Entschädigungen? – Was für Entschädigungen?

mit freundlicher Genehmigung des Autors

Im Atheist Media Blog hat sich eine Diskussion über die sog. Staatsleistungen im engeren Sinne entwickelt, d.h. die Zahlungen des Staates an die Kirchen, die als Entschädigung für die Säkularisation von 1803 (Stichwort: Reichsdeputationshauptschluss) deklariert werden.

Nun ist dem Experten für Kirchenfinanzierung Carsten Frerk vor einiger Zeit aufgefallen, dass im Reichsdeputationshauptschluss, der regelmäßig als Grundlage für die immer noch andauernden Zahlungen an die Kirchen angeführt wird, gar nicht von dauerhaften Entschädigungen die Rede ist. Frerk schreibt in seinem Violettbuch Kirchenfinanzen [S. 69]:

Die historische Herleitung und damit auch die Begründung für diese Staatsdotationen ist eine Geschichte für sich. Auch ich selbst habe bis vor relativ kurzer Zeit das akzeptiert, was in vielen wissenschaftlichen und kirchlichen Darstellungen verbreitet wird. So heißt es staatskirchenrechtlich in einem Satz formuliert:

„Staatsleistungen bilden einen ‘Säkularisations-Ausgleich’ (Isensee), insbesondere im Hinblick auf die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Reformation und auf ‘die’ Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts.“ [Zitat aus: Alexander Hollerbach: „§ 139 Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation“, in: Josef Isensee (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg: Müller 1989, Bd.6, S. 557-593, hier S. 587.]

Diese Darstellung hat leider den Schönheitsfehler, dass sie nicht den historischen Tatsachen entspricht. Sie ist aber ein bemerkenswertes Beispiel für den Erfolg des kirchlichen Lobbyismus und die Phantasie der Staatskirchenrechtler.

Dass die Bischöfe enteignet worden sein sollen, ist bereits eine Legende. Die betreffenden Gebiete gehörten der katholischen Kirche gar nicht, sondern es handelte sich weitestgehend um Reichslehen. Insofern kann auch von keiner Entschädigung – wofür auch? – die Rede sein.

Von einer Säkularisation der katholischen Kirche zu sprechen, ist zudem mehrfach übertrieben und auch sachlich falsch. Alle katholischen Einrichtungen, die der Seelsorge und der Wohlfahrt dienten, verblieben im Kirchenbesitz und wurden zum Teil (wie das Vereinigte Stift in Trier) sogar finanziell noch besser ausgestattet.

Was genau in der Reformation angeblich entschädigungspflichtig säkularisiert worden sei, darüber wird geschwiegen. Zudem war der weltliche Landesherr als evangelischer Landesbischof auch Teil der Staatskirche. Kann man sich selbst enteignen, wenn einem etwas weiterhin gehört?

Auf das Thema geht Frerk im Folgenden noch wesentlich umfassender ein und auch in seinem Kapitel über die Ablösung der Staatsleistungen (ab S. 90, hier: „67. Ablösesummen und Reichsdeputationshauptschluss, S. 92-95). Hier sei noch der Abschnitt zu „Evangelischen“ Staatsdotationen erwähnt (Nr. 51, S. 74):

Da es keinerlei „geistliche“ Territorien gab, die von evangelischen Pastoren regiert worden waren, war die evangelische Kirche von „1803“ nicht betroffen. Sofern es jedoch dazu gekommen sein sollte, beträfe es zudem auch eine juristisch kniffelige Frage, ob ein evangelischer Landesherr (wie in Brandenburg), der auch gleichzeitig als Landesbischof das Kirchenoberhaupt war, seine eigene Landeskirche überhaupt hätte nachteilig behandeln können.

In Deutschland gilt eine eigentümliche Parität. Bekommt die eine Kirche etwas, hat die andere auch Anspruch darauf. Es ist Ausdruck der religiösen Durchmischung der im 19. Jahrhundert entstandenen Territorialstaaten – das evangelische Preußen bekam nach 1803 und 1815 katholische Territorien als Staatsgebiet. Die auf Ausgleich bedachten Könige und Fürsten sahen sich veranlasst, beide Konfessionen ‘paritätisch’ zu behandeln.

Die heutigen Staatsdotationen an die evangelischen Landeskirchen leiten sich jedoch aus dem Anspruch der Beamten der ehemaligen evangelischen Staatskirche ab (auch nach der Revolution 1918/19 und der Abschaffung der Staatskirche durch die Weimarer Verfassung). Infolge dieser nicht zurückgewiesenen oder zumindest auf eine Übergangsphase begrenzten Ansprüche müssen die „zweckgebundenen Zuschüsse zu den kirchlichen Personalkosten und für den allgemeinen Bedarf der kirchlichen Verwaltung (Pfarrbesoldung und Kirchenregimentliche Zwecke)“ weiterhin – wie vorher für Staatskirchenbeamte – vom Staat bezahlt werden, auch wenn es keine evangelische Staatskirche mehr gibt.

Nun waren es zufälligerweise gerade Vertreter der evangelischen Kirche, bei denen ich in den letzten Tagen Hinweise auf den Reichsdeputationshauptschluss gefunden habe. Über das „FAQ Kirchenfinanzierung“ der „Task Force“ der Deutschen Bischofskonferenz gelangte ich auf steuer-forum-kirche.de, eine mehrerer Webseiten von Dr. Jens Petersen, dem Referenten für Steuerfragen in der Finanzabteilung des Kirchenamtes der EKD und Autor der Bücher „Kirchensteuer in der Diskussion“ und  „Kirchensteuer kompakt“. Auf seinen Seiten verweist Dr. Petersen „aus aktuellem Anlass“ auf den Text des Reichsdeputationshauptschlusses, den er dankenswerterweise online gestellt hat. (Ich nehme an, mit dem „aktuellen Anlass“ bezieht er sich auf die durch Carsten Frerks Violettbuch Kirchenfinanzen ausgelöste Diskussion.)

Auch der Präses der Evangelischen Kirche in Westfalen, Alfred Buß, behauptete kürzlich gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd), die direkten Staatsleistungen seien Entschädigungen für die Enteignung kirchlicher Güter, die im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 festgelegt seien.

Noch vor einem Jahr hätte ich gesagt, Präses Buß weiß es nicht besser, denn diese Darstellung war ja bis dahin praktisch die allgemein anerkannte (siehe obiges Hollerbach-Zitat bei Frerk). Carsten Frerk hat allerdings bereits im Januar dieses Jahres bei den vierten Berliner Gesprächen über das Verhältnis von Staat, Religion und Weltanschauung darauf hingewiesen, dass der Reichsdeputationshauptschluss kaum als Rechtsgrundlage für die heutigen Zahlungen herangezogen werden kann:

In wenigen Worten, knapp und präzise und ohne fachchinesisches Versteckspiel zeigte Dr. Frerk auf, dass all die Argumente, die die Befürworter der Staatsleistungen hervorbringen, schon allein deshalb irrelevant sind, da die Grundlagen, sowohl die historischen als auch die juristischen, fehlerhaft sind. Es kann keine Ausgleichszahlungen für die Enteignung von z.B. Grund und Boden geben, wenn der, der diese Ausgleichszahlungen in Anspruch nehmen will, nicht der Eigentümer eben dieses Grund und Bodens war. Damit erübrigen sich jegliche ausufernde Diskussion über das Für und Wider der Ausgleichszahlungen, da es keine Grundlage für einen Ausgleich gibt. [hpd-Veranstaltungsbericht, vgl. auch das Interview mit Carsten Frerk (Podcast)]

Auch in den folgenden Monaten hatte Frerk bei Vorträgen immer wieder öffentlich auf diesen Umstand hingewiesen, z.B. im April. Als die Öffentlichkeit im Zuge des Rücktritts von Bischof Mixa erfuhr, dass auch dessen Pension nicht aus Kirchensteuermitteln, sondern aus allgemeinen Steuergeldern bezahlt wird, beriefen sich Kirchenvertreter weiterhin auf den Reichsdeputationshauptschluss von 1803:

Georg Ratzinger, katholischer Priester und Bruder des Papstes, sagte SPIEGEL TV, dass es „natürlich“ angemessen sei, dass kirchliche Würdenträger vom Staat bezahlt werden.

Schließlich habe der Staat ja auch die Kirche „geplündert“ und ihr „viel gestohlen“. Außerdem würden die Bischöfe dem allgemeinen Wohl dienen. Dass die Zahlungen überhaupt in Frage gestellt werden, findet Ratzinger unverständlich.

Auch Gerhard Ludwig Müller, Bischof des Bistums Regensburg, kann an den hohen Zahlungen nichts Ungerechtes finden. Er und seine Kollegen bekämen ihr Gehalt aus dem Vermögen, das der Staat der Kirche vor 200 Jahren abgenommen habe. Das seien vertragliche Verpflichtungen, und die sollten auch weiterhin gelten. [Spiegel Online, 08.06.2010]

Derartigen, in dem erwähnten Spiegel TV-Beitrag getätigten Behauptungen hielt Carsten Frerk in einem Artikel des Humanistischen Pressedienstes (hpd) vom 9. Juni entgegen:

Der Spiegel hatte in seinem spiegel-tv Magazin am vergangenen Sonntagabend einen Bericht gezeigt, „Spardebatte: Staat zahlt 442 Millionen Euro für Kirchengehälter“ in dem danach gefragt wurde, wieso eigentlich in Deutschland aktuell 442 Mio. im Jahr aus Steuergeldern als Gehälter und Personalzuschüsse an die Kirchen bezahlt werden.

In dem Beitrag selber versicherte dann der Regensburger Bischof Müller mit großer Gelassenheit, dass es damit alles seine Ordnung habe, denn die katholische Kirche sei ja 1803 enteignet worden und diese Zahlungen seien deshalb Gelder aus dem kirchlichen Vermögen, dass damals an die weltlichen Herrscher gefallen war.

In das gleiche Horn stößt prompt nun auch der Kirchensteuerreferent im Kirchenamt der EKD, Oberkirchenrat Jens Petersen, auf der ‚Jugendseite’ der EKD, in seinem Beitrag „ Die historische Entwicklung der Kirchensteuer“ der unter dem Stichwort „Religion“ fragt: „Rund 442 Millionen Euro an Kirchengehältern zahlt der Staat pro Jahr, rechnet der ‘Spiegel’ vor. Warum eigentlich? Eine kurze Geschichte der Kirchenfinanzierung.“

Die Einführung der Kirchensteuer wird, historisch völlig unzutreffend, mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 in Verbindung gebracht. Petersen fährt verbal schwere Geschütze auf, schreibt von „völker- und staatsrechtlicher Annexion“ sowie der „Enteignung von Territorien und Vermögen der (kath) Kirche, des gesamten bischöflichen und klösterlichen Grundbesitzes“. Gut katholisch gebrüllt. Aber leider auch so falsch.

Der Reichsdeputationshauptschluss war Teil einer Modernisierung des damaligen „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“, das von dem bis dahin bestehenden „Flickenteppich“ von mehreren hundert Herrschaften nur noch rund drei Dutzend große Territorien übrig ließ. Die Herrschaftsgebiete der Reichsritterschaft wurden auch aufgehoben – ebenso ohne eine Entschädigung, für die auch im Reichsdeputationshauptschluss nichts zu lesen steht. Das einzige, wozu die weltlichen Herrscher verpflichtet wurden, war der Erhalt der Domkirchen. [...]

Von einer Säkularisierung der katholischen Kirche zu schreiben ist zudem Unsinn, da alle Kirchengemeinden und Einrichtungen, die der Seelsorge oder der Wohlfahrt dienten, damals erhalten blieben und teilweise sogar ausgebaut wurden.

Die aufgehobenen geistlichen Territorien waren zudem überwiegend frühere königliche und kaiserliche Lehen, die jeweils nach Belieben gegeben und zurückgenommen wurden – ohne Entschädigung. Die katholische Kirche und ihre Fürstbischöfe waren nur die Besitzer und nicht die Eigentümer. Was sollte also enteignet worden sein? Nichts.

Dass die aus ihrer weltlichen Herrschaft ‚depossedierten’ Bischöfe bis zu ihrem Lebensende staatliche Apanagen erhielten, einschließlich Sommerresidenz und Tafelgeschirr, war nur Ausdruck des kollegialen Standesbewusstseins, denn schließlich waren diese abgesetzten Bischöfe auch Adelige. Die konnte man schließlich nicht einfach mittellos auf die Straßen betteln schicken, wie die Nonnen und Mönche, die nicht in der Seelsorge oder Wohlfahrt tätig waren. Mit dem Tod der Bischöfe war auch mit diesen Apanagen Schluss.

Als der Spiegel eine Woche später über die „Geheime Parallelwelt“ der Kirchenfinanzen berichtete und schrieb:

Leistungen wie die jährlichen Holzlieferungen einiger süddeutscher Kommunen an ihren Bischof beruhen teils auf 200 Jahre alten Ansprüchen, die von der Politik nie wieder überprüft wurden.

wurde auf wissenrockt.de klargestellt:

Aber schon 1803 [...] entschieden die Staatschefs des damaligen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, dass den Wohlstand der Kirchen die weltliche Macht nicht mehr in der alten Form mehren könne. Auf dem „Reichsdeputationshauptschluss“ in Regensburg hoben sie zahllose Lehensverhältnisse an Grund und Boden auf, auf denen der Klerus bis dahin die einfachen Bauern zum Erwerb ihres Einkommens und der Mehrung des Wohlstands ihrer Verpächter, der Kirchen, arbeiten ließ. Noch heute sprechen Kirchenvertreter von „Enteignung“ obwohl diese Gebiete niemals kirchliches Eigentum waren, sondern auch bis 1803 nur zur Verfügung gestellt gewesen sind.

Die von Carsten Frerk in dem hpd-Artikel (s.o.) beanstandete Darstellung von EKD-Finanzreferent Dr. Petersen war offenbar mittlerweile wieder zurückgezogen worden, denn bei wissenrockt heißt es weiter:

Noch am 8. Juni 2010 versuchte der Kirchensteuerreferent der EKD, Jens Petersen, auf dem „Jugendportal“ evangelisch.de die kirchliche „Version“ zur Historie der Kirchenfinanzierung den jungen Geistern zu propagieren, in der er unter anderem die Erhebung der Kirchensteuern und die daneben existierenden Staatszuweisungen in einen Topf warf und ohne Sorgfalt kräftig umrührte. Die Zweifel an der Tragfähigkeit dieser verdrehten Darstellung wurden anschließend sogar den Herausgebern zu groß, denn kurz nach Carsten Frerks kritischer Veröffentlichung verschwand der Beitrag wieder aus der Öffentlichkeit. [Anmerkung: Der ursprüngliche Artikel ist offenbar wieder online.]

Mitte des Jahres wurde dann von von einigen Politikern die vom Grundgesetz verlangte Ablösung der Staatsleistungen gefordert – auch mit dem Hinweis auf den allgemeinen Sparzwang, von dem die Zahlungen an die Kirchen nicht ausgemommen werden dürften. Aus diesem Anlass berichtete der Spiegel unter der Überschrift „Jagd auf die Kirchenmäuse“ ausführlich über die Zahlungen des Staates an die Kirchen zusätzlich zur Kirchensteuer. Zur Begründung heißt es dort:

Verbindliche Zusagen hatten die finanziell geschickten Kirchenoberen bis dahin schon zahlreichen Landesherren abgenommen – als Ausgleich für ihre Landverluste durch Napoleon Bonaparte.

Er hatte 1803 Frankreichs Ostgrenze bis an den Rhein ausgedehnt. Den betroffenen deutschen Reichsständen bot er an, sich östlich des Rheins einen Ausgleich zu holen. Und zwar zu Lasten der Katholiken: Geistliche Fürstentümer fielen an weltliche Herren, die katholische Kirche verlor mehrere Erzbistümer und Bistümer, zahllose Klöster, Abteien und Stifte. [...]

Allerdings verpflichteten sich die Landesherren, die Kirchengebäude „fest und bleibend“ auszustatten, die „Pensionen für die aufgehobene Geistlichkeit“ zu zahlen und zum „Aufwand für Gottesdienste, Unterrichts- und andere gemeinnützige Anstalten“ beizutragen.

Leider wird weder darauf hingewiesen, dass nicht nur geistliche, sondern auch andere – weltliche – Besitztümer (s.o., „Reichsritterschaft“) von dieser Umverteilung betroffen waren, noch darauf, dass sich die erwähnten „Pensionen für die aufgehobene Geistlichkeit“ nur auf die damaligen Geistlichen bezogen – aber nicht auf deren Nachfolger.

Schließlich berichtete das ZDF am 03.08.2010 in Frontal 21 über Frerks Erkenntnisse. Ende Augst berichtete das Neue Deutschland darüber. Im September kam Frerk mehrmals in der ZDF-Sendung „sonntags“ zu Wort.

Wenn also Präses Buß immer noch behauptet, die direkten Staatsleistungen an die Kirchen – auch an die evangelische! – seien Entschädigungen für die Enteignung kirchlicher Güter, die sonst auch heute noch erhebliche Rendite bringen würden, und seien im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 festgelegt, dann kann er sich jedenfalls nicht mehr darauf berufen, Frerks Einwände nicht zu kennen. Er kann sich m.E. – abgesehen von den in § 35 vorbehaltenen „festen und bleibenden Ausstattung der Domkirchen“, die nur einen Bruchteil der staatlichen Zahlungen ausmacht – eben auch nicht auf den Reichsdeputationshauptschluss berufen.

Deshalb habe ich Präses Buß eine E-Mail geschickt (und auch Dr. Petersen eine fast gleich lautende) mit der Frage, wo sich denn im Reichsdeputationshauptschluss bitteschön die Grundlage für die heutigen Zahlungen finden soll.

Anlässlich der eingangs erwähnten Diskussion im Atheist Media Blog hier der Text meiner E-Mail vom 18.11.2010 an Präses Buß, da ich dort auch im Einzelnen auf die Formulierungen im Reichsdeputationshauptschluss eingehe:

Sehr geehrter Präses Buß,

mein Name ist Matthias Krause, ich blogge als „Skydaddy“ zu Kirchenthemen.

Im Zuge der aktuellen Diskussion um die Kirchenfinanzierung sollen Sie dem epd gesagt haben:

Die direkten Staatsleistungen seien Entschädigungen für die Enteignung kirchlicher Güter, die sonst auch heute noch erhebliche Rendite bringen würden, sagte er dem epd in Bielefeld. Eine Ablösung der im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 festgelegten Entschädigungen sei natürlich möglich. Dies werde bislang aber weder vom Bund noch vom Land Nordrhein-Westfalen erwogen.

Ich nehme an, Sie beziehen sich auf Carsten Frerks „Violettbuch Kirchenfinanzen“. Dr. Frerk weist darauf hin, dass der Reichsdeputationshauptschluss – von Baulasten in § 35 abgesehen – keine immerwährende Entschädigung für die Säkularisierung geistlicher Reichsstände vorsieht, sondern lediglich den von der Säkularisation betroffenen Fürstbischöfen und Bischöfen sowie deren Hofstaat einen standesgemäßen Lebenswandel gewährleisten sollte. Bis zu deren Tod, länger nicht. So heißt es im Violettbuch auf S. 93:

Gleich im § 1, Absatz 1 [des Reichsdeputationshauptschlusses] wird festgelegt, was „Sr. Majestät dem Kaiser, Könige von Ungarn und Böhmen, Erzherzoge von Oesterreich“ zusteht: die Bistümer Trient und Brixen, „mit ihren sämmtlichen Gütern, Einkünften, eigenthümlichen Besitzungen, Rechten und Vorrechten, ohne irgend eine Ausnahme“. Als Ausgleich wird festgelegt: „[...] unter der Verbindlichkeit jedoch, sowohl für den lebenslänglichen Unterhalt der beiden jetzt lebenden Fürstbischöfe und der Mitglieder der beiden Domkapitel, nach einer mit solchen zu treffenden Uebereinkunft, als auch für die hierauf erfolgende Dotation der bei diesen beiden Diöcesen anzustellenden Geistlichkeit, nach dem in den übrigen Provinzen der Oesterreichischen Monarchie bestehenden Fuße zu sorgen.“

Kurz ausgedrückt: Die beiden ehemaligen Fürstbischöfe, die Mitglieder des Domkapitels und die bei den Diözesen beschäftigten Geistlichen erhalten bis an ihr Lebensende eine zu vereinbarende Dotation. Mehr nicht. Mit dem Tod des letzten Bediensteten sind diese Dotationsverpflichtungen erloschen. Nachfolger oder Erben werden nicht genannt und nicht finanziert.

Zu ihren Lebenszeiten sollte für die säkularisierten adeligen Bischöfe alles angenehm bleiben, einschließlich einer standesgemäßen Sommerresidenz und des Tischgeschirrs [...]. Nach ihrem Tod war damit Schluss und auch die ihnen vom Staat überlassenen Möbel und die Tafelservice aus Staatsbesitz gingen an den Staat zurück. Da wurden keine Nachfolger erwähnt, die beispielsweise die Möbel als Dauerleihgabe hätten behalten dürfen. [...]

Insofern gibt es aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses keinerlei Begründung für Entschädigungen oder gar Personalzuschüsse, wie etwa die fortdauernde Zahlung von Bischofsgehältern und Pensionen.

Ein Blick in den Text des Reichdeputationshauptschlusses scheint mir Dr. Frerks Auffassung zu bestätigen. An etlichen Stellen wird deutlich, dass es offenbar um „lebenslängliche“, aber nicht „immerwährende“ Entschädigungen geht:

Konkret werden die Entschädigungen „der aus dem Besitze tretenden Regenten und Besitzer, auch der davon abhangenden Geistlichkeit“ in den §§ 47-76 geregelt. Und dort heißt es z.B. in § 50:

Den sämmtlichen abtretenen geistlichen Regenten ist nach ihren verschiedenen Graden auf lebenslang eine ihrem Range und Stande angemessene freie Wohnung mit Meublement und Tafelservice, auch den Fürstbischöfen und Fürstäbten des ersten Ranges ein Sommeraufenthalt anzuweisen; wobei sich von selbst versteht, daß dasjenige, was ihnen an Meublen engenthümlich zugehört, ihnen gänzlich überlassen bleibe, das aber, was dem Staate zugehört, nach ihrem Tode diesem zurückfalle.

§ 52 bestimmt:

Die Weihbischöfe, in so ferne sie Präbenden haben, die Domkapitularen, Dignitarien, auch Canonici der Ritterstifter, auch adelige Stiftsdamen behalten den lebenslänglichen Genuß ihrer Kapitelwohnungen; ihnen oder ihren Erben sind die auf den Ankauf oder Optirung ihrer Häuser gemachten Auslagen, falls der Landesherr solche nach ihrem Tode an sich ziehen will, zu vergüten; auch außer dem an Orten, wo sie ein Privateigenthum ihrer Wohnung hergebracht haben, wird ihnen dieses vorbehalten.

Weiterhin wird im Reichsdeputationshauptschluss der Begriff „Sustentation“ verwendet. Damit ist offenbar eine Art Unterhaltszahlung gemeint, bis der Empfänger verstirbt oder eine neue bezahlte Position findet. Dies ergibt sich z.B. aus § 53:

Zu ihrer Sustentation aber sind den Domkapitularen, Dignitarien und Canonicis der Ritterstifter neun Zehntel ihrer ganzen bisherigen Einkünfte, und zwar jeden einzelnen, was er bisher genossen hat, zu belassen. Auf gleiche Weise sind die Vicarien bei ihren Wohnungen, und da sie meist gering stehen, bei ihrem ganzen bisherigen Einkommen, bis sie etwa auf andere geistliche Stellen versorgt werden, zu belassen, wogegen sie ihren Kirchendienst einstweilen fortzuversehen haben.

Oder auch aus § 59:

In Ansehung der sämmtlichen bisherigen geistlichen Regenten, auch Reichsstädte und unmittelbaren Körperschaften, Hof-, geistlichen und weltlichen Dienerschaft, Militair und Pensionisten, in so ferne der abgehende Regent solche nicht in seinem persönlichen Dienste behält, so wie der Kreisdiener, da, wo mit den Kreisen eine Veränderung vorgehen sollte, wird diesen allen der unabgekürzte, lebenslängliche Fortgenuß ihres bisherigen Rangs, ganzen Gehalts und rechtmäßiger Emolumente, oder, wo diese wegfallen, eine dafür zu regulirende Vergütung unter der Bedingniß gelassen, daß sie sich dafür nach Gutfinden des neuen Landesherrn, und nach Maaßgabe ihrer Talente und Kenntnisse auch an einem andern Orte und in andern Dienstverhältnissen gebrauchen und anstellen lassen müssen; jedoch ist solchen Dienern, welche in einer Provinz ansässig sind, und in eine andere gegen ihren Willen übersetzt werden sollen, freizustellen, ob sie nicht lieber in Pension gesetzt werden wollen. [...] Sollte der neue Landesherr einen oder den andern Diener gar nicht in Diensten zu behalten gedenken, so verbleibt demselben seine genossene Besoldung lebenslänglich. [...]

Auch in § 69 ist wiederum von „lebenslänglicher“ Überlassung die Rede:

Bei denjenigen Landen, wo die geistlichen Regenten ihre Residenzstädte auf der linken Rheinseite mit den dortigen Landen verloren, doch auch noch beträchtliche Besitzungen diesseits Rheins behalten haben, kommen vorzüglich Se. Kurfürstl. Durchlaucht zu Trier, als Kurfürst des Reichs, aus Dero Domkapitel und Dienerschaften in Betrachtung. [...] – dann wird festgesetzt, daß die Stadt Augsburg dem Herrn Kurfürsten von Trier ihr bischöfliches Schloß, und die für die Dienerschaft nöthigen Gebäude in ihrem gegenwärtigen meublirten Zustande nebst den bisher gehabten Immunitäten, in ihrem ganzen Umfange lebenslänglich ungestört zu belassen habe.

In § 75 wird sogar ausdrücklich erwähnt, dass die Pensionen nach dem Ableben des Empfängers an die Landesherren zurückfallen:

[...] Im Falle nur einer der Fürstbischöfe, die ein Zehntheil und Zwanzigtheil eines ihrer Deputats an die Fürstbischöfe von Lüttich und Basel abgeben, früher als oben gedachte Fürstbischöfe versterben würde, so behält der Landesherr, dem eine solche Pension zurückfällt, die Verbindlichkeit, das Zehntheil und Zwanzigtheil an gedachte Herrn Fürstbischöfe von Basel und Lüttich fortzuentrichten. [...]

§ 76:

In Ansehung derjenigen Geistlichen und Diener endlich, deren Körperschaften jenseits auf der linken Rheinseite aufgehoben worden, welche jedoch noch mehr oder weniger Güter dieser rechten Rheinseite haben, die künftig der Disposition der respectiven Landesherren überlassen sind, versteht sich von selbst, daß diese Landesherren [...] diesen unglücklichen Individuen ihre Einkünfte, worauf ihnen ein gegründetes Recht zustehet, lebenslänglich zu belassen, und über solche nur nach deren Tode anderweit zu disponiren haben.

Es erscheint mir offensichtlich, dass hier die von der Säkularisation betroffene Geistlichkeit bis zu ihrem Ableben standesgemäß versorgt werden sollte, ganz so, wie es Dr. Frerk in seinem „Violettbuch“ darstellt.

Wenn Sie nun behaupten, die direkten Staatsleistungen seien Entschädigungen für die Enteignung kirchlicher Güter, die sonst auch heute noch erhebliche Rendite bringen würden, so müssten Sie m.E. doch wohl erst einmal zeigen, für welche „der im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 festgelegten Entschädigungen“ heute überhaupt noch eine Zahlungsverpflichtung besteht.

Vom Wortlaut des Reichsdeputationshauptschlusses abgesehen: Die Position der Kirchen scheint in den Reichsdeputationshauptschluss eine Regelung hineinzulesen, bei der die weltlichen deutschen Fürsten für ihre linksrheinischen Verluste zwar durch die Säkularisation der geistlichen Fürstentümer entschädigt wurden, dafür aber wiederum den von der Säkularisation betroffenen Geistlichen eine „angemessene“ – Sie weisen ja darauf hin, dass die betreffenden Besitztümer „auch heute noch erhebliche Rendite bringen würden“ – Entschädigung zu zahlen. Eine Entschädigung, für die der Entschädigte selbst wiederum eine (angemessene) Entschädigung zahlen muss, wäre doch völlig absurd!

Können Sie mir erklären, welche der im Reichsdeputationshauptschluss festgelegten Entschädigungen – abgesehen von der in § 35 erwähnten „Ausstattung der Domkirchen“ – heute noch zu zahlen sind?

Mit Dank und freundlichen Grüßen,

Matthias Krause


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