Eloquent vertuschte Überforderung

Morgen hat Gauck die Hälfte seiner Amtszeit hinter sich gebracht. Eine Betrachtung.
Eloquent vertuschte Überforderung Sein Amtsantritt war verbunden mit dem Lob fast aller Medien. Hier komme ein Bürgerpräsident, erklärten sie den Menschen. Einer, der Finger in  Wunden lege, die Sorgen der Leute kenne und frisch sei, weil er dem Politikbetrieb nicht sehr nahe stehe. Nichts davon hat sich dann verwirklicht. Die Erwartungen verpufften. Das war nicht überraschend. Kritiker haben vorher schon darauf hingewiesen, wie der Mann funktioniert. Und so redete er an vielem vorbei und schwätzte meist nur die politische Agenda der Regierungsparteien nach. Mag sein, dass er das Amt sprachlich auf einen Höhepunkt geführt hat. Inhaltlich ist dieser Präsident aber ein Tiefpunkt.
Das Thema seiner Präsidentschaft, so ahnte man es schon bei Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren, sei wohl die Freiheit. Er selber spricht gerne von der »Freiheit in Verantwortung«. Und zugegeben, davon sprach er oft. Aber seine Leitlinie ist sie nicht. Das große Thema seiner Ära ist eher eine Mixtur aus ökonomischer Ahnungslosigkeit, alltäglichem Unwissen und multilateraler Einfältigkeit. Wenn man ihm schon Freiheit als Thema unterstellen will, dann höchstens die Freiheit, die er sich nimmt, um seine Unkenntnis mit feschen Worten unter die Leute zu bringen.

Gauck ist unbeständig und flatterhaft.
Seine Präsidentschaft ist eine Präsidentschaft des Muckertums. Er lobt stets die Proteste der Ostdeutschen gegen das System des real existierenden Sozialismus, hielt aber die Proteste von Occupy gegen den realen Kapitalismus für lächerlich. Er spricht in Sonntagsreden pathetisch von der verantwortungsvollen Freiheit, nannte aber die gewhistleblowerte Verantwortung für Freiheit kleinkariert einen »puren Verrat«. Er spricht von der Bewahrung der Schöpfung, war aber gegen einen voreiligen Atomausstieg und nannte die Energiewende verächtlich eine »planwirtschaftliche Verordnung«. Diese Liste der Doppelmoral ist beliebig erweiterbar. Dieses Unbeständige ist ein wesentliches Merkmal seiner Präsidentschaft. Eine Leitlinie geradezu.
Gauck ist ökonomisch naiv.
Er entblößt sich im regelmäßigen Turnus als Verfechter der neoliberalen Lehre. »Freiheit in der Gesellschaft und Freiheit in der Wirtschaft gehören zusammen«, verkündete er stolz am Jahresanfang. Dass sich beide Positionen in den letzten Jahren immer weiter voneinander entfernt haben, muss ihm entgangen sein. Je mehr Freiheit die Märkte erlangten, desto mehr litt die Demokratie und die Partizipation. Er aber vertritt die Ansicht, dass der Markt die Schmiede des demokratischen Gedankens ist. Wie alle, die vom Neoliberalismus geblendet sind, glaubt er die Teilhabe der Menschen am Grad des Konsums messen zu können. Aber Demokratie kann man nicht kaufen. Sie wird hingegen mit dieser Ökonomie verkauft. Privatisierungen verlaufen im Regelfall undemokratisch und bringen einen Verlust an Lebensqualität mit sich. Man schaue nur mal in privatisierte Kliniken oder bestaune mal das Rentensystem, das systematisch »liberalisiert« wurde.
Dieser Bundespräsident verwickelt sich nicht in makroökonomische Spitzfindigkeiten, gibt keine Analysen von sich. Er weiß genau, dass er davon keine Ahnung hat. Er liefert nur die eloquente Untermalung dieser Ökonomie. Übermittelt schöne Worte für ein System, das hässliche Seiten hat. Sein wortgewandter Nonsens ist die Begleitmusik dieser nihilistischen Weltanschauung.
Gauck ist elitär und antidemokratisch.
Vielleicht weiß er auch gar nichts über etwaige Notstände, die der »freie Markt« verursacht. Als Mann der Eliten ist er vielen Alltagssorgen ledig. Überhaupt hat man bei ihm stets den Eindruck, dass er Bürgerbegehren als etwas Lästiges abtut. Demonstrieren zum Beispiel Leute in Frankfurt vor den Tempeln der neoliberalen Weltordnung, nennt er diese Leute lächerlich. Hier schimmert ein calvinistischer Zug durch, der Prediger, der stets einen Drang dazu hat, seine Schäfchen einzulullen, sie daran zu erinnern, dass sie sich an dem Platz, an dem sie von einer höheren Macht hingestellt wurden, auch einfügen sollen. Proteste laufen dieser Logik entgegen, denn sie sind Ausdruck dafür, dass man seinen Platz nicht so wortlos einnimmt. Diese normalen Menschen haben »an sich zu halten«. Wer das nicht tut, verletzt die Regeln seines Weltbildes. Genauso reagierte er, als eine Mehrheit für die Aufnahme von Edward Snowden war. Was erlaubten sich diese Menschen ein Urteil darüber abzugeben? Doch diese Haltung ist bei ihm nicht neu. Schon vor seiner Präsidentschaft giftete er die Kritiker der Agenda 2010 an, die unter dem Namen »Montagsdemos« protestierten. Diesen Namen hätte er wohl gerne markenrechtlich geschützt.
Dieser elitäre Dünkel, der »normalen Bürgern« verächtlich kommt, lebt sich noch auf eine andere Weise aus. Gauck würde gerne mehr Unternehmer im Bundestag sitzen sehen. Er ist Anhänger einer »Technokratie des Geldbeutels«. Es stört ihn weitaus weniger, dass so gut wie keine Abgeordneten aus der Arbeiterschaft im Parlament sitzen. Hier kommt die elitäre Blassiertheit mit seinem ökonomischen Verständnis zusammen. Sein Ideal ist ein Staat, in dem der »bessere Mensch« über die »Normalos« regiert und zugleich auch noch Fachmann innerhalb der herrschenden Ökonomie ist. Oder wenigstens wie ein Fachmann aussieht. Denn wenn man den Staat mit den Maximen einer Unternehmensführung leitete, würde er angeblich effizienter und besser.
Gauck ist politisch kurzsichtig und fahrlässig.
Besonders gut konnte man seine politische Kurzsichtigkeit, die schon geradezu fahrlässig wirkt, in den letzten Monaten erkennen. Dauernd plädiert er für Waffeneinsätze und starke deutsche Militärpolitik. Mittlerweile nutzt er jeden Anlass, um seinen Missionierung zur Mobilmachung unter die Leute zu bringen. Selbst Gedenkveranstaltungen reißt er an sich, um die ohnehin schwierige politische Lage in Osteuropa nochmals zu verschlimmern. Zu glauben, dass eine Europäische Union unter Waffen dem Kontinent den Frieden sichert, ist ein Akt fataler Kurzsichtigkeit. Im ersten Moment mag eine solche europäische Waffenbrüderschaft ein Patt schaffen. Aber Gauck verwechselt diesen Stillstand mit Frieden. Langfristig kann das kein Weg sein.
In dieser Kurzsichtigkeit steckt von allen Makeln seines Charakters etwas. Da ist natürlich die ökonomische Komponente, denn der Osten wäre ein feiner Markt für die Europäische Union und Deutschland. Vermutlich hat er sich das einflüstern lassen. Dazu kommt ein Missionseifer, der schon fast Züge eines religiösen Wahns trägt. Und es ist das elitäre Sendungsbewusstsein, dass sich hier übernational betätigt und den »wilden Völkern« zeigen will, wie es richtig funktioniert. Gauck ist aber nicht nur in dieser Angelegenheit kurzsichtig, sondern wirkt in vielen Bereichen eher wie jemand, der von Mittag bis zwölf Uhr denkt. Sei es in Sachen Sozialstaat, Überwachung oder Islam in Deutschland. Er hetzt zwar nicht gegen Moslems, aber den Islam sieht er durchaus als Schule radikaler Affekte an. Und zu Deutschland gehört er auch nicht. Er bezieht sich dabei auf die abendländische Geschichte, die aber durchaus nicht so islamfrei ist, wie das ihre Erzähler gerne behaupten.
Gauck ist der falsche Präsident in einer schwierigen Zeit.
Von diesem Bundespräsidenten wird wenig Substanzielles übrigbleiben. Mal abgesehen von der Aushöhlung eines Amtes, das nicht mehr überparteilich wahrgenommen, sondern als verlängerter Arm der Tages- und Wirtschaftspolitik verstanden werden wird. Viele Medien lassen nur noch selten ein gutes Haar an ihm. Es ist fast so, als habe man von seinem Gehabe die Nase voll. In meinem Bekanntenkreis höre ich zwar selten etwas zu Gauck, wenn aber doch, sind es meist hämische Worte. Einer nannte ihn einen »unympathischen Quasselkasper ohne Charisma«. Er wird als eitel und abgehoben wahrgenommen. Zuletzt auch als Kriegstreiber, der besser mal den Mund halten sollte. Er scheint isoliert und man kann annehmen, dass - entgegen anderslautender Meldungen, die man dieser Tage so liest - eine zweite Amtszeit von einer breiten Mehrheit nicht befürwortet würde.
Ist er der schlechteste Bundespräsident aller Zeiten? Man kann Äpfel und Birnen, Lübkes und Gaucks nicht vergleichen. Das wäre nicht statthaft. Lübke kam aus einer anderen Zeit und saß diesem Land auch zu einer anderen Zeit vor. Aber Gauck scheint zumindest wie Lübke aus seiner Zeit gefallen. Er ist ein Transparenzvereitler in Tagen, da die Bürger Transparenz für wichtig halten. Er ist ein Militarist in einer Ära, da man am Frieden festhalten möchte. Und er ist ein sozialstaatlicher Anti-Etatist in einer Epoche, die eine neue Massenarmut schafft. Kurzum, er ist ein Präsident von gestern, der im Heute überfordert ist und diese Überforderung mit eloquenter Rhetorik vertuscht.
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