Er spricht nicht, er geräuscht

Was typisch ist für eine Pflegestufe 2 mit Tendenz zur 3.

Demenz (Mens = Verstand, de = abnehmend) – diese Vokabel bringt alle Sorgen auf den Punkt. Wir diagnostizieren bei Tisch nicht nur die Abnahme kognitiver und sozialen Fähigkeiten, sondern vor allem auch Defizite im Denkvermögen, begleitet von partiellem Sprachverlust und fehlerhafter Motorik. Vor allem – lernte ich – geht einem Demenzkranken die Schnittstelle zwischen Traum und Wirklichkeit verloren. Eine Schnittstelle, von der wir Normalos wenig zu wissen scheinen, die aber bestimmend ist.

Wir alle träumen hin und wieder jenen Unsinn, den wir Albtraum nennen, wachen auf und dürfen ab jetzt wissen: Das ist vorbei. Es war nur ein Traum.

Nicht so bei Pflegestufe 2 mit Tendenz zur 3.

Denen geht der Albtraum weiter.

* * *

Heute kommt er an den Frühstückstisch gehatscht, am ganzen Körper zitternd. Angst sehen wir in seinen Augen – die blanke Angst, Panik fast. Und es dauert eine halbe Ewigkeit, bis er sie formulieren kann.

“Die holen jetzt überall die Toten ab.”

Er will sich irgendwo verstecken – sie will ihn beruhigen.

“Iss lieber was! – Marmelade oder Käse?”

Das Oder – kann ich beobachten – ist weiterer Horror. Eine Pflegestufe kann sich nicht mehr entscheiden. Marmelade oder Käse – Hilfe!

“… – oder lieber Wurst?”

Wahnsinn.

Das ist kein Leben, denke ich nun, DAS IST EIN SPIEL. Das ist ein außerirdisches Computerspiel, indem ich von Level zu Level getrieben werde. Ist ein Problem gelöst, gesellen sich zehn neue dazu.

Heute höre ich Morpheus.

“… wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir gefüh…”

Dann bellt der Hund.

* * *

Nun bin ich zurück.

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