Eliten in Gefahr

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Es hat so lange so gut funktioniert! Warum also sollte man es ändern? Never change a winning team, lautet bekanntlich seit ewig die Devise.  Doch diejenigen, die sich für die Elite halten und es laut ihrem Kontostand auch sind, haben es offensichtlich verpeilt.  Über so viele Jahre war die sogenannte Mittelschicht der Garant für ihren Reichtum.  Dieser Mittelschicht hatte man suggeriert, sie könne es auch in die Elite schaffen, wenn sie sich nur genug anstrengt.  Ein Trugbild natürlich, weit weg von der Wahrheit. Aber ungeheuer nützlich!

 

Der Mittelschicht ging es lange recht gut. Die Rechnungen konnten problemlos bezahlt werden. Die jährliche Urlaubsreise schaffte physische und psychische Erholung. Ab und zu gab es das neue Modell des Mittelklasse-PKW für die Mittelschicht. Und das Reihenhaus. Harmonie allerorten und relative Zufriedenheit mit dem eigenen Sein. Nicht zuletzt wegen der Aussichten, die immer wieder proklamiert wurden: Jeder, der sich anstrengt und viel arbeitet, kann es schaffen. The American Dream – überall, nicht nur in den USA. Natürlich hatte diese Mittelschicht nie wirklich die Chance, irgendwann selbst zur Elite zu gehören. Aber sie fühlte sich so und das allein war wichtig: Wir sind die auf dem Weg nach oben.

Wer aufmuckte, weil es ihm nicht so gut ging, dem wurde über den Mund gefahren: Schau uns an! Siehst du, wer sich nur genug anstrengt, der kann es schaffen. Der kann auch zur Mittelschicht gehören. Wenn du es nicht schaffst, ist es deine eigene Schuld! Dann strengst du dich eben nicht genug an! Dieser Tenor sorgte über Jahrzehnte für den nötigen Puffer zwischen aufmüpfigen Habenichtsen und den Eliten dieses Planeten: Die viel gelobte breite Mittelschicht sorgte dafür, dass “die da oben” nicht belästigt wurden. Der Protest derjenigen, die den Ungerechtigkeiten des Systems zum Opfer fielen, wurde bereits von der Mittelschicht abgefangen und gelangte nie nach oben: “Selbst schuld!”

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Doch diese Situation ändert sich seit ein paar Jahren und zwar in gravierender Weise, besonders in Europa. Die Eliten scheinen vergessen zu haben, wie sehr sie in der Verangenheit durch den Mittelschicht-Puffer abgesichert worden sind, und haben den Klassenkampf von oben begonnen. Das zeugt nicht von besonderer Intelligenz! Drastische Streichungs- und Kürzungsprogramme in den “Schuldenstaaten” (also in allen) sorgen dafür, dass die Mittelschicht wegbricht und täglich dünner wird. Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, Hypothek nicht mehr zahlen können, Zwangsräumung, Elend – die Spirale, die vorher angeblich immer nur die erfasste, die “selbst schuld” waren, kann heute jeden in den Abgrund reissen.

Tatsächlich trifft es auch immer mehr Menschen. Erst in Griechenland, dann in Portugal, Spanien, Italien. Bald in Frankreich und am Ende sowieso auch in Deutschland, wo die viele Menschen nur noch zaghaft davon reden, dass es ihnen “doch vergleichsweise noch gut” geht. Noch. Ende absehbar. Dieses Gefühl macht sich mehr und mehr breit. Wer es nicht weiss, ahnt es dennoch längst: noch gut, vergleichsweise. Die Mittelschicht zweifelt zunehmend daran, dass sie “es schaffen” kann. Eher fragen sich Herr und Frau Mittelschicht, wie lange sie noch dazu gehören können zu dieser Ebene, die bisher vermeintlich Sicherheit und Wohlergehen garantierte.

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In Madrid, Athen und Lissabon trifft sich die ehemalige Mittelschicht jetzt zum Protest gegen den Absturz. Überall anders kann man getrost darauf warten …

Wir hatten es schon einmal in einem anderen Artikel gesagt: Nein, wir sitzen nicht alle im selben Ruderboot! Es ist eine Galeere mit zwölf Stockwerken. Im zweiten Stock von unten sitzen diejenigen, die 2.000 Euro oder Dollar verdienen. Mit grimmigem Gesicht verlangen sie jetzt immer noch von denjenigen unter ihnen, die weniger als 1.000 verdienen, verdammt nochmal endlich Opfer zu bringen und zu sparen, damit die Galeere gerettet werden kann. Die da ganz oben, im 12. Stock, löffeln den Kaviar, lachen sich schlapp über die Vollpfosten im zweituntersten Stockwerk und bedanken sich für die intensive Zusammenarbeit.

Doch auch im 12. Stock wird das Gelächter langsam leiser. In einer Welt, in der es zu viele Arme gibt, lebt man als Reicher nicht mehr gut. Die Bewohner von mit sündhaft teuren Sicherheitsmassnahmen abgeschotteten Reichenviertel in Südamerika können ein Lied davon singen, wenn sich einen Kilometer weiter die verschachtelten Slum-Hütten den Hügel hochziehen. Die Eliten dieses Planeten sind nur noch reich. Klug sind sie ganz offensichtlich schon längst nicht mehr. Wer den Mittelschicht-Puffer, der bisher für ihre Sicherheit gesorgt hat, mittels Klassenkampf von oben freiwillig und mutwillig abschafft, muss sich demnächst direkt und ohne schützende Mittelschicht mit denen auseinandersetzen, die jetzt brachial ins Elend gestürzt werden. Das wird kein Spass!

In den Südländern gab es 2012 den Vorgeschmack auf das, was überall automatisch und viel heftiger folgen muss, wenn mehr und mehr Mittelschichts-Angehörige abrutschen und plötzlich merken, dass sie gar nicht “selbst schuld” waren. Die Angst davor wird auch dort spürbar grösser, wo es “uns vergleichsweise noch gut” geht. Die einzige Frage, die bleibt: Endet das in gewalttätigen Konflikten “Eliten gegen immer mehr Arme” – oder raffen sich immer mehr Arme und solche, die es bald werden, gemeinsam dazu auf, ein deutliches Stopp-Schild aufzustellen und zu sagen: Moment, so nicht! Das war so nicht gedacht, das darf so nicht weitergehen! Das wollen wir so nicht!

2013 wird ein spannendes Jahr. Wenn schon kein besonders angenehmes Jahr, spannend wird es in jedem Fall. Sind Sie noch Mittelschicht?

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