Ein Herrenwitz und seine Folgen

Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, kann einem nur leid tun. Aus purer Angst wird er künftig junge Journalistinnen nicht mehr informell an einer Hotelbar treffen, mit ihnen ein Glas Wein trinken oder sie gar in seinem Fahrzeug mitnehmen. Das haben sich diese Damen selbst zuzuschreiben, jetzt ist Herr Kubicki pikiert, er hat schließlich auch seinen Stolz. Sollen sie doch sehen, wass sie davon haben.

 

Stein des Anstoßes und Grund für Kubickis Verschnupftheit ist ein Artikel der Stern-Reporterin Laura Himmelreich unter dem Titel “Der Herrenwitz“. Die hatte im Heft der letzten Woche ein Portrait über Rainer Brüderle verfasst, den alten, neuen Fraktionschef, Bundestagswahlspitzenkandidaten und Hoffnungsträger der FDP. In diesem Portrait schilderte sie auch persönliche Begegnungen mit ihm, wie vor einem Jahr beim Dreikönigstreffen seiner Partei. Abends an der Hotelbar, zugegeben in informellem Rahmen, hatte sie ihm einige politische Interessensfragen gestelt, vermutlich als Hintergrundwissen für Hintergrundberichte. Ob es ihn nicht erstaune, jetzt plötzlich zur Hoffnung der FDP aufzusteigen und ähnliches. Er aber antwortete nicht auf ihre Fragen, sondern fragte widerum sie nach ihrem Alter, schaute auf ihren Busen und sagte, sie könne auch ein Dirndel ausfüllen, nachdem sie auf seine Frage hin erzählt hatte, dass sie aus München stamme. Außerdem küsste er ihre Hand und bat sie, seine Tanzkarte anzunehmen. Als sie mit dem Hinweis: “Herr Brüderle, Sie sind Politiker und ich Journalistin” eine professionelle Distanz schaffen wollte, soll Brüderle gesagt haben: “Wir verfallen doch alle jungen Journalistinnen.” Als er sich dann nachts um 1 Uhr ihr auch körperlich genähert habe, habe seine Pressesprecherin ihn regelrecht abgeführt, schreibt Frau Himmelreich sinngemäß.

Natürlich läuft die FDP Sturm gegen den Artikel. Sie wittert eine wahltaktische Einflussnahme des Stern und seiner Reporterin. Wie anders sei es zu erklären, dass Frau Himmelreich erst jetzt, über ein Jahr später, von der angeblichen Belästigung durch Brüderle schreibe? In allen Medien wird nun Rainer Brüderle der Sexismusvorwurf gemacht, nicht ganz ehrlich natürlich, denn andererseits wird hinter vorgehaltener Hand von der Journalistin gesagt, sie könne nichts ab, habe den Beruf verfehlt und müsse so etwas doch abfedern können. Brüderle sei nun einmal ein lockerer Typ, meinen die Parteikollegen und auch Politiker anderer Couleur. Auf Twitter hingegen hat es in der letzten Woche weit über 35000 Kurzmitteilungen mit dem Hashtag #Aufschrei gegeben, in denen viele Frauen, aber auch Männer, über Alltagssexismus berichteten und klar dagegen Stellung bezogen. Natürlich gibt es inzwischen auch eine immer größer werdende Gegenbewegung. Einige schreiben, Frau Himmelreich solle sich nicht so aufregen, jede Wiesenkellnerin müsse sich solche Sprüche jeden Tag anhören. Heißt das aber, dass sie in Ordnung sind? Das Thema ist also in aller Munde.

Frau Himmelreich war übrigens nicht die erste, die darüber schrieb. Eine Woche zuvor erschien im Spiegel ein Artikel der Journalistin Annett Meiritz, in dem sie über ihre Erfahrungen mit Sexismus in der Piratenpartei berichtete, deren Werdegang sie im letzten Jahr intensiv verfolgte. Weil sie sich mit Informanten aus der Partei in einem Café zu einem Gespräch traf, wurde sie auf Twitter von Piraten öffentlich als Prostituierte bezeichnet, und ihre Berichterstattung über die Partei wurde mit sexistischen Kommentaren begleitet.

Die ganze Diskussion um den Herrenwitz von Rainer Brüderle geht meiner Meinung nach an der eigentlichen Frage meilenweit vorbei. Wichtig ist jetzt nicht, warum der Stern oder auch seine Reporterin das Thema erst ein Jahr nach dem Vorfall aufgegriffen hat. Natürlich schreiben Journalisten dann über ein Thema, wenn es gerade passt und viel Geld und eine bessere Verkaufsquote einbringt. Entscheidend ist auch nicht die Frage, ob sich Laura Himmelreich vom FDP-Fraktionschef sexuell belästigt fühlte, sie hat inzwischen deutlich erklärt, dass sie das nicht tut. Sie hat auch nie behauptet, den Artikel geschrieben zu haben, um ihre persönliche Belästigung zu verarbeiten, wie manche ihr unterstellen, sondern sie hat zeigen wollen, dass Rainer Brüderle nicht mehr zeitgemäß ist. Die Frage ist für mich vielmehr: Wie gehen Politiker mit Frauen in fachlicher Hinsicht um? Welches Bild haben sie von fachlich qualifizierten Frauen? Trauen sie Frauen eine qualifizierte Arbeit überhaupt zu, wenn sie sie in Gesprächen, und seien diese noch so informell, auf ihren Busen, ihr Alter und ihre klimpernden Wimpern reduzieren? Machen sie das mit anderen Männern denn auch?

Natürlich ist die Medienbranche heuchlerisch. Stories, die ursprünglich keine waren, werden hervorgeholt, wenn es opportun ist, um eine Sau durchs Dorf zu treiben. Das allein macht Rainer Brüderle aber nicht zum Unschuldslamm. Und natürlich findet der Alltagssexismus eben nicht nur bei den Politikern statt, sondern auch bei den Medien selbst, die junge Journalistinnen ins Rennen schicken, um durch ihre körperlichen Reize älteren Politikern beim spätabendlichen Flirt eine Story zu entlocken. Das hat sogar der Stern selbst zugegeben. Und die grässliche Fratze dieses Alltagssexismus wird dort deutlich, wo Journalistinnen das ohne viel nachzudenken mitmachen oder es für die Notwendigkeit ihres Berufes halten. Damit glauben sie nämlich selbst daran, dass sie fachlich allein nichts erreichen können und qualifizieren sich selbst ab.

Die Artikel von Annett Meiritz im Spiegel und Laura Himmelreich im Stern waren für die Politiker der FDP ein Tabubruch, und nicht nur für die. Auch alte Männer anderer Parteien bis hin zum Linksfraktionschef Gregor Gysi finden die jetzt losgetretene Debatte aufgebauscht. Der renomierte Rechtsanwalt und Blogger Thomas Stadler tut den Protest der Frauen, die jetzt ihren persönlich erlebten Alltagssexismus auf Twitter öffentlich machen, in einem durchaus interessanten Beitrag sogar als Herdenverhalten und damit als eine eigene Form der Manipulation ab. Über einige dieser Argumente kann man ja reden, allerdings nicht unbedingt in diesem Zusammenhang. Der Tabubruch der Journalistinnen zeigt einfach auf, wie sehr die alten Politiker die gesellschaftliche Realität hinter sich gelassen haben. Eine Realität, in der Frauen genau so fachlich qualifizierte Journalistinnen sein können, wie Männer Journalisten sind. Insofern ist dieser so verschmähte Tabubruch richtig und wichtig. Die ehemalige Journalistin Ursula Kosser schrieb vor wenigen Monaten in ihrem Buch Hammelsprünge, eine Kollegin habe einmal ein Päckchen von einem Abgeordneten erhalten mit einem Dildo und einer Karte mit der Auffschrift: “Auf gute Zusammenarbeit.” Dies öffentlich zu machen ist kein Tabubruch, sondern tritt eine dringend notwendige gesellschaftliche Debatte los. Dass die Herren der Schöpfung sich da zu einem starken Abwehrblock zusammenschließen und die Journalistin an den Pranger stellen, die nach einem Jahr dieses Tabu gebrochen hat, ist aus deren Sicht durchaus nachvollziehbar.

Das bedeutet nun nicht, dass man den Stern nicht dafür kritisierren darf, diese Gelegenheit genutzt zu haben, um sich an Rainer Brüderle abzuarbeiten und eine profitable Story draus zu machen. Der Chefredaktion wird dieser Artikel und die persönliche Note darin gerade recht gekommen sein. Vermutlich hat sich die Journalistin lediglich an den Vorfall erinnert, als sie dabei war, ein Portrait über Brüderle zu schreiben, mit dem sie schon einige Gespräche geführt hat. Dass sie diese persönliche Erfahrung zu ihrem Portrait hinzufügte, mag man in der Tagesschau als unsachlich und ungehörig betrachten, für eine Zeitung ist dies ein recht normaler Vorgang.

Annett Meiritz hat es in ihrem Artikel für den Spiegel auf den Punkt gebracht: “Ich habe keine Lust, darüber nachzudenken, ob ich bei einem Gespräch mit einem Politiker lächle oder nicht, weil das als Flirtversuch missverstanden werden könnte. Oder darüber, ob ich besser im Hosenanzug als im Etuikleid zum Interview erscheinen soll. Grübeln männliche Journalisten darüber nach, wie oft sie lächeln, wenn sie – sagen wir – mit Ursula von der Leyen reden? Oder machen sie sich darüber Gedanken, ob sie zum Sexobjekt werden, wenn sie auf dem Parteitag ein besonders elegantes Sakko tragen? Nein? Prima! Genau das möchte ich auch.”

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

 

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