Ein Held für hochsensible Kinder: "Philipp zähmt den Grübelgeier" (Buchrezension)

Bücher für Kinder, in denen das Thema Hochsensibilität kindgerecht aufbereitet ist, gibt es nur wenige auf dem deutschen Markt. Kürzlich erschienen ist das Buch Henry mit den Superkräften, das sehr gute Rezensionen erhalten hat. Nun hat der auf Hochsensibilität spezialisierte Festland Verlag das neue Buch Philipp zähmt den Grübelgeier von Magdalene Hanke-Basfeld (Text/Illustrationen) herausgegeben und mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Das Buch ist für Kinder ab 8 Jahren (zum Selberlesen) geeignet und beinhaltet 13 Kurzgeschichten, von denen sogar die Leselänge angegeben ist. Es sind einige wenige Illustrationen enthalten, aber ich denke, die Bebilderung ist bewusst knapp gehalten, damit bei den Kindern Bilder im Kopf entstehen können. Im Mittelpunkt steht der hochsensible Junge Philipp, der in vielen Bereichen seines Alltagslebens an seine Andersartigkeit erinnert wird und seinen Weg selbst bzw. mit der Hilfe seiner Eltern, Großeltern und Freunde finden muss.
Die Geschichten handeln von der Familie, der Schule, von Tieren, vom Supermarkt, von Geburtstagen und oft tritt Philipps Freund Patrick in Erscheinung, der Philipp nicht nur beim Bewusstwerden seiner besonderen Wahrnehmung unterstützt, sondern auch zu einer Akzeptanz und einem gesteigerten Selbstbewusstsein verhilft. Es werden viele Aspekte angesprochen, die charakteristisch für hochsensible Kinder sind und ihnen im Alltag vielleicht Schwierigkeiten bereiten, zum Beispiel hohe Lärm- und Geruchsempfindlichkeit, geschmackliche Eigenheiten, Unverständnis der Umwelt, auch in der eigenen Familie, Angst vor großen Tieren und gleichzeitig Empathie mit dem Leiden von Tieren, ausgiebiges Grübeln und Abwägen aller Möglichkeiten, langes Nachhallen von Ereignissen, peinliche Empfindungen, Überforderung bei Treffen mit vielen Menschen, Angst vor unbekannten Situationen, Schwierigkeiten mit Kleidung, hohes Verantwortungsgefühl, Gespür für Spannungen und schlechte Stimmung und großes Mitgefühl für Schwächere.
Ich denke, hochsensible Kinder fühlen sofort, dass sie so ähnlich wie Philipp ticken und werden erstmal erleichtert sein, zu hören, dass auch andere Kinder solche Empfindungen wie sie haben. Das kann man ihnen als Eltern noch so oft theoretisch vermitteln; mit einer Figur, die ihnen ähnlich ist, einem Seelenverwandten, wird es hochsensiblen Kindern tausendmal leichter fallen, sich und ihre Eigenheiten besser zu akzeptieren. Deshalb finde ich es sehr erfreulich, dass nun auch auf dem Kinderbuchmarkt das Thema Hochsensibilität angekommen ist.
Die Geschichten sind kurzweilig und bildhaft geschrieben und tragen nicht nur zur Selbsterkenntnis und Akzeptanz für ein hochsensibles Kind bei, sondern bieten auch zarte, nicht überfordernde Lösungs- bzw. Bewältigungsansätze, die vor allem durch Philipps Freund Patrick angeregt werden. Ich denke, das Geschichtenerzählen ist überhaupt die beste Möglichkeit, um hochsensiblen Kindern Strategien zu vermitteln, wie sie ihr Leben entsprechend ihrem Wesen zufrieden gestalten können, ohne sich weder über- noch unterzufordern. Denn sie sollen den für sie herausfordernden Situationen ja nicht grundsätzlich aus dem Weg gehen, sondern selbst ein Gespür dafür entwickeln, was zuviel ist und wo sie sich vielleicht ein wenig überwinden müssen.
Was ich bezeichnend finde, ist, dass Philipps Mama diejenige ist, die das meiste Verständnis für ihn hat (Kap. 7, 10, 13) und ihn auch gegen Angriffe und Unverständnis verteidigt, sicherlich, weil sie selbst hochsensibel ist. Sie muss selbst dem Papa Philipps Charaktereigenschaften näher bringen, der ihr vorwirft, den Jungen immer in Watte packen zu wollen (S. 59). Der Papa hat es also in 8 Jahren nicht geschafft, das Wesen seines Sohnes zu akzeptieren und zu schätzen. Das empfinde ich als ziemlich traurigen Aspekt im Buch, weil es gerade für hochsensible Kinder wichtig ist, dass aus der eigenen Familie nicht auch noch Gegenwind kommt. Ich weiß nicht, ob es ein guter Schachzug war, den Papa als verständnislos darzustellen. Ich als lesendes hochsensibles Kind hätte wahrscheinlich ein sehr ungutes Gefühl dabei. Doch das Verständnis der Mama wiederum birgt auch die Gefahr, dass sie grundsätzlich alles an Philipp und alles, was er macht, gut findet. Das führt dazu, dass Philipp ein Bild zerreißt, was die Mama überschwänglich lobte, obwohl er selbst ganz und gar nicht zufrieden war (S. 54). Doch selbst in dieser Situation kann der Papa auch keine konstruktivere Umgehensweise hervorbringen, da er meist nur "irgendwelche Verbesserungsvorschläge" (S. 54) hat.
Etwas unnötig finde ich, in einem Kinderbuch das Wort "Scheiße" aus dem Mund eines Lehrers zu lesen (S. 89). Ansonsten ist die Sprache dem Alter angemessen. Für meinen 4-jährigen hochsensiblen Sohn, dem ich testhalber zwei Geschichten (u.a. Kap. 4) vorgelesen habe, war es noch zuviel an Informationen und eine fremde Welt. Aber er hat aufmerksam zugehört und ich denke, er hat schon bemerkt, dass er so ähnlich empfindet wie der Junge im Buch (Reizüberflutung im Supermarkt, Angst vor dem großen Hund). Ich werde das Buch auf jeden Fall wieder als Lesestoff verwenden, wenn er noch etwas älter ist. So etwas kann ein sehr guter Einstieg sein, in der Familie über die Hochsensibilität zu sprechen.
Auch für Lehrer und Erzieher finde ich das Buch sehr gut geeignet, um sich in "besondere" Kinder einzufühlen und verständnisvoller reagieren zu können. Es gibt keinen erhobenen Zeigefinger, es propagiert auch keine Sonderbehandlung von hochsensiblen Kindern, sondern will zeigen, wie man sie unterstützen und ermutigen kann, indem man sie in ihren speziellen Eigenschaften erkennt und fördert.
Ich spreche eine klare Empfehlung für Philipp zähmt den Grübelgeier aus und danke dem Verlag nochmals für die Möglichkeit, das Buch vorzustellen und interessierten Lesern nahezubringen. Ich wünschte, ich hätte ein solches Buch als Kind lesen können.

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