Ein Kommentar zu David Ingrams Mind Maps

Lieber Gui Do,
vor einiger Zeit hab ich Dir schon einmal ein Frage in der Richtung gestellt...sorry, aber das lässt mir einfach keine Ruhe:
Kannst Du mit solchen Mind Maps [...] irgendetwas anfangen oder rein gar nichts ?
(Er-)kennst Du gewisse Zustände davon ?
Was verpasst (oder gewinnt) man, wenn man dazu einfach keinen Zugang findet, aber trotzdem überzeugter (Zazen-)Meditierender ist ?
Du hattest mir geschrieben : "Nein, nur (Zazen) sitzen reicht nicht !" Was meintest Du damit ?
Herzlichen Dank für jeden Hinweis !
Liebe Grüsse
Pietro+++Lieber Pietro,
da ich nicht mehr weiß, wie auführlich meine letzte Antwort war, hole ich diesmal etwas weiter aus - und mache daraus später dann mal einen Blogbeitrag. Das Interesse an Daniel Ingram, das vor Jahren in Foren anklang, scheint mir heutzutage kaum noch vorhanden zu sein. Ich las kürzlich sogar, er habe sich nun verstärkt dem Zen zugewendet (?). Wie auch immer, auf mich wirkte er wie die Theravada-Version dessen, was im Zen Brad Warner darstellt, zumal beide in ihren Buchtiteln den Ausdruck "Hardcore" verwendeten.
Zu Deinen Fragen: Ja, ich erkenne Zustände der von Dir verlinkten Mind Map, kann auch verstehen, warum jemand übersichtlich versucht darzustellen, wie so ein Stufenweg im Buddhismus ausschauen könnte. Da ich nur meinen Weg gehe, kann ich jedoch nicht sagen, was man "verpasst", wenn man den von Ingram nicht beschreitet. Aber ich kann dazu einige Vermutungen anstellen aufgrund meiner eigenen Einsichten. Dazu gehört auch die, dass man ohne Zazen erwachen kann und Zazen also ein "geschicktes Mittel" ist. Insofern kann ich wohl auch nicht als "überzeugter (Zazen-)Meditierender" sprechen. Meine Überzeugung beschränkt sich darauf, dass bei Unkenntnis des Gegenübers Zazen das am wahrscheinlichsten funktionierendste Mittel ist, ihn oder sie dazu zu bringen, sich zunächst einmal seines Gedankenflusses in aller Stille bewusst zu werden und dergleichen. Und darum empfehlenswert. "Zazen reicht nicht" bedeutet, dass das, was im Zazen geschieht, auch im Nicht-Sitzen zu geschehen hat und sich dort erst wahre Praxis zeigt, wo man es im Nicht-Sitzen anwendet - weswegen man es auch gleich im Nicht-Sitzen üben kann (wozu aber nicht alle imstande sind). Ein gutes Beispiel sieht man in Folge 8 der 1. Staffel von "Love Bus" auf Netflix, wo ein japanischer Kinderarzt, der sich in der Chirurgie fortbildete, um Arme in Myanmar und anderswo operieren zu können, seine Lebensphilosophie erklärt.
Nun zu Ingram. Das Problem mit Leuten, die aufgrund des Palikanons eine sinnvolle Lehre zu entwickeln suchen, ist stets, dass sie sich in Widersprüche verwickeln oder solche nicht auflösen können. Bei Ingram ist es z.B. die Behauptung einer Arhatschaft bei gleichzeitigem Familienleben. Das ist in sich inkonsequent. Insofern dürfen wir davon ausgehen, dass er eben einen weiteren subjektiven Deutungsversuch des Dharma unternommen hat, wie er ihm in den Kram passt. Er sucht sich also die Textstellen zusammen, die ihm genehm sind. Soweit ist also alles noch normal. Wenn man jedoch ein Schriftgläubiger ist wie Ingram, stolpert man halt darüber.
Nicht mehr normal finde ich, dass er trotz Berufsangabe Notfallarzt Folgendes nicht weiß (oder nicht glaubt): Der Zustand nirodha samâpatti, also das Erlangen der Auslöschung (von Gefühl und Wahrnehmung) wird klassischerweise vom Zustand eines Toten so abgegrenzt, dass zwar sankhâra, mentale Funktionen und konzeptuelles Denken zum Erliegen kommen, jedoch ohne dass die Atmung oder die "Körperwärme" schwänden. Damit ist er mit dem Zustand identisch, den man heute z.B. bei einer Narkose unter Dormicum (etwa bei einer Magenspiegelung) erlebt, Mit anderen Worten, es ist bereits der Beweis erbracht, dass es keinerlei Stufen und damit keinerlei Mappings bedarf, um dorthin zu gelangen. Ich habe nun drei solcher Betäubungen hinter mir und möchte hiermit auch den Skeptikern zumindest mal die Darmspiegelung unter Narkose empfehlen, damit sie wenigstens ihre buddhistischen Vorurteile revidieren (schade, dass dies den Krankenkassen als Grund nicht ausreicht).
Nun ist es laut Visuddhimagga - so man dieses respektiert - nötig, dass man neben geistiger Ruhe (samatha) oder Konzentration auch Einsicht (vipassanâ) hat, damit die Früchte (phala) der Arhatschaft sich verwirklichen (übrigens beides unnötig, um das medizinisch herbeigeführte nirodha samâpatti zu erlangen - weder muss man ruhig noch einsichtig sein, ehe man narkotisiert wird). Man dürfte also erwarten, dass der Arhat nach seinem buddhistisch korrekten Erlangen der Auslöschung ein anderes Leben führt als ein bloß Magengespiegelter nach dem Aufwachen. Jedoch wäre damit gezeigt, dass es gar nicht wesentlich um diese Auslöschung gehen kann, will man die Früchte eines Weisen hervorbringen. Vielmehr dürfte es um verbesserte Fähigkeiten der Konzentration und Einsicht an sich gehen. Im Zen denken auch nicht wenige, dass dies in einem konkreten Schlüsselerlebnis - das man dann eben Erwachen oder dergleichen nennt - kulminiert, wobei die Beschreibungen einer solchen Erfahrung aber durchaus von dem abweichen können, was man unter bloßem "Auslöschen" erwarten würde (wenn da z.B. von universellem Einheitsgefühl die Rede ist, von Alleins-Sein usw.).
Die ganze Mühe, die sich Ingram da auf seinerm Erklärungs-Weg macht, ist also m.E. für die (oder das) Katz.

Für die Beurteilung eines sinnvollen "Weges" oder Lebens (wie im obigen Beispiel des Arztes) kommen wir wieder auf ein weiteres Problem des klassischen Buddhismus zurück, in dem oft behauptet wird, erst ein gewisser Weg würde zu einem vorbildlichen Leben führen usw. Entscheidender ist für mich die Einsicht am Anfang, die dann diesen Weg bestimmt, von dem aus wiederum sich Schlüsse über seine Sinnhaftigkeit oder ethische Tiefe ableiten lassen. Umgekehrt wird also ein Schuh draus. Eine Beurteilung von Arhatschaft nach Kriterien, wie sie Ingram anwendet, ist zwecklos, Ingram selbst würde am Gleichmut scheitern, wenn ihm eines seiner Kinder aus dem Leben gerissen würde. Dieser Zirkelschluss findet sich oft bei Theravada-Anhängern, die z.B. auch rückschließen, wer andere als erwacht oder unerwacht erkennt, müsse selbst wiederum die Kriterien ähnlich jener Mind Maps erfüllt haben. Ich erfülle sie nicht, könnte aber mit der gleichen Arroganz auf meine Webseite schreiben, dass Ingram nicht erwacht sei. Und warum?
Ich gebe mal einen Hinweis. Ingram definiert an einer Stelle ein Kennzeichen des Fortgeschrittenen, nämlich das ständige Gewahrsein des Vergänglichen (impermanent). Mit keinem Wort erwähnt er aber das Gewahrsein des "Ewigen". An dieser Stelle zeigt sich mal wieder, dass es sich beim Zen um eine andere Art Religion oder Lebensphilosophie handelt, als sie der Theravada darstellt. Vielleicht ist Ingram aber inzwischen klar geworden, was da fehlt(e).

Um nochmal auf die Serie "Love Bus" zurückzukommen - einmal machte sie auch Station in Myanmar und ließ mehrere Einheimische zu Wort kommen: Dort sei man auf niemanden wütend, nein, Ärger gäbe es dort nicht. Das wurde dann auf den Buddhismus zurückgeführt. Genausogut lässt sich sagen, dass die dort beliebte und von Ingram teils aufgegriffene Lehre von Mahasi Sayadaw ganz offensichtlich die Erleuchtung einer ganzen Nation verhindert hat. Denn man ärgert sich dort so wenig über andere, dass man sich lieber von einer Militärdiktatur unterdrücken lässt. In meinen Augen ein hervorragendes Beispiel, welche Art von Buddhismus sich nicht zur Weisheit entwickelt, nämlich die, die nicht zu jenem Handeln befähigt, von dem der oben erwähnte Arzt spricht. Jeder Buddhismus, der auf solchen Stufen oder Ebenen und in solchen Lehrgebäuden einfacher Ethik sich um sich selbst dreht, behauptet nur Einsicht, ohne sie durch weises Handeln zu belegen. Es ist lediglich die Einsicht in die eigenen Verstrickungen, nicht aber in das, was die meisten anderen als Leiden erfahren. Und es ist die Behauptung der Auslöschung von Kräften, die sich im Menschen zu einer Einheit fügen sollten, statt verleugnet zu werden.


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