Ein kapitalistischer Heiliger

Der Kapitalismus ist effizient. Das erkennt man wieder mal dieser Tage. Während im Katholizismus fünf Jahre vergehen müssen, bis ein Verstorbener selig, noch länger, bis er gar heilig gesprochen werden kann, macht es der Kapitalismus hurtiger. Besonders ausgewiesene, besonders exemplarische Getreue seiner Religion, werden umgehend in die Heiligkeit erhoben. Man macht eilig heilig.

Ein kapitalistischer HeiligerDie Gemeinschaft der Heiligen ist um eine Persönlichkeit reicher. Steve Jobs, der Messias der Laufwerke, starb letzte Woche. Prompt erweist sich die Öffentlichkeit als Kongregation für den Heiligsprechungsprozess. Nachrufe vom edlen Kapitalisten-Hippie werden verfasst; Kondolenzbücher aufgestellt, in die man notieren soll, was der Apple-Gesalbte für einen persönlich bedeutete; das asketische Leben des Bit-und-Bytes-Bodhisattvas wird bestaunt und für überirdisch empfunden; seine Lehre, die sich aus elektronischen Geräten rechnet, wird als Evangelium der Monitore gefeiert; der Visionär wird gelobt, da er den Markt so gut kannte, wie weiland Jesus jede Ecke Nazareths; seine Predigten, die er vor Aktionären hielt, adelt man in den Katechismus kapitalistischer Menschenführung hinein. Kurz: wie man von ihm berichtet, das ist nicht das übliche Nachrufen, es ist die Heiligsprechung eines Mannes, mit dem sich die Öffentlichkeit nur deswegen verbunden fühlt, weil er ihnen bezahlbare Rechner lieferte.

Der Heilige des Kapitalismus zeichnet sich nicht durch Nächstenliebe aus. Kritik wurde an Apple immer geübt; die Firma würde soziale Standards unterbieten und asiatische Arbeiter ausbeuten. Das kapitalistische Heiligsprechungsverfahren kann sich mit solchen Einwänden nicht aufhalten. Wäre dem so, müsste Robert Owen heute als primus inter pares im kapitalistischen Himmel herhalten - das heißt, würde Sittlichkeit in diesem System was gelten, dann wäre Owen dort bekannt wie ein bunter Engel. Voraussetzungen für die kapitalistische Heiligsprechung sind aber der "Ruf der Rentabilität" (fama rentabilis), der "Ruf der Wundertätigkeit" (fama signorum) und der "Ruf der Rücksichtslosigkeit" (fama ignoratia). Beides zusammen, dazu eine ungebremste Beliebtheit beim Volk, das sich im Vokabular des kapitalistischen Heiligsprechungsverfahrens allerdings als Kunden oder wahlweise Aktionäre findet, sind die Eckpfeiler der eiligen Heiligen. Spirituelle Anhänger aus der Zunft der Schreiberlinge werden zu Kongregationalisten, die befinden sollen, ob der Verstorbene zum Heiligen taugt.

Das was wir erleben, ist der größtmögliche Abgang eines Unternehmers, Milliardärs und Kapitalisten. Man ruft ihm Weltverbesserer nach, als ob großer Reichtum und kapitalistische Denkweisen schlechthin, die Welt verbessern würden. Die schwarzen Flecken auf der Weste Apples und Jobs' werden bei der hysterischen Heiligsprechung unterwandert. Ausgebeutete Asiaten sind nun mal der Preis des westlichen Fortschritts, an dem ja auch, irgendwann, mit der Güte der Industrienationen, die Entwicklungsländer teilhaben dürfen. Für wenige hat er die Welt verbessert - für sich selbst natürlich auch. Ist das das Verhalten von spirituellen Erlösergestalten? Ein moderner Jesus? Ein Muhammad der Neuzeit? Ein Gandhi, der passiven Widerstand gegen faire Bezahlung leistete? Ein Dr. King, der das Bürgerrecht auf "einen Computer für jedermann" erstritt? Ein schlechtes Gewissen möcht' man haben, weil der gelobhudelte Asket scheinbar Rechner zum Selbstkostenpreis auf den Markt geworfen hat - oder gar Miese gemacht hat, um die Welt mit seinen Produkten einzuschneien.

Natürlich war er beteiligt an dem, was wir als kommunikative Revolution bezeichnen könnten. Natürlich hat das, was seine Firma in die Welt brachte, manchmal die Welt bereichert - nicht immer, nicht alles war nützlich. Aber weder ist er Erlöser, Weltverbesserer, Heiliger - noch ein besonders guter, liebender Kapitalist. Nicht nach ethischen Maßstäben, nicht nach universellem Anspruch dafür, wann etwas gut, wann etwas schlecht ist: das ist die Gesetzlichkeit, in der er qua seines Amtes vor den Apple-Aktionären stiefelte. In der kapitalistischen Lebenswirklichkeit, die meist so wirklich und echt ist, wie Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel oder Guttenbergs Doktorarbeit... in dieser Lebenswelt ist Jobs natürlich eine Heiligengestalt. Eine anbetungswürdige Figur. Eine durch langatmigen Krebs gekreuzigte Ikone. Die Welt des Kapitalismus ist ethisch irrelevant - sie kennt nicht gut, sie kennt nicht böse; sie kennt nur Renditen. Wenn man schon nicht gut, nicht schlecht sein muß, so doch wenigstens reich, erfolgreich, das Lebensgefühl einer Generation treffen, die yuppie wie sie war, keine moralische Skrupel kannte: das reicht aus, um in den Kanon der kapitalistischen Heiligen aufgenommen zu werden.


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