Ein Jahr danach

Am Beginn der Wahlauseinandersetzungen zu den Präsidentschaftswahlen 2009 im Iran, also noch Monate vor dem eigentlichen Wahltag, fand im staatlich gelenkten iranischen Fernsehen IRIB eine Auslosung statt.
Es ging darum, die Propagandafarben der vier Präsidentschaftskandidaten festzulegen. Dabei fiel die Farbe Grün der Partei Moussavis zu.
Auch so kann man die Menschen mit Nebensächlichkeiten beschäftigen. Zumal die Machtelite des Landes gar nicht die Absicht hatte, einen sog. „Reformer“ als Präsident küren zu lassen.

Als die Wahlen am 12. Juni 2009 zwar schon geschlagen waren, das Ergebnis jedoch noch lange nicht feststand, titelte die IRNA, die offizielle Nachrichtenagentur des Irans, bereits am selben Abend „Ahmadinejad gewann die Wahl durch die Erringung der meisten Stimmen„.

Ein Jahr danachDiese Nachricht, die einige Stunden später wieder aus dem offiziellen Webauftritt der Nachrichtenagentur verschwand, löste -zwar nicht die einzige- aber wohl die größte Krise in der Geschichte der islamischen Republik aus.

Als es bald allen klar wurde, dass durch eine Wahlfälschung großen Stils Millionen von Stimmen verschoben wurden, so dass die Wahlbeteiligung mancherorts 145% betrug oder auch doppelt so viele Stimmen wie Wahlberechtigte auf Ahmadinejad entfielen, war die Wut und die Enttäuschung der Menschen, die sich kleine, vielleicht auch nur atmosphärische Reformen wünschten und sich womöglich auch zu viel vom ehemaligen Ministerpräsidenten der Republik erwarteten, so groß, dass es zu den größten Massenkundgebungen der letzten 30 Jahre kam.

Waren die Menschen, die vor einem Jahr auf die Strasse gingen, noch relativ naiv in ihrer Vorstellung wie man das Land reformieren könnte, verlangten sie in den ersten Tagen „nur“ ihre Stimme zurück, so haben sie in kurzer Zeit gelernt, was es heißt, einer theokratischen Diktatur gegenüberzustehen, die prinzipienlos verhaftet, foltert, vergewaltigt, mordet, Schauprozesse veranstaltet und heimlich verschart.

Trotz allem trugen die Menschen immer wieder ihren Protest auf die Strasse: Am 15. Juni 2009, am 17. Juni, am 18. Juni, am 20. Juni, am 21. Juni, am 5. Juli, am 9. Juli, am 17. Juli, am 30. Juli, am 18. September, am 4. November, am 7. Dezember, am 27. Dezember („Aschura-Aufstand“), am 11. Februar, am 16. März und zuletzt am 12. Juni 2010.
Jeder Anlass, egal ob religiöser oder politischer Natur, jeder Feiertag wurde ausgenutzt. Und die skandierten Parolen bekamen bald eine völlig neue Qualität und wurden immer radikaler.
Zählt man noch diverse andere Proteste hinzu, erinnert man sich noch daran, dass die Universitäten des Landes (vor allem natürlich in Teheran) nie wirklich unter Kontrolle des Regimes zu bringen waren und dass sich der Protest dort täglich entfaltet -obwohl die Menschen tagtäglich unter Repressalien zu leiden haben- kann man ermessen, wie groß die Verzweifelung der Menschen über ihre Lage sein muss, wenn sie dennoch die Gefahr wählen und protestieren.

Schon oft totgesagt, wird dieser Protest weitergehen. Auch wenn er sich von der islamischen Revolution des Jahres 1979 stark unterscheidet: Die religiösen Fanatiker, die damals auf Befehl des Ayatollah Khomeini in den Tod zu gehen bereit waren, sitzen nun an den Hebeln der Macht. Die „Revolutionsgardisten“ sind in den letzten 31 Jahren indoktriniert und genauso fanatisch erzogen worden, um auf die brutalste Weise jeden Protest im Keim zu ersticken.
Die Protestierenden heute wählen nicht den Tod und das Jenseits, sondern sie wünschen sich ein besseres Leben im Diesseits.

Es ist erstaunlich, dass die Proponenten des Regimes nicht sehen können, dass sie mit jedem Schritt weiter auf ein Abgrund zusteuern.
Selbst wenn sie in der Lage wären, den Sturm der Proteste durch noch mehr Gewalt (falls das überhaupt noch möglich ist) aufzuhalten, wird die nächste Krise sie spätestens bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in drei Jahren ereilen.
Die „Reformer“ werden wieder Kandidaten aufstellen (selbst wenn Moussavi und Karroubi nicht zugelassen werden sollten) und die Menschen werden sie wieder zahlreich wählen.
Auch wenn der iranische Präsident keinerlei bedeutende Befugnisse hat, hat dennoch sein Amt durch diese Krise, die keine Wahl-Krise, sondern eine essentielle Krise des Regimes ist, eine neue, eine symbolische Bedeutung für die Iraner erhalten.

Ganz egal, was der geistliche „Führer“ Khamenei im Sinn hat, ob Moussavi, Karroubi oder Khatami verhaftet oder sonstwie mundtot gemacht werden, wird der Druck auf ihn und auf die islamische Republik tagtäglich steigen.
Die Mullahs sind jetzt schon zerstritten, denn viele befürchten, das Volk wird die Gottes-Ordnung der Republik hinwegfegen, wenn es zu keine Reformen kommt. Auch das erhöht den Druck auf die Regierung Ahmadinejads, aber vor allem auf die „gottgewollte Republik„.

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