Eine gewisse Nervenstärke ist nicht ganz schädlich

Der Deutsche Florian Hirsch ist seit 2011 einer der Dramaturgen am Burgtheater. Wir sprachen mit ihm über sein Arbeitsgebiet und die Voraussetzungen, die man für diesen Beruf mitbringen muss.

Das Burgtheater hat mehrere Dramaturgen. Wie ist denn hier die Arbeitsaufteilung? Hat jeder von Ihnen Schwerpunkte, oder verteilen Sie von Saison zu Saison die Arbeit untereinander?

Wir sind vier Dramaturgen. Unter Federführung der Direktorin wird die Saison jeweils festgelegt. Die Aufteilung hängt tatsächlich mit zeitlichen Kapazitäten zusammen, das ist ganz pragmatisch. Es gibt aber auch immer wieder Kontinuitäten in der Regie-Dramaturgie-Beziehung. So etwas versucht man natürlich, aufrechtzuerhalten. Wenn man sich kennt, geht`s meistens einfach besser.

Mit 16 war Hirsch auf der High-School in Amerika und hat in Berlin Germanistik und Nordamerikanistik mit dem Schwerpunkt amerikanische Literatur studiert.

Greift man aus diesem Grund bei Produktionen, die auf englischen Texten basieren, gerne auf Ihre Hilfe zurück?

Ja, ich mache das gerne, und kulturelle und sprachliche Kenntnisse sind natürlich hilfreich, da man ja meist am Text das eine oder andere auch noch ändern muss. Ich habe einfach einen guten Zugang zu amerikanischen Stoffen und Stücken.

War es von Haus aus Ihr Berufswunsch, Dramaturg zu werden?

Während des Studiums in Berlin habe ich schon viel Off-Theater gemacht und habe relativ schnell erkannt, dass ich nicht in die Wissenschaft möchte, sondern dass ich mit Texten praktisch arbeiten möchte. Dann bin ich über Hospitanzen da reingerutscht und hab entdeckt, dass das etwas ist, was mir gut liegt.

Florian Hirsch war am Maxim-Gorki-Theater in Berlin Assistent und hat dort mit Regisseuren gearbeitet, die auch in Wien gearbeitet haben. Insbesondere war es Stefan Bachmann, der ihn nach Wien empfohlen hat.

Sind Sie glücklich in Wien?

Ja!

Möchten Sie nicht mehr zurück nach Deutschland?

Sollte ich Wien jemals verlassen müssen, was ja passieren wird, werde ich es mit großen Schmerzen tun. Es ist ja immer so, dass die Dramaturgie an die künstlerische Leitung gekoppelt ist.

Können Sie in einem Satz beschreiben, was ein Dramaturg macht – für all jene, die keine Ahnung haben?

Die Frage wird mir oft gestellt und ist auch legitim, weil die meisten Leute tatsächlich nicht wissen, was ein Dramaturg macht. Es ist auch schwer zu beschreiben, die Arbeitsaufgaben sind auch nicht immer gleich. Ganz grob gesagt, würde ich die Aufgabe in zwei Hälften teilen. In der einen Welt des Dramaturgen wählt er – gemeinsam mit der Intendantin – Stoffe und Stücke aus, entwickelt Konzepte für die Spielzeit, Besetzungen, engagiert Schauspieler und Regisseure, erledigt vieles, was die operative, künstlerische Leitung eines Hauses ausmacht, bis hin auch zu Marketingaufgaben.

Die andere Welt ist die Produktionsdramaturgie. Das hängt sehr, sehr davon ab, mit welchem Regisseur man gerade zusammenarbeitet. Inwieweit man da involviert ist, ob man viel auf den Proben ist. Bei „Hotel Europa“ wurde gemeinsam mit dem Regisseur und den Schauspielern das Stück überhaupt erst entwickelt. Da ist die Herausforderung eine größere, als wenn man ein well-made-play auf die Bühne bringt. Es ist von Regisseur zu Regisseur völlig unterschiedlich, wie weit er auf die Arbeit eines Dramaturgen zurückgreift, inwieweit er das zulässt und möchte. Auf jeden Fall ist ein sehr großer Teil meiner Arbeit, die Produktionsdramaturgien zu machen. Ich bin dabei viel im Arsenal und hier im Haus auf Proben.

Was ist für Sie das Spannendste in Ihrem Beruf?

Grundsätzlich ist es die Arbeit mit sehr, sehr vielen interessanten Menschen, die den Beruf spannend macht. Begegnungen, die man in der stillen Schreib- oder Lesestube nicht hat. Und dass man sich mit Weltliteratur und Stoffen, die einen bewegen, zu tun hat. Das ist für mich das Elementare.

Der Umgang mit Menschen ist ein großer Teil seines Jobs. Ein Teil, der sich oft gar nicht so sehr auf den Inhalt der jeweiligen Produktion bezieht, der aber eher „Kenntnisse psychologischer Natur erfordert.“

Braucht man gute Nerven?

Ja.

Vornehmlich in welchen Situationen?

Ich würde das gar nicht negativ sehen. Eine gewisse Krisenhaftigkeit gehört einfach zum künstlerischen Entwicklungsprozess. Es gibt Regisseure, die am Anfang sehr langsam in die Gänge kommen und je näher die Premiere rückt, desto größer wird natürlich der Druck. Dann muss man in kürzester Zeit noch viele, schnelle Entscheidungen treffen und ganz kurz vor der Premiere noch Veränderungen machen, manchmal sogar noch am Tag der Premiere. Dafür ist eine gewisse Nervenstärke nicht ganz schädlich.

Gibt es Regisseure oder Regisseurinnen, mit denen Sie gerne arbeiten würden?

Ich hätte gern einmal mit Christoph Schlingensief gearbeitet. Und mit Sam Peckinpah.

Wie viele Produktionen betreuen Sie pro Jahr?

Das ist unterschiedlich, aber normalerweise sind es etwa vier.

Der Rechercheanteil Ihrer Arbeit ist nicht unerheblich. Wie hoch schätzen Sie ihn ein?

Das kann man schwer sagen. Das ist ein fließender Prozess. Während der Proben und danach sitzt man mit dem Regisseur zusammen, liest gemeinsam Texte, Sekundärliteratur und dergleichen und es hängt tatsächlich immer sehr vom Stoff ab. Es gibt Stücke, für die man nicht allzu viel Recherche braucht und andere, die ein ganzer Kontinent von Recherche sind. Wir haben hier im Haus aber auch Unterstützung. Rita Czapka, die für Recherche und Archiv zuständig ist oder Referentinnen in der Dramaturgie oder gute Assistenten und Assistentinnen, man muss ja nicht alles alleine machen.

Gibt es dabei auch erkenntnishafte Momente, in welchen es auch schon einmal „bing“ macht?

Im Idealfall ja, das passiert aber leider nicht immer.

Läuft man da durchs Haus und ruft: „Ich habwas, ich hab was!?“

Ja, oder man läuft in den Volksgarten und freut sich! Aber, wie schon gesagt, ich sitze mit den Regisseuren auch nach der Probe oft zusammen und wir reflektieren, was da überhaupt passiert ist und was wir am nächsten Tag machen werden. Egal, ob man davor ein noch so gut ausgefeiltes Konzept gehabt hat, kristallisiert sich oft dieser Erkenntnispunkt, den man eigentlich sucht, ohne es zu wissen, erst im Laufe der Proben heraus. Wenn es solche Momente gibt, dann hat man die meistens nicht alleine, sondern erlebt sie gemeinsam im Austausch miteinander.

Was war denn bei „Hotel Europa“ die absolute Herausforderung?

Zuerst einmal war es eine sehr komplexe Stück- und Stoffsuche. Wir haben verschiedene, auch ganz herkömmliche Stücke geprüft. Ursprünglich hatten wir einmal die Idee, „Hotel Savoy“ zu machen, waren dann aber davon abgekommen, weil auch Antú Nunes der Meinung war, dass dieser Roman für ihn nicht ganz ausreicht, um auf der Bühne was damit zu erzählen. Das war noch vor den großen Flüchtlingsströmen, da war die Griechenlandkrise gerade in der Luft – da sind wir immer zu dem Thema Europa zurückgekommen. Dann haben wir irgendwann einmal gesagt, Joseph Roth ist jemand, der uns heute etwas über Europa erzählen kann, über das Europa von gestern, heute und morgen. Vor dem Hintergrund des Untergangs der k. und k. Monarchie, welche, sehr grob gesagt, ja eine Art Europäische Union „avant la lettre“ dargestellt hat, in ihrer Vielsprachigkeit und Übernationalität.

Eine gewisse Nervenstärke ist nicht ganz schädlichFlorian Hirsch (c) Reinhard Werner

Natürlich war es ein autokratisches System, aber es gab schon gewisse Ansatzpunkte wie das Wiener Parlament, in dem eine Vielzahl an Sprachen gesprochen wurde. Da sind die Parallelitäten ja frappierend. Und der Heimatverlust, die tiefe Einsamkeit und Vereinsamung der Figuren bei Joseph Roth hat uns sehr interessiert. Wir wollten das Stück nicht nur mit einem Roman machen. Zumal ja oft zu Recht gesagt wurde, dass Joseph Roth eine einzige, große Erzählung geschrieben hat. Was man daran sieht, dass viele Figuren immer wieder auftauchen und dass es immer wieder ganz klar besetzte Themen gibt. Deswegen haben wir gesagt, wir können, gemeinsam mit den Schauspielern, einen eigenen Abend auf der Basis von Texten von Roth, aber auch anderen Texten wie solchen von Zweig oder aktuellen wie von Prof. Dr. Fischer, dem deutschen Bundesrichter, oder auch mit Improvisationen, die aus der Probenarbeit eingeflossen sind, machen. Wir hatten zu Probenbeginn sehr viel gelesen und ausgewählt, aber keine fertige Textfassung. Nicht einmal ansatzweise. Das war dann ein Prozess, den wir gemeinsam in einer Art Siebverfahren, gemeinsam mit den Schauspielern, letztlich bis zur Premiere verfolgt haben.

Ist ein Stück, das auf diese Weise gemeinsam erarbeitet wird, dann so etwas wie „Ihr Baby“?

Es ist „unser Baby“ und tatsächlich man hat mehr Vatergefühle als zum Beispiel bei Klassikern, das ist richtig. Und das Stück liegt mir ja wirklich sehr am Herzen.

Warum sollten sich denn die Leute Hotel Europa ansehen?

Weil dort auf ganz besondere Weise vier Schauspieler zusammen eine große Geschichte mit relevanten Themen erzählen. Sie erschaffen dabei eine eigene Welt, die sehr viel mit der Lebenserfahrung von heute zu tun hat. Es ist ein politischer, aber auch ein sehr poetischer Abend. Ein Abend, den viel mehr Menschen sehen sollten, auch gerade, um die Arbeit von Antú Romero Nunes hier zu würdigen.

Das neue Stück „GEÄCHTET“, das Sie dramaturgisch betreuten, spielt in New York, verhandelt aber Fragen, die gerade auch in Europa brisant sind. Sind Sie der Meinung, dass dieser örtliche Abstand dem Publikum den Blick und die Beurteilung auf das Thema erleichtert?

Ich glaube nicht, dass die örtliche Distanz dem Publikum den Blick erleichtert. Trotz seiner universellen Botschaft spielt das Stück in einem US-amerikanischen Kosmos, wurde in pointiertem amerikanischen Englisch verfasst, und eine große Aufgabe für die Inszenierung war es daher zunächst einmal, den Transfer in die deutsche Sprache, auf eine deutschsprachige Bühne zu schaffen. Das Ziel der Regisseurin Tina Lanik war es, mit den Schauspielern ein derart klares Bewusstsein für die verhandelten Probleme zu erreichen, dass sich diesen großen Themen wie Religion, Integration und Identität auch in Wien niemand entziehen kann. Ich denke, dass ist ihr sehr gut gelungen.

Wird die Wahl von Donald Trump und der allgemeine, europäische Rechtsruck einen Einfluss auf die Auswahl der künftigen Stücke haben, die Sie aussuchen und betreuen werden?

Klare Antwort: Ja! Das Theater muss sich gerade in gefährlichen und unübersichtlichen Zeiten, in denen „postfaktisch“ zum „Wort des Jahres“ werden kann, unbedingt dem öffentlichen Diskurs stellen. Es muss sich auflehnen und Fragen formulieren. Ob man dies nun mit relevanten Gegenwartsstücken oder mit Shakespeare macht, wird man von Fall zu Fall sehen. Ich bin jedenfalls froh, dass wir mit GEÄCHTET nun ein wirklich packendes, aktuelles Stück, das sich mit fundamentalen gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzt, auf der großen Burg-Bühne spielen.

Würden Sie jungen Kolleginnen oder Kollegen, die Literatur- oder Theaterwissenschaften studieren raten, in die Dramaturgie zu gehen?

Wenn sie eine Leidenschaft fürs Theater haben und gute Nerven, wenn sie wenig Schlaf brauchen, dafür lange Sommerferien haben wollen, ja!


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