Ein einziges Wort bringt alles zum Wanken

Das „Back to Back Theatre“ aus Geelong, Australien, zeigte „small metal objects“ bei den Wiener Festwochen inmitten der Fußgängerzone in der Mariahilferstraße.

Es ist kurz vor 16 Uhr und es ist heiß in der Fußgängerzone in der Mariahilferstraße in Wien. Dennoch bummeln Tausende am Nachmittag in Einkaufslaune durch die Innenstadt und sind verwundert. Am Ecke Neubaugasse ist eine Tribüne aufgebaut, auf der Menschen sitzen, die Kopfhörer tragen. Sie blicken auf die Straße direkt vor ihnen. Keine Bühne weit und breit, nur Vorbeiflanierende. Die synchronen Kopfbewegungen des Publikums lassen jedoch darauf rückschließen, dass es einem Vorgang folgt, der erst aufs zweite Hinsehen sichtbar wird.

Da stehen zwei Männer und sprechen miteinander. So, als hätten sie sich gerade hier getroffen. Der eine sehr korpulent, der andere das ganze Gegenteil. Der eine in schwarz kariertem Hemd, der andere mit weißem Unterleiberl. Sie haben kleine Mikros befestigt, das ist der einzige Hinweis, der sie als Schauspieler ausweist. Später kommen noch ein junger Geschäftsmann und eine Dame im schwarzen Hosenanzug dazu. „Small metal objects“ heißt die Produktion des Back to Back Theatre aus Australien, das 2012 bei den Wiener Festwochen mit „Ganesh Versus the Third Reich“ einen Publikumserfolg landete. Damals war es die große Bühne in der Halle G im Museumsquartier, die sie bespielten. Dieses Mal sind sie zu Viert und nutzen den freien Raum in der Innenstadt und die Menschen, die wie Statisten das reale Surrounding der Geschichte beleben.

Diese ist leicht erzählt. Gary (Sonia Teuben) und Steve (Simon Laherty) sind Freunde. Sehr gute Freunde, beste Freunde. Gary steht kurz vor einer Knieoperation und Steve fürchtet sich davor, allein zu sein, wenn Gary im Krankenhaus liegt. Seine mentale Beeinträchtigung sieht man ihm an und es wird rasch klar, Steve braucht Gary als einen fixen Bezugspunkt in seinem Leben. Noch während die beiden über das bevorstehende Ereignis miteinander sprechen erhält Gary einen Anruf. Und es entwickelt sich eine Geschichte, wie sie weltweit so ähnlich wohl tausende Male vorkommt. Ein Unbekannter möchte Drogen kaufen, die in einem Schließfach deponiert sind. Gary hat dazu einen Schlüssel und wurde durch einen entfernten Bekannten in diesen Vorgang hineingezogen. Noch bevor er richtig weiß, wie ihm geschieht, erscheint Alan (Luke Ryan), der jede Menge Stoff besorgen möchte. Er ist ein erfolgreicher Immobilienhändler und soll abends eine internationale Ehrung entgegennehmen. Das Geld, das er Gary anbietet, reicht dieser an Steve weiter, um es zu zählen. Bis dahin läuft alles perfekt. Aber dann bekommt der Plot einen Riss. Steve will Gary nicht zum Schließfach begleiten und Gary will Steve nicht alleine lassen. So entsteht eine Patt-Situation, aus der es kein Entkommen gibt. Alan holt Carolyn (Geneviève Picot) zu Hilfe, die mit ihrer Überredungskunst als Psychologin Steve dazu bewegen möchte, doch mitzugehen. Vergeblich. Er bleibt allen Schmeicheleien und Angeboten zum Trotz standhaft. Und Gary mit ihm. Einen guten Freund lässt man nicht im Stich, für kein noch so lukratives Geschäft.

Bruce Gladwin, der „small metal objects“ nach einem Gemeinschaftstext inszenierte, schafft dabei die wunderbare Verwandlung einer simplen Geschichte zu einer höchst zeitgeistigen Metapher. Obwohl das Stück schon vor 10 Jahren uraufgeführt wurde, ist es aktueller denn je. Alan und Carolyn sind Prototypen einer verkapitalisierten Gesellschaft, in der das Geld weit über dem Wert von Menschen steht. Ihr Drogenkonsum wird sowohl als eigenes Beruhigungsmittel als auch als Verkaufsargument für Kunden verwendet, die „einfach eine gute Zeit“ versprochen bekamen. Sich zukiffen ist leichter, als das eigene Tun hinterfragen. Carolyn, die Psychologin, treibt mit ihrer Arbeit die Menschenausbeutung auf die Spitze. Sie coacht „vom Führungsteam bis zum Reinigungspersonal“ alle, um die Arbeit der Menschen zu optimieren. Diesem Optimierungszwang stellen sich Gary und Steve diametral gegenüber.

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Aus der Produktivitätsgesellschaft herausgefallen, werden sie zum störenden Element in einer Welt, die nur den Profit als erstrebenswertes Ziel auf ihre Fahnen geheftet hat. Ein einziges Wort, nämlich „Nein“, bringt dieses Ziel zum Wanken. Gladwins Regie, völlig unprätentiös, aber höchst konzise, hält der westlichen Welt einen Spiegel vor. Dazu braucht es keine Requisiten. Die Menschen, die während der Vorstellung an der Tribüne voreigehen, reagieren unterschiedlich. Einige stellen anderen Passanten Fragen, einige produzieren sich selbst, winken oder verbeugen sich. Einer, wie ein sichtlich Angetrunkener, erlebt den Auftritt seines Lebens. Er taucht auf, als das Publikum zu applaudieren beginnt und bezieht diese Ovation auf sich. Die Schauspieler sind für ihn nicht sichtbar. Sie halten sich im Hintergrund und betrachten Waren in einem Schaufenster. Immer und immer wieder verbeugt sich der Mann, selbst einer, den die Gesellschaft längst ausgespuckt hat.

Die Verweigerung, die in diesem Stück so prägnant zum Ausdruck gebracht wird, wird in vielen Fällen aufgrund vermeintlicher Sachzwänge, nicht angewandt. Dennoch ist sie ein Instrument, über das diskutiert und nachgedacht werden sollte. Ob Konsumabstinenz oder eine bewusste Einkaufshaltung, ob das Ausklinken aus 40-Stunden-Jobs, wie es viele junge Menschen heute tun, all das kann genauso als „Nein“ interpretiert werden, wie Steve es coram publico aufzeigt. Die bedingungslose Hinwendung zu einem Menschen, dem man in jeder Situation vertraut, ist heute rar. Der Umgang mit Personen, die dem Kapitalismusdiktat nicht folgen können, kann für jedes Land als Parameter seiner Gesellschaftsordnung angesehen werden. Inszenierungen wie diese können Umdenkprozesse in Gang bringen, für die sonst eine Hundertschaft an Marketingstrategen bezahlt werden müsste. Ob der Erfolg derselbe wäre, sei dahin gestellt.


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