Einar Schleef, alles wacht Jelineks "Sportstück" am Wiener Burgtheater
Jede ist Ihres Glückes Schmied. Elfriede Jelinek selbst hatte sich den für kreatives Chaos bekannten Regisseur aus der DDR, Einar Schleef, für die Uraufführung ihres jüngsten Bühnenwerkes mit dem Titel "Sportstück" am Wiener Burgtheater gewünscht. Und anscheinend hat sie auch Rest-Fragemente aus ihrem 182seitigen Textkonvolut wiedererkannt, denn sie nahm nach sechseinhalbstündiger Aufführungsdauer den erstaunlich impulsiven Jubel des Publikums mit dem ihr eigenen skeptisch-scheuen Lächeln entgegen.
Das "Sportstück" ist ganz gewiss das am wenigstens dramatische Werk von Elfriede Jelinek. Es ist der in ausufernde Monolge und Chorpassagen gegliederte Versuch, der österreichischen Sportnation, die zur Zeit ohnedies in Hermann Maier-Vollnarkose liegt, den faulen Zahn des Chauvinismus zu ziehen. Wobei die Grundthese, dass Sport Mord, Mord auch Sport und Sport Kriegsersatz ist, so neu nicht ist.
Im Mittelpunkt der sprachlich zum Teil berauschend schön gestalteten, zum Teil aber auch durch wenig geglücktes Spiel mit Worten ausgiebig trivialen Ideensammlung zum Thema Leibeserziehung und Leibentfremdung, liegt das Opferbündel, welches von allen sprechenden Personen böse traktiert wird. Neben dem Chor, der in guter griechischer Tradition kommentierend eingereift, gibt es Prototypen, an denen die Schriftstellerin einzelne Denkpositionen ausgestaltet. Da ist die Mutter, deren Sohn beim Sport tödlich verunglückte, oder die junge Frau, die über den Zwang zur Schönheit räsoniert: "Die Frau muss schön sein, denn auch sie findet ja, ähnlich dem Sportler, ausschließlich in ihrem Körper statt. " Da ist der junge Body-Builder, welcher sich auf dem Weg, Arnold Schwarzenegger zu werden, selbst verloren hat, und da ist die Witwe, die ihr eigenes Maß ist und ihre eigene Maßnahme und ihre Opfer mit Überdosen von Blutzucker senkenden Mitteln aus dem Wege räumt, um an deren Besitz zu kommen (ein realer Fall der jüngsten Kriminalgeschichte).
Eine solche Fülle von Textmaterial, das auf keine bühnenwirksame Handlung hin organisiert ist, kann nur ein Theater-Sprengmeister wie Einar Schleef zwar nicht in den Griff, aber immerhin über weite Strecken zum Blühen bringen. Schleef hat im fast leeren Bühnenraum das "Sportstück" abwechselnd als rasantes Actiontheater und gigantisches Trainings-Camp, und dann wieder als sich provokant dem Diktat der Zeit widersetzende Durst- und Hungerstrecken der völligen Dunkelheit und Stille realisiert. Selbst die Auseinandersetzung des Regisseurs mit Noch-Burgtheater-Direktor Claus Peymann darüber, ob die Aufführung über 23 Uhr hinaus fortgesetzt werden dürfe (ab 23 Uhr sind am Burgtheater Überstundenzuschläge fällig), scheint ebenso inszenierte Improvisation gewesen zu sein wie der köstliche finale Auftritt Schleefs mit dem Text der "Autorin", den schon während der Proben Marianne Hoppe hingeschmissen hatte.
Außergewöhnliches an physischem Einsatz, aber auch an präziser Textbeherrschung und Artikulation bietet das 150-Mann -Frau und Fußballkinder-Ensemble. Leider hat Einar Schleef, anstatt ganz der Musikalität der Jelinekschen Sprache zu vertrauen, dem Stück vom "Steierischen Andachtsjodler" bis zu Gregorianischen Gesängen und Schlagerliedern alles aufgepropft, was in Hörweite war. Das Ergebnis: eine bildreiche, trotz allem geforderten Bewegungs-Aktionismus auf der Stelle tretende Inszenierung, die der literarischen Trag- und Spannweite der Vorlage keineswegs gerecht wird. Im März soll der sechseinhalbstündigen "Kurzfassung" eine Langfassung folgen. Sportlich, sportlich, und vielleicht reicht es ja auch fürs Guiness-Buch der Rekorde"
Günter Verdin
Hannoversche Allgemeine Zeitung
27.1.1998
Jede ist Ihres Glückes Schmied. Elfriede Jelinek selbst hatte sich den für kreatives Chaos bekannten Regisseur aus der DDR, Einar Schleef, für die Uraufführung ihres jüngsten Bühnenwerkes mit dem Titel "Sportstück" am Wiener Burgtheater gewünscht. Und anscheinend hat sie auch Rest-Fragemente aus ihrem 182seitigen Textkonvolut wiedererkannt, denn sie nahm nach sechseinhalbstündiger Aufführungsdauer den erstaunlich impulsiven Jubel des Publikums mit dem ihr eigenen skeptisch-scheuen Lächeln entgegen.
Das "Sportstück" ist ganz gewiss das am wenigstens dramatische Werk von Elfriede Jelinek. Es ist der in ausufernde Monolge und Chorpassagen gegliederte Versuch, der österreichischen Sportnation, die zur Zeit ohnedies in Hermann Maier-Vollnarkose liegt, den faulen Zahn des Chauvinismus zu ziehen. Wobei die Grundthese, dass Sport Mord, Mord auch Sport und Sport Kriegsersatz ist, so neu nicht ist.
Im Mittelpunkt der sprachlich zum Teil berauschend schön gestalteten, zum Teil aber auch durch wenig geglücktes Spiel mit Worten ausgiebig trivialen Ideensammlung zum Thema Leibeserziehung und Leibentfremdung, liegt das Opferbündel, welches von allen sprechenden Personen böse traktiert wird. Neben dem Chor, der in guter griechischer Tradition kommentierend eingereift, gibt es Prototypen, an denen die Schriftstellerin einzelne Denkpositionen ausgestaltet. Da ist die Mutter, deren Sohn beim Sport tödlich verunglückte, oder die junge Frau, die über den Zwang zur Schönheit räsoniert: "Die Frau muss schön sein, denn auch sie findet ja, ähnlich dem Sportler, ausschließlich in ihrem Körper statt. " Da ist der junge Body-Builder, welcher sich auf dem Weg, Arnold Schwarzenegger zu werden, selbst verloren hat, und da ist die Witwe, die ihr eigenes Maß ist und ihre eigene Maßnahme und ihre Opfer mit Überdosen von Blutzucker senkenden Mitteln aus dem Wege räumt, um an deren Besitz zu kommen (ein realer Fall der jüngsten Kriminalgeschichte).
Eine solche Fülle von Textmaterial, das auf keine bühnenwirksame Handlung hin organisiert ist, kann nur ein Theater-Sprengmeister wie Einar Schleef zwar nicht in den Griff, aber immerhin über weite Strecken zum Blühen bringen. Schleef hat im fast leeren Bühnenraum das "Sportstück" abwechselnd als rasantes Actiontheater und gigantisches Trainings-Camp, und dann wieder als sich provokant dem Diktat der Zeit widersetzende Durst- und Hungerstrecken der völligen Dunkelheit und Stille realisiert. Selbst die Auseinandersetzung des Regisseurs mit Noch-Burgtheater-Direktor Claus Peymann darüber, ob die Aufführung über 23 Uhr hinaus fortgesetzt werden dürfe (ab 23 Uhr sind am Burgtheater Überstundenzuschläge fällig), scheint ebenso inszenierte Improvisation gewesen zu sein wie der köstliche finale Auftritt Schleefs mit dem Text der "Autorin", den schon während der Proben Marianne Hoppe hingeschmissen hatte.
Außergewöhnliches an physischem Einsatz, aber auch an präziser Textbeherrschung und Artikulation bietet das 150-Mann -Frau und Fußballkinder-Ensemble. Leider hat Einar Schleef, anstatt ganz der Musikalität der Jelinekschen Sprache zu vertrauen, dem Stück vom "Steierischen Andachtsjodler" bis zu Gregorianischen Gesängen und Schlagerliedern alles aufgepropft, was in Hörweite war. Das Ergebnis: eine bildreiche, trotz allem geforderten Bewegungs-Aktionismus auf der Stelle tretende Inszenierung, die der literarischen Trag- und Spannweite der Vorlage keineswegs gerecht wird. Im März soll der sechseinhalbstündigen "Kurzfassung" eine Langfassung folgen. Sportlich, sportlich, und vielleicht reicht es ja auch fürs Guiness-Buch der Rekorde"
Günter Verdin
Hannoversche Allgemeine Zeitung
27.1.1998