BAG Erfurt,
Bildquelle: bundesarbeitsgericht.de
In zwei Grundsatzentscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am gestrigen Dienstag klargestellt, dass Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen unter bestimmten Umständen streiken dürfen und dass die Gewerkschaften stärker in die Entscheidungsprozesse über Arbeitsbedingungen einbezogen werden müssen.
Damit wurden die gegenteiligen Auffassungen der Kirchen und kirchlicher Wohlfahrtsverbände vom höchsten deutschen Arbeitsgericht nicht bestätigt. Diese hatten ein generelles Streikverbot für kirchliche Beschäftigte in zwei Revisionsverfahren richterlich absegnen lassen wollen. Dies ist ihnen jedoch nicht gelungen. Das Bundesarbeitsgericht hat insoweit zwei neuere Urteile von Landesarbeitsgerichten (LAG Hamm und LAG Hamburg) bestätigt.
Betroffen sind rund 1,3 Millionen Mitarbeiter der Kirchen und der kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas sowie ähnlicher Organisationen. Vor dem Hintergrund der Einführung von Niedriglöhnen, von Outsourcing und Leiharbeit u.a. bei Diakonie und Caritas ist in den letzten Jahren das Lohnniveau gesenkt worden, ohne dass den betroffenen Arbeitnehmern und den Gewerkschaften zur Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen das Streikrecht als Mittel zur Gegenwehr zur Verfügung stand. Entgegen der früheren Praxis werden die Tarifabschlüsse im Öffentlichen Dienst nicht mehr linear übernommen. Da angesichts verschärfter Konkurrenzbedingungen mit weiteren Rationalisierungsmaßnahmen der kirchlichen Arbeitgeber zu rechnen ist; ist nicht einsichtig, warum die Mitarbeiter und die Gewerkschaften nicht auch starke Rechte haben sollten.
Bislang lagen keine höchstrichterlichen Entscheidungen vor, die den Gewerkschaften im kirchlichen Bereich ein Streikrecht zugestanden hätten; es wurde vom Bestehen eines Streikverbots ausgegangen, welches die Kirchen teilweise den Mitarbeitern selbst aufgezwungen hatten. Das grundgesetzlich garantierte Streikrecht galt nicht und die Mitwirkung der Gewerkschaften war außerordentlich eingeschränkt.
Das BAG betont in seinen beiden Entscheidungen, dass das verfassungsmäßig geschützte kirchliche Selbstbestimmungsrecht, das die Befugnis einschließt, die eigenen Angelegenheiten zu regeln und zu verwalten, mit dem Verfassungsrecht einer Gewerkschaft gemäß Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes, sich durch den Abschluss von Tarifverträgen koalitionsmäßig zu betätigen und auch Arbeitskampfmaßnahmen einzusetzen, abgewogen werden muss.
Wenn der Gewerkschaft keine Möglichkeit eingeräumt wird, im Rahmen des von den Kirchen eingerichteten Arbeitsrechtsregelungsverfahrens stärker als bisher beteiligt zu werden, können – so das BAG – Arbeitskampfmaßnahmen zulässig sein. Außerdem muss die Arbeitsrechtssetzung im Rahmen dieses Regelungsverfahrens für die Arbeitgeber verbindlich sein und als Mindestarbeitsbedingungen den Arbeitsverträgen auch zugrundegelegt werden.
Die Entscheidungsbefugnis der Kirchen, welches Arbeitsrechtsregelungsverfahren angewendet wird, bleibt auch durch diese Entscheidungen unangetastet. Bestätigt wird der Sonderweg der Kirchen zur Regelung von Arbeitsbedingungen.
Es ist zu erwarten, dass die Kirchen und Wohlfahrtsverbände das Bundesverfassungsgericht anrufen werden. In der Vergangenheit hat das Bundesverfassungsgericht dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gegenüber den Rechten der Mitarbeiter jedoch mehr Vorrang eingeräumt als das Bundesarbeitsgericht. Die Mitarbeiter hingegen hatten bessere Karten beim Bundesarbeitsgericht (wie beispielsweise Entscheidungen zum Kündigungsschutz zeigen) und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dort wird wohl eines Tages endgültig entschieden werden.
Durch die jetzigen BAG-Entscheidungen wird die Position der in den kirchlichen Einrichtungen tätigen Mitarbeiter zwar gestärkt. Von einer auch nur annähernden Gleichstellung der Arbeitsgestaltungsbedingungen außerhalb und innerhalb des kirchlichen Bereichs kann jedoch keine Rede sein. Soweit ist es noch lange nicht.
[Erstveröffentlichung: hpd]