Eine stille Rebellion am Praterstern

Von Michaela Preiner

Explosion der Stille (Foto: European Cultural News)

22.

Oktober 2017

Theater

„Explosion der Stille“ nannte sich die jüngste Arbeit von Claudia Bosse und ihrem theatercombinat. Zu sehen und zu erleben war sie an einem der verkehrsfrequentiertesten Plätze Wiens – dem Praterstern.

Was passiert, wenn sich Menschen im öffentlichen Raum ungewöhnlich bewegen? Was passiert, wenn Menschen im öffentlichen Raum regungslos stehen und sich 30 Minuten nicht rühren?

Claudia Bosse inszenierte am Praterstern, inmitten eines wogenden und brodelnden Verkehrs von Menschen, Autos, Bussen und Straßenbahnen ihre neue Arbeit „Explosion der Stille“. Mit von der Partie waren rund 50 Freiwillige im Alter von 18 bis 80. Eine Stunde lang agierten sie nach einer zuvor einstudierten Choreografie. Sie summten gemeinsam leise, führten langsame Bewegungen aus, standen regungslos und erzählten Episoden aus ihrem Leben – im Futur.

Was ist da los?

Die Reaktionen der Vorbeikommenden waren unterschiedlich. Von erstaunt und neugierig über teilnahmslos bis hin zu aggressiv war alles vorhanden. „Ich habe aus dem Augenwinkel gesehen, wie eine Frau eine der Teilnehmerinnen anrempelte, als sie vorbei ging“, erzählte Philipp, der selbst aktiv dabei war. Seine Beobachtung war aber die einzige in dieser Art. „Mir ist etwas Lustiges passiert. Neben mir stand ein Mann, mit einer Zigarette in der Hand. Ich bin unglaublich sensibel, was Zigarettenrauch betrifft und als ich zu erzählen begann, sprach ich darüber, wie es mir als 14-Jährige vor Zigarettenrauch ekelte. Da begann der Mann zu schmunzeln und drehte sich zur Seite, hörte mir aber weiter zu“, berichtete Claudia, eine weitere Teilnehmerin von einem ganz persönlichen Performance-Erlebnis. Sie fand es aber zusätzlich auch spannend, den Raum aus einer gänzlich anderen Perspektive wahrzunehmen, als sie dies sonst gewohnt war. „Ich habe das Grün um mich plötzlich gesehen, genauso wie die kleinen Eingrenzungen. Und ich hatte Angst, keine 30 Minuten ruhig stehen zu können, da das Blut nach unten sackt und ich Bedenken hatte, umzufallen. Aber es war so etwas wie eine Thearpie für mich, als ich gemerkt habe, dass das doch ohne Zwischenfälle geht.“

Eine stille Rebellion am Praterstern

Explosion der Stille (Foto: European Cultural News)

Stillstehen und Schweigen als Herausforderung

Bosse hatte jeweils zwei Personen als „Paare“ auserkoren, die gegenseitige Bezugspunkte bildeten, wenngleich auch ohne direkten Blickkontakt. „Es ist interessant, wie sehr einen die Gruppe auch beeinflusst, wie viel man von ihr spürt, ohne sich dabei jedoch direkt auszutauschen.“ Lia ist selbst Tänzerin und würde jederzeit wieder bei einem Projekt wie diesem mitmachen. „Ich habe auch gelernt, dass man Schweigen aushalten kann“, so die junge Frau weiter. Als ich von einem Mann nach dem Weg gefragt wurde, wollte ich einhalten, was Claudia uns vorher mit auf den Weg gegeben hat. Ich schaute ihn nur intensiv an, aber ich schwieg. Als ich ihm dann Auskunft geben wollte, weil er mir leidtat, war er schon wieder einige Schritte von mir entfernt. Aber diese Aktion hat mir selbst viel gebracht. Ich weiß jetzt, dass man nicht immer gleich auf eine Frage antworten muss.“ Es sind offenbar auch so triviale Erfahrungen wie diese, die aber sehr viel mit Eigenermächtigung und Nonkonformität zu tun haben, die in Bosses Performances erlebt werden können.

Zweierlei Wirksamkeit

Der Theatermacherin geht es in ihren Arbeiten, was die Wahrnehmung betrifft, um zweierlei. Das eine sind die Reize, die das Publikum mitbekommt, das andere ist das, was die Inszenierung selbst bei den Darstellenden bewirkt. Ihr postdramatischer Ansatz, über das Leben des Einzelnen und unsere Gesellschaft öffentlichkeitswirksam mit jenen zu reflektieren, die bei ihren Aktionen mitmachen, zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeiten. Bei der Praterstern-Aktion kam noch eine weitere Bedeutungsebene hinzu. „Die Performance bezieht sich auch auf die Geschehnisse von 2011 (Anm: Occupy-Wallstreet)“, so Bosse in einem Gespräch vor der Aktion. Occupy Wallstreet war nicht nur Ausgang eines Widerstandes gegen die Auswüchse des Finanz- und Bankensektors und des Einflusses der Wirtschaft auf politische Entscheidungen. Die Rückeroberung des öffentlichen Raumes wurde durch die weltweiten Protestbewegungen erstmals wieder groß zum Thema – und blieb es in der Kreativ- und Alternativszene bis heute.

Der Praterstern hat eine lange Vergangenheit. Viele Menschen, die man dort antrifft, haben kein festes Dach über dem Kopf. „Es war sehr faszinierend festzustellen, dass sich die Menschen, die auf der Bank sitzen, die rund um ein Grünareal aufgebaut ist, mitsummten.“, erzählte Lia von ihrer Erfahrung dieser Szenerie. Die Menschen, die mitsummten, waren solche, die in Wien von der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden. Ohne finanzielle Mittel, ohne eine Bleibe, bietet ihnen der Praterstern noch eine Möglichkeit, miteinander im öffentlichen Raum zu kommunizieren.

Eine stille Rebellion am Praterstern Eine stille Rebellion am Praterstern

Explosion der Stille (Fotos: European Cultural News)

Eine stille Rebellion am Praterstern Eine stille Rebellion am Praterstern

Explosion der Stille (Foto: Eva Wuerdinger)

Ein Stück Poesie im hektischen Treiben

„Ich konnte mehreren Geschichten lauschen“, gab ein Besucher der Performance seine Eindrücke wieder. „Dabei ging es um persönliche Erlebnisse. Ängste, Sorgen, Nöte aber auch politisches Engagement kamen dabei zur Sprache. Unter normalen Umständen hätte ich mich nicht nah zu den Performenden gestellt, aber ich wusste, dass es eine Kunstaktion war, deswegen empfand ich mein Zuhören nicht nur als voyeuristische Aktion. Besonders für mich war jedoch jener Moment, in welchem die Performance zum Stillstand kam und gar nichts passierte. Das hatte etwas unglaublich Poetisches und Berührendes zugleich.“

Tatsächlich erlebten auch die Performenden diesen Moment als einzigartigen. Sich ganz auf sich selbst verlassen müssen, in sich und in die Umgebung hineinhören, wann tut man das sonst? Noch dazu im öffentlichen Raum? „Sich ganz auf die Umgebung konzentrieren, auf die Geräusche in diesem Umfeld, hatte auch etwas Herausforderndes. Den Verkehrslärm so intensiv wahrzunehmen, empfand ich auch als etwas Bedrohliches.“ Philipp war dennoch so beeindruckt von dem, was er in der Stunde am Praterstern erlebt hatte, dass er sofort wieder mitmachen würde.

„Explosion der Stille“ war eine Aktion, für die Claudia Bosse im Vorfeld jede Menge Genehmigungen einholen musste. Der öffentliche Raum ist zwar öffentlich, aber wenn es darum geht, ihn neu zu bespielen, die Wahrnehmungsmuster verschieben zu wollen, dann kommt man sehr schnell dahinter, dass dies nicht einfach ist. „Wir müssen uns an die Plätze halten, die ich euch jetzt zuteile – die Polizei ist sehr nervös geworden, als sie hörte, dass wir unsere Performance am Praterstern abhalten wollen, denn sie hat große Angst, dass es zu einem Verkehrschaos kommt.“, – O-Ton Bosse bei der Generalprobe.

Ein Verkehrschaos blieb aus, auch gab es keinerlei Beeinträchtigung der Aktion seitens der Passanten. Dennoch schrieb sich „Explosion der Stille“ sowohl in das kollektive Gruppengedächtnis der Teilnehmenden ein, als auch in das Körpergedächtnis aller, die dabei waren. Bosses Idee, durch eine Aktion einer Gruppe das Gefühl zu vermitteln, als Gruppe etwas bewirken zu können, hat natürlich auch eine politische Sprengkraft. Daran zu denken, dass dies vielleicht einmal in Wien nicht mehr möglich sein kann, ist beängstigend. Allein dieser Gedanke macht deutlich, wie notwendig Aktionen wie diese sind.

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