Ein Blick vor, ein Blick zurück // Neueröffnung des Mousonturms in Frankfurt (Main)

„Es riecht nach neu“, stellt eine Besucherin fest, und tatsächlich strömt durch den neueröffneten Frankfurter Mousonturm jener Duft frisch verlegten Holzparketts, der untrüglich anzeigt, dass da jemand Wille und Geld zur Renovierung hatte. Sicher mag der ein oder andere Freie-Szene-Ideologe die Nase rümpfen, wenn er beim Sektempfang auf die neue Sauberkeit anstoßen sieht: Heller Holzboden, weiße Wände, eine lichtdurchflutete Bar mit frühlingsfrisch lindgrünen Tischdecken, das lässt sich als bürgerliche Vereinnahmung empfinden. Gleich gegenüber zum Beispiel befindet sich in einer alten, ihrerzeit durch Besetzung erhaltenen Fabrikhalle das Theater Willy Praml, wo der Charme des Verwinkelten, etwas Heruntergekommenen und provisorisch Umgebauten noch lebendig ist. Dem Turm, einstigem Zentrum einer Seifenfabrik, sieht man seine industrielle Herkunft nicht mehr an. Aber so verschieden wie die Kunst sind eben die Räume, wo sie entsteht. Und abgerissenes Ambiente allein zeugt ja auch nicht von Originalität.

Ein Blick vor, ein Blick zurück // Neueröffnung des Mousonturms in Frankfurt (Main)

Copyright: Jörg Bauman

Schatzkammer der Erinnerungen

Weniger gut tut die Sterilität der freundlichen Räume leider Mats Staubs „Erinnerungsbüro“, das am Eröffnungswochenende im Foyer Aufstellung genommen hat. Seit 2008 forscht Staub in den Erinnerungen der Menschen, lässt Enkel von ihren Großeltern und Großeltern aus ihrer Jugend erzählen, fragt nach Reliquien, nach ererbten Eigenschaften und nach Zukunftsvisionen über das eigene Großelterndasein. Damals in Basel, wo ich das Erinnerungsbüro in seiner Anfangszeit kennenlernen durfte, hatte Staub eine geräumige Wohnstube zur Verfügung, und man konnte sich gut in die familiäre Atmosphäre des Geschichtenerzählens hineindenken. Kleine Fotos an den Wänden und von der Decke hängende persönliche Gegenstände schufen eine gemütliche Höhle aus Fundstücken, ein nostalgisches Kuriositätenkabinett. Jetzt in Frankfurt dominieren im unangenehm offenen Foyer die mondänen, gleichförmigen Bildschirme, auf denen man die Interviewpartner sehen und hören kann. Auf Hochglanz getrimmt, verliert das Konzept erheblich. Am besten schließt man die Augen und gibt sich den Stimmen der Senioren hin, die Mats Staub nun eigens für die Frankfurter Ausgabe im benachbarten Wohnstift befragt hat. Unsere Großelterngeneration, das wird schnell klar, hat es mit den zwei Weltkriegen leicht, Geschichten zu erzählen, die uns dem Atem verschlagen. Werden wir einst unseren Enkeln ähnlich Spannendes zu berichten haben? Hoffentlich nicht.

Private Schätze

Persönliche Erinnerungen, persönliche Ausblicke: unter diesem Motto finden die Veranstaltungen des Eröffnungswochenendes zu einem Ganzen zusammen. Bei Sarah Vanhees Projekt „Ohne Titel (Frankfurt)“ zeigen Bürger aus der Umgebung des Mousonturmes Kunstwerke, die ihre Wohnung zieren, und erzählen ihre Geschichten dazu. Ganz privat und entspannt wirkt keine der beiden Gastgeberinnen, die ich nacheinander besuche; sie distanzieren sich stellenweise vom Konzept und entschuldigen sich dafür, zum Abschluss der kleinen Führung einen bestimmten Text vorlesen zu „müssen“. Der Text ist dann auch noch zweimal derselbe, und beide scheinen nicht wahnsinnig viel damit anfangen zu können. Schade, dass man hier Sarah Vanhees konzeptionelle Anstrengung so sehr spürt. Ihr Projekt kokettiert ja damit, ganz auf die Persönlichkeiten der Teilnehmer zu setzen, und instrumentalisiert diese am Ende doch für einen vorgefertigten Ablauf.

Aber die Idee als solche ist großartig, die Auswahl der Kunstwerke überraschend. Beide Gastgeberinnen machen (und da klingen sie schon authentischer, obwohl sie sich wieder fast wörtlich wiederholen) ihrer Ratlosigkeit angesichts des Kunstmarktes Luft: Wenn man berühmt ist, kann man auch eine Fahrkarte in einen Glasschrank legen, und es wird ausgestellt. Ihre Lösung: Sie definieren selbst, was Kunst ist. Und so sehen wir uns keine Reproduktionen namhafter Maler an (auch wenn solche in der Wohnung hängen, gehen wir achtlos daran vorbei), sondern eine Holzkiste mit liebevoll eingebundenen Schulbüchern aus der pakistanischen Heimat oder ein kleines selbstgemaltes Bild, frei inspiriert von Moholy-Nagy. Und wir Gäste finden wiederum eigene Lieblingsdetails in der fremden Wohnung: Das nagelneue Telefon im Retro-Wählscheiben-Stil, die beim Flohmarkt erstandene Kollektion alter Fensterflügel, die nun wie leere Bilderrahmen die Küchenwand strukturieren. Für ein paar Momente vergessen wir die steife Atmosphäre, kommen ins Gespräch. Portraits von Gustav Klimt, ja, wundervoll fürs Museum, aber in der Küche – lieber etwas Abstraktes. Man will sich ja beim Essen nicht fortwährend von einer goldgewandeten Frau ansehen lassen.

Erinnerungen an die Gegenwart

Peinlicher als die Beobachtung durch ein Klimt-Portrait kann es jedoch enden, wenn man sich selbst zusehen muss – beim Blick in die Vergangenheit oder in die Zukunft. Davon handelt die abendliche Aufführung von „Before your very eyes“, erarbeitet von den Performancegruppen Gob Squad und Campo unter Zuhilfenahme belgischer Jugendlicher. Die Produktion ist theatertreffengeprüft und somit im deutschen Feuilleton nicht unbekannt, sie ergibt aber im größeren Zusammenhang dieser Neueröffnung, im Zusammenhang von Erinnerung und Ausblick nochmals besonderen Sinn. Im Schnelldurchgang entwerfen acht junge Menschen mögliche Biographien und werden dabei per Video immer wieder von jüngeren Erscheinungsformen ihrer selbst zur Rechenschaft gezogen, an die Gegenwart erinnert. Auch hier beschleicht manchen das Gefühl, die Darsteller seien unter dem Vorwand des Authentischen instrumentalisiert worden. „Nur beim Applaus durften sie endlich mal sie selbst sein“, befindet ein Zuschauer hinterher. Hart geurteilt, denn gerade in den tänzerischen Momenten ist den jungen Darstellern die Lust am Rampenlicht anzumerken, aber trotzdem: Wenn sie ihre zukünftigen Lebensabschnitte entwerfen, dann steckt darin unerträglich viel Klischee – von coolen Teens, smarten Twens und gebrochenen Biographien in der Midlife-Crisis. Ob das von ihnen selbst oder von ihren Regisseuren kommt? Egal: es ist packend gespielt und inhaltlich nicht besonders originell. Am besten funktioniert das Konzept dort, wo es am ehrlichsten ist: wenn die ominöse Frauenstimme, die die ganze Versuchsanordnung leitet, den Darstellerinnen minutiöse Anweisungen gibt, wie man sich auf der Geburtstagsfeier einer Vierzigjährigen verhält. Klingt paradox, ist aber so: Wenn sie ausspielen dürfen, wie erzwungen und ferngesteuert ihr Verhalten ist, entfalten die Jungen und Mädchen die schönste Natürlichkeit und die schönste Komik, zeigen eine charmante Identität jenseits des Konzepts.

Zwischen Erinnerung und Vision, zwischen Künstlichkeit, Authentizität und Pseudoauthentizität wird sich das Programm des neuen Mousonturmes in den nächsten Monaten einpendeln. Am Wochenende war das Haus voll – hoffentlich bleibt es so.


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