchurch

• Sat, Oct 9 2010 11:14 pm
Magnitude: 2.8   !!! viel zu schwach
Depth: 8 km
Details: 20 km west of Christchurch

• Sun, Oct 10 2010 12:16 pm
Magnitude: 3.7   !!! wieder mitten in der Nacht aufgewacht
Depth: 10 km
Details: 20 km south-east of Darfield

• Mon, Oct 11 2010 5:55 am
Magnitude: 3.4   !!! und noch mal
Depth:
9 km
Details: 10 km south-east of Darfield

• Tue, Oct 12 2010 5:29 am
Magnitude: 3.5   !!! das ist schon fast regelmäßig
Depth: 5 km
Details: 10 km south of Darfield

• Wed, Oct 13 2010 9:11 am
Magnitude: 3.2  !!! manchmal waren wir uns nicht sicher, ob es ein Erdbeben war.
Depth: 5 km
Details: Within 5 km of Christchurch

• Wed, Oct 13 2010 9:27 am
Magnitude: 3.6
Depth: 9 km
Details: 10 km west of Christchurch

• Wed, Oct 13 2010 1:28 pm
Magnitude: 4.1   !!!!!!!!!!!! deutlich gemerkt
Depth: 9 km
Details: 20 km west of Christchurch

• Wed, Oct 13 2010 4:42 pm
Magnitude: 5.0   !!!!!!!!!!!! und wir waren grad draußen und haben es nur gehört, nichts gemerkt! War wie ein Donner. Eines der stärksten Nachbeben.
Depth: 15 km
Details: 20 km west of Christchurch

• Thu, Oct 14 2010 1:44 pm
Magnitude:
3.3  Manchmal haben wir auch mehr gemerkt, als aufgelistet wurden.
Depth: 7 km
Details: 10 km north-west of Oxford

• Thu, Oct 14 2010 6:06 pm
Magnitude: 3.5  !!! gespürt
Depth: 8 km
Details: 10 km south-west of Christchurch

• Thu, Oct 14 2010 6:59 pm
Magnitude: 4.1   !!! Das kam mir als das stärkste und längste vor.
Depth: 5 km
Details: 10 km south-west of Christchurch

• Thu, Oct 14 2010 7:36 pm
Magnitude: 3.4
Depth: 9 km
Details: 10 km south of Christchurch

• Fri, Oct 15 2010 9:27 pm
Magnitude: 3.0
Depth: 6 km
Details: 10 km east of Darfield

… Dann wurde es relativ ruhig und wir hofften noch mal auf ein Abschiedsbeben. Eigentlich war unser letzter Tag bei John und Maree am Samstag und wir packten unsere Sachen, um am Sonntag Morgen abzureisen und uns in Christchurch für eine Nacht eine Unterkunft zu suchen, weil wir dort noch einiges zu erledigen hatten und sehen wollten. Doch Maree und John boten uns beim Abschied am Morgen mehrere Male an, dass wir die nächste Nacht auch gerne noch bei ihnen schlafen konnten, das Bett ja eh frei wäre und wir dann noch eine Nacht Geld sparen konnten und so ließen wir kurzfristig unsere Rucksäcke dort und machten einen Tagesausflug nach Christchurch. Ich wollte unbedingt in die Ron Mueck-Ausstellung, über die ich in der Zeitung gelesen hatte. Außerdem stand auf der To-Do-Liste noch: Cookies essen, Starbucks-Kaffee, Foodcourt-Essen, Bratwurst vom deutschen Stand (der leider nicht da war) und Melissa (Taiwanesin, die in der Fischfabrik gearbeitet und im Bug-Hostel gewohnt hatte) treffen und vieles mehr. Wir schafften alles (außer der Wurst). Das Treffen mit Melissa war traurig, denn sie hatte ein paar Tage zuvor einen Unfall mit ihrem Auto gehabt, dass nun nicht mehr zu reparieren ist und sie war völlig unentschieden, ob sie noch mal in ein Auto investieren sollte und ob sie sich traut, wieder zu fahren. Aber so eine Reise macht man nur einmal und wir haben ihr geraten, sich schnell zu entscheiden und dann die Reise fortzusetzen. Das hat sie sich auch verdient, nach 3 Monaten Fischfabrik. Das Problem von Backpackern, die ihr Auto verlieren (Unfall oder einfach Altersschwäche) ist immer das Gleiche: Man hat so viel Gepäck, dass es fast unmöglich ist, mit dem Bus weiter zu reisen. Auch wir machen uns schon Gedanken, wie wir von Neuseeland aus möglichst leicht und billig in Australien reisen.

Die Ron Mueck-Ausstellung war grandios! Die Art-Gallery in Christchurch ist an sich ja schon einen Besuch wert. Wer jedoch Zeit hat, sollte bis Anfang nächsten Jahres die Zeit finden und die 12-15 Dollar Eintritt investieren. Es sind zwar nur wenige Exponate, aber die sind umso beeindruckender! Ron Mueck modeliert aus den verschiedensten Stoffen Menschen in Überlebens- oder Unterlebensgröße, oft nackt, die absolut lebendig aussehen. Eine riesige nackte schwangere Frau, deren erschöpftes Gesicht so aussieht, als würde sie gleich die Augen aufmachen, unter der Haut mit Schwangerschaftsstreifen, einzelnen Leberflecken und Pickelchen erkennt man die blauen Adern. Und alles sieht so echt aus! Ein Film hat dann noch gezeigt, wie die Figuren entstehen. Als wer so viel Geduld hat, eine Lehmform zu modelieren, einen Abdruck zu machen und diese Form dann mit der endgültigen Masse zu füllen, diese zu bemalen, Haare einzupflanzen etc. ist zu beneiden.

Es war die erste Ausstellung, die ich besucht habe, in der man fotografieren und filmen konnte, wie man wollte (nur ohne Blitz). Und so könnt ihr auch einen kleinen Eindruck in die Ausstellung bekommen!

Am Abend fuhren wir wieder zurück zu Maree und John und überreichten ihnen ein kleines Abschiedsgeschenk: Ein selbstgestaltetes Wwoofing-Gästebuch mit ein paar Fotos, die wir auf der Farm von den Haustieren gemacht haben. Die beiden haben sich riesig gefreut, weil sie schon immer eins haben wollten. Am nächsten Morgen ging es dann endgültig los auf die große Reise und ein Erdbeben mit der Stärke von 4,6 verabschiedete uns an der Haustür.

Es ist schon eigenartig, wie eng man innerhalb weniger Tage mit den Wwoofing-Familien zusammen wächst. Wahrscheinlich ist das so, weil man zusammen wohnt, isst und arbeitet. Wenn wir etwas hier in Neuseeland oft tun, dann sind das traurige Verabschiedungen, weil man sich wahrscheinlich nie wieder sieht. Auf der anderen Seite sind es eben auch enge Bindungen, die man hier in kurzer Zeit aufbaut und menschliche Erfahrungen, für die wir jedes Mal dankbar sind, wenn wir wieder zum letzten Mal „See you and take care!“ sagen.

Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder Erdbeben... schon wieder



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