Ein Rassismus zum Geldverdienen

Warum? Die Leute kaufen es, fragen danach, gab mir die etwas angepisste Verkaufskraft zur Antwort. Ich hatte ihr mitgeteilt, dass ich die Auslage dieses Buches - dessen Titel ich hier nicht nenne und dessen schiefbärtigen Autor ich aus Rücksicht auf meine Nerven und den guten Geschmack namenlos belasse - unmittelbar auf dem Tresen der Kasse, für eine Brüskierung jedes halbgebildeten Kunden hielte. Die Leute kaufen es, fragen danach - das klang nach Selbstverständlichkeit, nach Haben Sie sich nicht so!, nach üblicher Verkaufspraxis eben. Geschäft ist Geschäft, meinte ich zynisch, und wenn es halt eines mit dem Rassismus ist. Aber wenn es die Leute doch so gerne kaufen!

Sicherlich, die Welt des Handels, dieser Kosmos der Ökonomie, ist ein Trampelpfad voller Kompromisse. Jeder geht mehr oder weniger auf solche Zugeständnisse und Kuhhandel ein. Wer fressen mag, ist dazu verdonnert, auch mal wegzusehen oder wegzuhören - wie man aber als Angestellter, und diese Verkaufskraft war ja lediglich angestellt, mit einer solchen Selbstverständlichkeit zum Kettenhund seines Herrn werden kann, das scheint eines der großen Rätsel unserer modernen Epoche zu sein. Dieses skurrile Buch, in dem eine biogenetische Wissenschaft verbreitet wird, die schon in den Kinderjahren Hitlers veraltet war, dort darzubringen, so ins Blickfeld der Kundschaft zu legen, dass diese überhaupt nicht daran vorbeikommt, sofern sie keinen Ladendiebstahl begehen will, bei dem die Kasse ja keinen bedeutungsvollen Aspekt einnimmt... dieses dort abgelegte Buch zu verteidigen, es wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Was sagen Sie mir das!, hätte sie sagen können; Die da droben wollen das so!, wäre auch eine Option gewesen.

Die Leute kaufen es, fragen danach! Überhaupt, dieses Entschuldigen mit krämerischer Logik! Manchmal kann man nicht umhin, auch Dinge zu tun, zu verkaufen, hinter denen man nicht steht - dann tut man es für seinen vollen Bauch, für ein Dach über dem Kopf. Und bleiben wir mal auf dem Büchermarkt: triviale Geschichtsbücher eines Quizmoderators des Öffentlich-Rechtlichen zu verkaufen, Hardcover von denen sein Konterfei grinst, Seiten voll banaler Geschichtsinformation: das gefällt bestimmt nicht allen Buchhändlern - aber man kann damit leben! Man tut keinem weh, wenn man auch mit solchen Büchern niemanden wirklich Gutes tun mag. Das oben ungenannte Buch des namenlosen Messias, der tapfer ausspricht, was Millionen von Moslems gesellschaftlich in die Bredouille bringt: das ist kein Kompromiss mehr; das ist widerliche Gewinnsucht, die keine ethische Barrieren mehr kennt.

Man kann alles irgendwie ökonomisch entschuldigen. Die Leute kaufen es, fragen danach!, hätte man auch einwerfen können, als menschliches Knochenpulver aus kambodschanischen Arbeitslagern in manche Weltgegend geliefert wurde. Was regen Sie sich denn auf: wir haben doch Abnehmer, die gerne ihre Blumenerde damit düngen! Eine Spenderniere ohne Herkunftsbezeichnung: wieso fragen Sie danach? Wir haben Nachfrage, also schaffen wir Angebot! Abrasierte Haare von internierten Zwangsarbeitern: makaber fürwahr, aber wenn der Kunde welche haben will! Nicht lange fackeln, nicht fragen: anbieten, offerieren, verkaufen! Nur so kommt man zu was! Wenn man geschäftlich mit dem Verbrechen zu tun hat, scheint das Gewissen unangetastet zu bleiben - ein Geschäftsmann ist immerhin kein Mitglied einer Ethikkommission. Dieses Buch, es dort gut sichtbar auszubreiten: das ist ja bloß ein geschäftlicher Rassismus - und somit entschuldbar!

Ich höre es schon unken: spinnst Du? Das ungenannte Buch des namenlosen Verfassers ist doch ein Kavaliersdelikt! Freilich, ich gebe ja auch zu, dass es kein Knochenmehl, keine ausgeweideten Innereien oder dergleichen ist. Es blutet nicht - nicht unmittelbar; indirekt vielleicht schon, wenn man betrachtet, welchen Hass es erblühen ließ, wieviel Schaum es vor die Mäuler beförderte. Da liegt durchaus Blutgeruch in der Luft, während man sehnsuchtsvoll ins Holland des blondierten und pausbäckigen Erlösers, ins Holland des Geert Wilders gafft; ins gelobte Land des salonfähig gewordenen Anti-Islam. Wenn man selbst keine Kontur mehr hat, so wie das Christentum in diesen Gefilden, so benötigt man ein Feindbild, an dem man sich eine Kontur herbeirubbeln kann. Dennoch, es macht schon einen kleinen Unterschied, ob man Knochenmehl oder ein Buch verkauft - ich habe noch nicht mal was dagegen, dass es verkauft wird. Man muß Westerwelle nicht schätzen - und das tun wohl ohnehin die wenigsten! -, aber der Tenor seiner Eröffnungsrede zur Frankfurter Buchmesse war nicht verkehrt: auch solche Bücher muß man schreiben dürfen, hat er zaghaft angedeutet. Und das ist wahr! Man muß dürfen, aber man muß auch können: nämlich mit Kritik, Spott und Anfeindung leben - auch das ist Meinungsfreiheit. Niemand ist unberührbar, nur weil er seine Gedanken zu Papier bringt! Man kann es durchaus im Laden verkaufen. Aber muß es so penetrant sein? Direkt an der Kasse, jedem bezahlenden Kunden ins Auge springend? Weshalb liegt an dieser Stelle, wenn dort schon was liegen soll, nicht ein wirklich ergiebiges Buch?

Es liegt doch dort nicht, weil es gekauft, weil danach gefragt wird, wie man mir etwas schroff zur Antwort gab - es liegt dort, weil eine unglaubliche Werbekampagne veranlasst wurde! Und als letzte Ausläufer dieser Propaganda, sind nun die Ehrenplätzchen in Kaufhäusern für dieses Machwerk reserviert. Man rückt es für ein kaufwilliges Publikum nicht in Szene - man rückt es in Szene, damit Kunden kaufwillig werden. Ein Totalitarismus dieses ungenannten Buches mitsamt seinem namenlosen Autoren entsteht; überall soll man davon lesen, davon hören, darüber informiert werden. Kein Fleckchen öffentlichen Raumes ist davon ausgeschlossen; nirgends entkommt man dem Fieber! Daher kann es nicht irgendwo in einem Bücherregal liegen, es hat ganz vorne, an der Front zu liegen, dort wo jeder bezahlende Kunde seine Geldbörse öffnet - nimm mich auch noch mit, schreit der wenig ansprechende Titel mit seinem menschlich noch weniger ansprechenden Verfasser, dem eiligen Kunden ins eilige Antlitz.

Als ob das nicht traurig genug wäre, verteidigt die stumpfe Verkaufskraft, beharrlich zum Nachäffer seines Herrn erzogen, auch noch dieses Geschäft mit dem Rassismus. Die Leute kaufen es, fragen danach! Unternehmerworte aus dem Mund einer Angestellten. Ein wenig erinnert dies an einige Zeilen Sidonie-Gabrielle Colettes, die in ihrem Roman "Mitsou" über eine alte Dame schreibt, die in einem Theater das Faktotum des Revuestars Mitsou gibt. Die Greisin erhält von Mitsou Aufgaben erteilt, bevor diese den Raum verlässt. "Die alte Dame beginnt sich höchst seltsam zu betragen, das heißt, sie füllt in der Tat die Flaschen, schüttet sich dabei keinen Tropfen Parfum auf ihr Taschentuch oder in ein eigenes Fläschchen, unterläßt es - obwohl sie alleine ist - aufzuschnupfen, zu rülpsen oder in der Nase zu bohren, liest den offen auf dem Tisch liegenden Brief nicht, klaut keine Watte... Offenbar ist sie eines jener Originale, wie man sie erst seit dem Krieg [Anm.: hier ist vom Ersten Weltkrieg die Rede] antrifft." Hier wird einem der homo futurus gewahr; der Mensch wie er werden soll, wenn er es nicht schon ist. Menschen, die selbst dann an einer roten Ampel strammstehen, wenn weit und breit kein zur Gefahr werdender motorisierter Verkehr zu erspähen ist - der disziplinierte Mensch, der geschliffene und ausgehöhlte Mensch, der sich nicht frei bewegt, frei entfaltet, der nicht frei denkt, schon gar nicht frei spricht!

Erst dieser neue alte Typus, der, nicht wie Colette schreibt, erst seit dem Krieg anzutreffen ist, macht das Mordsgeschäft mit Knochenmehl und Innereien, aber auch das Geschäftchen mit in Tinte getunktem Rassismus möglich. Wenn unsere aufgeklärte Zeit überhaupt etwas vollbracht hat, dann dass die Menschen heute mit Verweis auf die Vernunft denselben Dreck betreiben, wie sie es immer schon dreckig taten. Der alte Menschenschlag wollte eigentlich aufstehen und es denen da oben mal ordentlich geben, nur war er meist zu feige, zu machtlos; der homo novus aber, der ist nicht mehr feige, er hätte vielleicht sogar ein wenig mehr Macht, nur solidarisiert der sich einfach mit der Untragbarkeit, denn so muß er nicht aufbegehren. Vielleicht hatte Colette aber sogar recht, vielleicht sind solche Menschen nur im Krieg anzutreffen: in einem Krieg wie diesem, in dem man bemüht ist, jeden Funken eigenen Verstandes zu tilgen, wenn er nicht profitabel gemacht werden kann. Freier Verstand ist ja nicht per se unerwünscht: er muß nur was einbringen, dann feiert man ihn fanatisch als nutzvollen Effekt, den der freie Markt verwursten müsse.

Hauptsache Geschäft - und wenn es eines mit dem Rassismus ist, erwiderte ich also. Mich über dieses Scheißelaborat, das zwischen zwei Buchdeckel geleimt wurde, ärgernd, war ich mir sicher: hier kaufe ich nicht mehr ein. Nur: wenn ich diese konsequente Haltung bewahre, werde ich ganz schnell nirgends mehr einkaufen können. Und das ist es, worüber ich mich noch mehr ärgere: wir sitzen in der Falle, wir werden von Krämern beherrscht, die uns zu Jasagern und Opportunisten geißeln - wer nicht spurt, wird aussortiert. Wer aussortiert ist, wird zum Ausbluten in eine Strafverfolgungsbehörde namens Jobcenter verfrachtet. Wer da immer noch keine Disziplin an den Tag legt, darf bei den Tafeln tafeln. Mit dieser Angst leben alle, selbst jene Verkaufskräfte, die allzu selbstbewusst die Auslage eines solchen Buches verteidigen - sie müssen gar kein Anhänger des lallenden Messias sein; nur negativ aufgefallen zu sein, weil man den Entschluss, jenes Buch genau dort an der Kasse auszulegen, nicht lauthals befürwortete: das reicht heute schon aus! Das neue Menschengeschlecht soll nicht kritisch sein: es soll sich in endloser Wertschöpfung und endloser Arschkriecherei verwickeln...


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