Sie haben also gelesen, demnächst dürfte die Post im Auftrag der Arbeitsagentur Briefe von ALG- und Kindergeldempfängern öffnen? Bestimmt haben Sie das gelesen, es ist schließlich bei der Onlineausgabe der Bild abgeschossen und sofort vor allem von Bloggern aufgefangen worden. Also zum Beispiel so:
Post soll Arbeitslosen-Briefe öffnen
bild.de
oder gleich
Arbeitsämter wollen Briefgeheimnis von Hartz-IV-Empfängern abschaffen
berlinerumschau.com
Das ist nicht ganz das, was wirklich passiert. Aber es scheint tatsächlich einen Modellversuch zu geben, ausgehend von den Arbeitsagenturen in Sachsen-Anhalt und Thüringen, bei dem Post, die an die Arbeitsagentur adressiert ist, von Mitarbeitern der Post geöffnet und eingescannt wird. Diese Digitalisierung umfaßt auch entsprechende Akten und soll die Geschwindigkeit erhöhen, mit der die entsprechenden Vorgänge erfaßt und berarbeitet werden. Zieht man die entsprechende Meldung z.B. in der Welt heran, ist dieser Modellversuch auch mit dem BSI, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, abgestimmt und von dort mit einer Unbedenklichkeitsbescheinigung versehen worden.
Mir stellt sich spontan eine Reihe von Fragen- zum Beispiel, warum diese Digitalisierung von der Post vorgenommen werden muss und nicht etwa vom Arbeitsamt. Oder wie genau man verhindern will, dass die entsprechenden Post-Mitarbeiter auf diese Weise einen Schriftverkehr einsehen können, der schlichtweg nicht für ihre Augen bestimmt ist. Wenn die entsprechende Methode tatsächlich sämtlichen Schriftverkehr zwischen Agentur und Kunden einschließt, dann wird sich in der entsprechenden Post vom Lebenslauf bis zu umfassenden Einkommensnachweisen, Kontoverbindungen und Erkrankungen eine Datensammlung befinden, von der es völlig egal ist, ob damit "Schindluder" getrieben wird - so die Befürchtung der entsprechenden Erwerbslosenverbände. Die sind geradezu die Definition von eben der Sphäre, die vom Datenschutz bis rein ins Grundgesetz geschützt werden sollte. Nicht nur vor Mißbrauch. Sondern auch vor gelangweilten Postangestellten.
Es würde mich auch interessieren, wie eine völlig fachfremde Organisation mit bereits angeschlagenem Ruf in Datenschutzfragen wie die Post dazu beitragen kann, ausgerechnet Effizienz oder gar Geschwindigkeit zu steigern. Schon rein technisch will mir das nicht klarwerden. So sollen die Unterlagen dort eingescannt werden und als e-mail an die zuständigen Sachbearbeiter verschickt werden- wo genau ist der Gewinn?! Ich glaube auch nicht, dass die Post das kostenlos macht oder wenigstens billiger als die entsprechenden Stellen in der Arbeitsagentur. Was natürlich passiert- und was Verschwörungtheoretikern sehr zusagt- ist die Schaffung einer externen Datenbank, bis zum Platzen gefüllt mit sensiblen Daten. Die man aber so oder so hat, und die auch so oder so gegen die Kunden verwendet wird. Warum man die Mißbrauchsrisiken, die es ohnehin schon gibt, ohne echten Nutzwert multiplizieren muss- es will mir nicht einleuchten.
Was mir so ganz nebenbei zu schaffen macht: Ich hätte nicht völlig ausgeschlossen, dass die ursprüngliche Meldung, wie sie die Bild mit geschickten Umschreibungen und Auslassungen skandalisiert, zutrifft. Dabei würde das bedeuten: Die Arbeitsagentur rückt mit den den Daten der Arbeitslosen raus, so dass die Absender auf jeglicher Post verglichen werden können, und jegliche private Post wird von der Post geöffnet, so klingt das im ersten Moment. Unvorstellbar eigentlich. Aber scheinbar nicht so unvorstellbar, wie es das sein sollte. Ein kleiner Teil von mir hätte zumindest nicht ausgeschlossen, das irgendein Wirrkopf- wir kommen schließlich ins Sommerloch- das tatsächlich gefordert hat. Die Wirklichkeit ist ja auch schon schlimm genug- wobei sie vor allem völlig sinnfrei ist, aber entrüsten kann man sich durchaus. Mein Vertrauen in unseren berüchtigten Rechtsstaat, vor allem in seinen Freiheitsanspruch, ist scheinbar weit mehr degeneriert, als mir das bisher klar war. Irgendwann wird es keine Ente mehr sein- glaube ich das? Nicht wirklich. Aber schließe ich es völlig aus? Seit heute auch nicht mehr.
Wetter.
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