Eine Antwort.

… auf den deutschen Arzt, der ganz offensichtlich der Meinung ist, dass der Apothekerberuf überholt ist und der sehr gerne die ganzen Medikamente auch bei sich in der Praxis abgeben würde.

(Siehe Kommentare auf den Post: Änderungen in Sichtweite …)

Zuallererst einmal: Ich nehme das als Affront, das mir von Ihnen jegliche Diagnosefähigkeit abgesprochen wird. Ich triagiere zuerst einmal und schicke zum Arzt, was dahin gehört. Wenn es sich um ein gesundheitliches Problem handelt, das ich mit meinem Mitteln behandeln kann, dann mache ich das (und zwar nach einer Befragung über die Vorgeschichte und andere Medikamente etc.). Dafür bin ich auch ausgebildet worden! Unsere Ausbildung wurde schon lange an die aktuelle Situation angepasst – und das funktioniert.

Ganz offensichtlich sogar so gut, dass uns hier in der Schweiz wohl bald noch mehr Kompetenzen in die Richtung gegeben werden. Vor allem was die Weiterbehandlung und Kontrolle von diagnostizierten gesundheitlichen Problemen betrifft. Ich möchte hier vor allem auf Diabetes und Blutzuckerkontrolle und Hypertonie und die Einstellung und Überwachung des Blutdruckes hinweisen. Es gibt in der Schweiz schon Zirkel wo Ärzte und Apotheker in diesen Bereichen zusammenarbeiten – zum Wohle des Patienten. Das ist nicht nur eine „Arbeitswegnahme“ bei den Ärzten. Die Ärzte, die da mit den Apothekern zusammenarbeiten sehen die nicht als Konkurrenz, Sie sehen das als Ergänzung und als Entlastung. Die Ärzte untersuchen und diagnostizieren die Patienten, die Apotheker beraten dabei die Ärzte bei der Wahl des Medikamente und machen die Nachsorge: Adhärenzkontrolle und Blutdruck- Blutzucker-Kontrolle bei den Patienten. Bei auftretenden Therapieproblemen, wie wenn zum Beispiel das Mittel nicht genügend wirkt, wird mit den Ärzten Rücksprache genommen und neu eingestellt. Das spart nicht nur dem Gesundheitssystem Kosten wegen weniger Arztbesuchen, sondern auch, weil diese Patienten tatsächlich einen besser eingestellten Blutdruck / Blutzucker haben … und demnach weniger Folgeprobleme.

Es existieren Studien, die den Erfolg dieses Systems nachweisen (ich bin jetzt bloss zu faul zum suchen).

Aber zur Selbstdispensation des Arztes: In der Schweiz mag das mit dem Medikamentenlager beim Arzt noch (halbwegs) funktionieren – speziell weil die leider immer noch nicht die gleichen Voraussetzungen erfüllen müssen, wie wir in der Apotheke. Aber angenommen, das würde in Deutschland eingeführt mit dem Gesundheitssystem, das ihr jetzt habt?

Ach ja, ich denke (nach dem was ich lese), dass das System der Rabattverträge in Deutschland von Ihnen noch nicht ganz verstanden wurde (was ich erstaunlich finde, aber es zeigt vielleicht auch, dass Sie nicht soviel Ahnung haben von der Abgabe der Medikamente, wie Sie denken). Lassen Sie mich erklären, wie das funktioniert (und die deutschen Apotheker mögen mich korrigieren, wenn etwas davon nicht stimmt). Die verschiedenen Krankenkassen machen alle paar Monate für verschiedene Wirkstoffe Ausschreibungen. Die Pharmafirmen geben Gebote ab, wieviel sie für die Medikamente verlangen würden. Die Krankenkasse macht mit der für sie günstigsten Firma Verträge – die Rabattverträge. Wieviel die Firmen dann tatsächlich für die Medikamente von den Kassen verlangen und wieviel die Kassen da sparen, weiss keiner, da die Kassen das nicht offenlegen müssen. Sie beharren aber entsprechend bei den Apotheken darauf, dass nur die Medikamente abgegeben werden, wo die Kasse die entsprechenden Rabattverträge hat.

Ich persönlich finde das eine unglaubliche Sache, dass derartiges überhaupt gemacht wird! Da schreibt die Krankenkasse – die nun wirklich nur wirtschaftliche Interessen hat und keinen medizinischen oder pharmakologischen Hintergrund – den Ärzten und Apothekern vor, welches Generikum sie verschreiben / abgeben müssen. Da müssen Sachen substituiert  werden, wo ein Wechsel eine so grosse Änderung der Bioverfügbarkeit zu Folge hätte, dass man den Patienten faktisch neu einstellen müsste. Das kann man (mit Mühe) in der Apotheke verhindern – allerdings nur mit grossem Bürokratischen Aufwand (muss alles festgehalten werden und ein Formfehler führt auch zur Nullretaxation: siehe unten). Da müssen den Patienten ständig wechselnde Generika abgegeben und erklärt werden … und gerade bei älteren Patienten sorgt das für Verwirrung und Falscheinnahmen.

Was hat die Apotheke davon? Nur die Arbeit, noch mehr Bürokratischer Aufwand und nichts von dem „ersparten“ Geld. Tatsächlich wird sie auch noch bestraft – und zwar mit sogenannter Nullretaxation – wenn mal ein anderes Generikum abgegeben wurde als das von der Krankenkasse gewünschte oder ein Formfehler auf dem Rezept vom Arzt nicht bemerkt wurde oder etwas nicht ganz korrekt (in den Augen der Kasse) protokolliert wurde.

Eine Nullretaxation ist, wenn die Kasse nicht nur die Differenz des Preises zwischen den Generika zurückverlangt (das machen sie nie), sondern gleich das ganze abgegebene Medikament nicht bezahlt. Je nach Medikament geht es da um hunderte bis tausende von Euros. Das lohnt sich für die Kasse immer.

Übertragen wir diese Situation jetzt also auf die Arztpraxis.

Als erstes müsste der Arzt auch ein Computersystem haben, das auch die aktuellen Rabattverträge der Krankenkassen anzeigt. – Kein Problem. Einfach ein bisschen teuer und muss regelmässig (und zwar nicht nur alle paar Monate, sondern mindestens wöchentlich) upgedatet werden.

Dann die Lagerhaltung der Medikamente:  wie gesagt: verschiedene Krankenkassen, verschiedene verlangte Generika. Es reicht also nicht (wie bei uns möglich) nur 1 Generikum von einer Firma und vielleicht nur 1 oder 2 Grössen davon von einem Medikament an Lager zu halten.  Das sind pro Wirkstoff mehrere.

Und: sie wechseln gelegentlich.

Damit müssen Sie auch alle paar Monate auch ihr Lager anpassen.

Viel Spass mit der Lagerhaltung in der Arztpraxis – aber Sie haben ja gesagt, das sollte für eine frisch eröffnete kein Problem sein? Platzmässig nicht und finanziell wohl auch nicht?

Natürlich … könnten Sie die Medikamente dann auch bestellen. Das geht in der Apotheke innerhalb eines halben Tages, für die Schweizer Ärzte (nach dem was Sie gesagt haben) innerhalb eines Tages … aber dann muss der Patient ja auch wieder zu Ihnen zurück-kommen. Da existiert dann kein Vorteil mehr gegenüber der Abgabe in der Apotheke.

Dann … angenommen, die Krankenkasse setzt bei Ihnen die gleichen Mass-stäbe an, wie bei den Apotheken und retaxiert „falsch“ abgegeben Generika auf Null. Ich könnte mir vorstellen, dass das  finanziell so belastend würde, dass selbst Sie Sich das mit der Medikamentenabgabe nochmals überlegen würden. Aber es ist ja alles für das Patientenwohl, richtig?

Bei Ihren ganzen Überlegungen, dass das ja die Apothekenhelferin in der Praxis ja auch könnte mit dem entsprechendem Interaktionsprogramm vergessen Sie, dass die Anzeige der Interaktionen nur das eine ist. Die Interpretation das zweite. Nicht jede Interaktion ist gleich schwerwiegend.

Eigentlich hätte ich gedacht, dass so etwas in den Arztpraxen jetzt schon passiert, bevor ein Rezept herausgeht.  Wäre doch überaus sinnvoll, oder?

Das Gefühl habe ich allerdings nicht, wenn ich die Rezepte hier in der Apotheke sehe. Ich muss täglich mehrmals eingreifen wegen Wechselwirkungen, wegen Dosierungsproblemen etc – selbst bei Sachen, die vom gleichen Arzt verschrieben wurden. Und: ich sehe bei mir in der Apotheke viele Patienten die verschiedene Ärzte besuchen. Bei mir kommt diese Information zusammen. Ja, auch wenn es Ihnen nicht passt – als Apothekerin bin ich die zweite (und unabhängige) Kontrollinstanz der Medikamente. Und ja: es braucht mich auch in Zukunft noch, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen.

Übrigens: die Öffnungszeiten der Apotheken in der Schweiz sind durchgehend (Notfallapotheken sei Dank) und damit genauso lang wie die der Ärzte (mit dem Notfalldienst). Also *das* ist jetzt wirklich kein Argument gegen Apotheken.


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