Einmal Prag und zurück

DIE LIEBE ZU EINEM ANDEREN MENSCHEN DEFINIERT SICH NICHT NUR DURCH DIE STÄRKE DER ZUNEIGUNG, SONDERN VIEL MEHR DURCH DIE BEREITSCHAFT, SICH ZU JEDER ZEIT FÜR DIESEN AUFZUOPFERN(Vincent Deeg)
Es war ein kalter aber doch schöner Wintermorgen, als Michaela und Gerd, während die Sonne langsam den von Wolken freien Himmel empor stieg und die Eiskristalle des frisch gefallenen Schnees glitzern ließ Hände haltend durch die kleinen und verschneiten Gassen der Prager Innenstadt gingen.
Eine Szene, die aus einem Bilderbuch oder vielleicht aus der Feder eines Poeten hätte stammen können. Jedoch nur auf den ersten Blick. Denn so romantisch sich dieses Bild für den außenstehenden und unwissenden Betrachter auch dargestellt haben mag, so war es doch, zumindest in diesem Augenblick von einer Stimmung dieser Art mehr als weit entfernt.
Ja. Michaela und Gerd waren ein Liebespaar. Doch an diesem kalten Morgen, als sie schweigend an den teilweise vereisten Fenstern der alten Häuser vorbei gingen, als sie immer wieder, so als befürchteten sie, sich gegenseitig zu verlieren die Hand des anderen drückten, war es nicht das Glück, das sie auf ihrem Weg begleitete, sondern die Angst, die sie mit ihrem eisigen Atem umhüllte.
Die Angst vor der nahen Zukunft. Vor dem, das passieren würde, wenn ihr Plan schief ging. Ein Plan, den sie gemeinsam mit einem Freund geschmiedet hatten und dessen Gelingen das junge Paar für immer zusammen bringen, dessen Scheitern sie jedoch in eine wahren Katastrophe führen würde. Eine Katastrophe, die, wenn sie Pech hatten und man ihren Betrug entdeckte schon in den nächsten Stunden über sie hinweg brechen konnte.
*
Fast ein halbes Jahr war seit dem Abend vergangen, als Michaela beschloss etwas zu unternehmen. Als sie sich entschied, Gerd, den sie ein paar Monate zuvor in Ostberlin kennen und lieben gelernt hatte zu sich nach Westberlin zu holen. Als sie es endlich satt hatte, jedes Mal, wenn sie ihren Liebsten besuchte, das Gefühl zu haben, jemanden im Gefängnis zu besuchen. Als sie es nicht mehr länger ertragen konnte, in die traurigen Augen dieses Mannes zu sehen, wenn sie ihn nach jedem ihrer Besuche um Mitternacht zurücklassen musste. Zurück in dieser grauen und trostlosen Welt.
Nein. Sie wollte nicht länger zulassen, dass andere über ihr gemeinsames Leben und Glück bestimmten. Dass man ihr sagte, wann sie Gerd sehen durfte und wann nicht.
Doch was konnte sie gegen all das tun? Wie sollte sie es anstellen, jemanden aus diesem dunklen Käfig zu befreien? Aus einem Staat, der seine Bewohner als sein Eigentum an sah und der niemanden freiwillig gehen ließ. Ein Staat, der jeden erschoss oder für eine sehr lange Zeit ins Gefängnis warf, der den Versuch wagte, diesem zu entfliehen.
Ein Risiko, das Michaela, die als damalige Mitarbeiterin einer Berliner Tageszeitung ganz genau wusste, was sich an der Grenze der DDR beinahe täglich abspielte auf keinen Fall eingehen wollte. Und das die junge Frau fast dazu gebracht hätte aufzugeben. Wenn es nicht diesen einen Freund Namens Joachim gegeben hätte, der sie eines Tages mit einer Idee überraschte.
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Es war ein Plan, dessen Risiko zwar immer noch groß genug war, dessen Gelingen aber doch wahrscheinlicher schien, als all das, was Michaela zuvor in Erwägung gezogen und wieder verworfen hatte. Ein Konstrukt, in dem es um einen gefälschten Reisepass und um zwei Flugtickets nach Prag und zurück ging.
*
Es ist wohl jedem von uns klar, welche Rolle dieser falsche Pass spielte. Dass er allein dazu dienen sollte, Gerd eine neue Identität zu verschaffen. Und die zwei Flugtickets?Was hatte es damit auf sich?
Mit ihnen sollte es, sobald der Reisepass organisiert war in die Tschechische Hauptstadt gehen. Dort, wo Gerd bereits auf sie warten würde, um das gefälschte Dokument und damit sein neues Ich entgegen zu nehmen und um gemeinsam mit seiner Michaela und Joachims Rückflugticket, welcher als normaler Tourist mit der Bahn nach Hause fahren wollte über Ostberlin nach Westberlin und somit in die Freiheit zu fliegen.
Natürlich war dieser Plan nicht perfekt. Denn er hatte, wie viele andere Fluchtplan vor ihm eine Schwachstelle. Ein sogenannter wunder Punkt, der das Pärchen am DDR Flughafen Berlin Schönefeld erwartete. Dort, wo man die Reisenden aus Westberlin von denen aus Ostberlin trennte. Wo man die Reisepässe der Touristen aus dem nichtsozialistischen Ausland ganz genau prüfte und wo man sie beide sofort verhaften würde, sollte Gerds neuer Pass die Prüfung der DDR Grenzorgane nicht bestehen.
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Verständlich also, dass Michaela und Gerd, nur wenige Stunden von ihrem Abflug und dem alles entscheidenden Augenblick entfernt nur nach außen hin den Eindruck vermittelten, ein Pärchen zu sein, dass ein paar romantische Stunden in einer romantischen Kulisse verbrachte.
Und dass sie kein Auge für die winterliche Schönheit hatten, die sie an diesem Morgen ringsum umgab. Nicht für die kleinen Gassen, die von ihren Ziegeldächern, bis hinunter zu den schmalen Straßen aussahen, als hätte sie jemand über Nacht in weiße Zuckerwatte getaucht und nicht für die vielen kleinen Fenster, auf denen der Frost seine Gemälde aus tausenden Eisblumen gemalt hatte.
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Michaela und Gerd bekamen noch einmal die Gelegenheit, diese märchenhafte Kulisse zu erleben. Doch bis dahin sollten noch ganze vier Jahre vergehen. Erst 1989, als endlich die Mauer fiel und die Diktatur der SED zu Ende ging, als sie nach Gerds geglückter Flucht wieder gefahrlos reisen konnten, machten sie sich erneut auf den Weg um die Stadt zu besuchen, in der die gefährliche Reise ihres Glückes damals ihren Anfang nahm.
Diese Geschichte beruht auf eine wahre Begebenheit. Sie wurde mir von einem guten Freund erzählt.
Alle hier beschriebenen Namen wurden geändert.

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