Manchmal, lieber Leser, kommen kleine Geschichten auf seltsamen Wegen zustande. So verhält es sich auch mit dem folgenden, an sich bescheidenen und unspektakulären Text. Bei Facebook bin ich seit geraumer Zeit Mitglied der Gruppe "Portal für Autoren, Leser, Blogger, Grafiker". Die Betreiber dieser Community stellen jede Woche eine Wochenaufgabe. Die aktuelle Aufgabe lautet, wie folgt:Du hast am Flughafen einen Koffer ersteigert, ohne zu wissen, was drin ist. Du öffnest den Koffer und findest …
Ich fand die Aufgabe ausgesprochen reizvoll und interessant. Schnell war auch die Grundidee einer kleinen Geschichte zur Hand, die ich nun auf dem heutigen Loseblatt folgen lasse und bei deren Lektüre ich viel Spaß wünsche.
Ich habe auf einer Auktion am Flughafen, bei der verlorenes und nicht abgeholtes Gepäck versteigert wurde für wenig Geld einen vergessenen und übrig gebliebenen Koffer erstanden und das gute Beutestück voller Stolz nach Hause geschleppt. Der Koffer war mit einem altertümlichen Vorhängeschloss verschlossen, zu dem es keinen Schlüssel gab. Um ihn zu öffnen, holte ich die Eisensäge aus dem Werkzeugkasten und sägte die Metalllaschen durch, welche sich an den Kofferschalen befanden und von dem Schloss zusammengehalten wurden. Als ich den Koffer öffnete, fand sich darin ein kleinerer rechteckiger Blechkoffer mit vielen Aufklebern und Beulen, die davon Zeugnis gaben, wie weit er schon mit seinem einstigen Besitzer gereist war. Ich nahm ihn aus dem Hartschalenkoffer, ließ die Verschlüsse aufschnappen und entdeckte einen alten und abgestoßenen Lederkoffer mit metallbeschlagenen Ecken. Da sein Rahmen leicht verzogen war und man ihn deshalb nicht mehr verschliessen konnte, stand er leicht offen. Ich klappte seinen Deckel hoch und stieß auf einen glänzenden Kinderpappkoffer, der mit Sonnenschirmen, Liegestühlen und anderen Strandmotiven bedruckt war. Als ich voller Spannung in das Köfferchen blickte, entdeckte ich eine sehr kleine Reisetasche aus braunem, festen Segeltuchstoff, die mit einem messingfarbenen Reißverschluss verschlossen war. Ich zog den Reißverschluss auf und sah im Inneren der Reisetasche ein Zigarettenetui im Licht glänzen. Ich kramte es aus der Tasche. Es war aus massivem Silber gearbeitet und trug auf dem Deckel eine emaillierte Vignette, die in weiß und blau eine Meereswoge darstellte. Als ich das Etui schüttelte, hörte ich in seinem Inneren ein metallisches Klappern. Ich klappte das Zigarettenetui auf und erblickte einen goldenen Schlüssel. Instinktiv griff ich mir den Schlüssel, steckte ihn in das Schlüsselloch des Vorhängeschlosses, mit welchem der Hartschalenkoffer verriegelt war. Er passte und das Schloss ließ sich mit einem ölsatten Klicken, dass von sorgfältiger Wertarbeit aus Meisterhand zeugte, ohne weiteren Widerstand öffnen. Eine Menge Fragen wollten mir durch den Kopf schießen, doch dann kam ich zu der Überzeugung, dass diese zu der Kategorie von Fragen gehörten, die besser nicht gestellt werden sollten, denn manchmal muss man bestimmte Dinge einfach hinnehmen, ohne eine Antwort darauf zu erwarten.
