Spannende Romane, faszinierende Geschichten, Figuren, die sich den Leserinnen und Lesern einprägen – ohne die Möglichkeiten des Self-Publishing wären vielleicht viele literarische Schätze nach wie vor verborgen geblieben. Aber seit einigen Jahren ist die Auswahl jenseits der Verlagswerke größer geworden – und das interessante, breit gefächerte Angebot in Eigenregie publizierender Autoren wird, wie z.B. die Bestsellerlisten bei Amazon zeigen, mit Begeisterung angenommen. Einigen dieser Autorinnen und Autoren aus der Self-Publisher-Szene habe ich einen Fragenkatalog vorlegt. Ich fragte, was mich als Leser oder als Kollege interessierte. Diese so entstandenen „Interviews“ werde ich in loser Folge auf meinem Blog veröffentlichen.
Ich danke allen, die sich meinen Fragen gestellt haben und so allen Interessierten einen Blick hinter die Buchstaben ihrer Bücher gewähren.
Ralf Boscher
Heute zu Gast auf Boschers Blog: Béla Bolten
Béla, was siehst Du als Deinen bisher größten schriftstellerischen Erfolg an?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn ich muss trennen zwischen dem Krimiautor Béla Bolten, den du hier befragst, und dem Sachbuchautor, der ich unter meinem bürgerlichen Namen bin. Als solcher habe ich 1988 ein Buch mit dem Titel „Nach unbekannt verzogen“ geschrieben, in dem ich die Schicksale der jüdischen Bürger meiner Heimatstadt in der NS-Zeit dokumentiere. Dass dieses Buch in die Bibliothek der Gedenkstätte Yad Vashem aufgenommen wurde und ich damit einen winzigen Beitrag wider das Vergessen leisten konnte, betrachte ich noch heute als meinen größten Erfolg als Autor.
Da du mich aber als Béla ansprichst, will ich dir auch hier die Antwort nicht schuldig bleiben. Ich hätte nie geglaubt, dass man es mit zeithistorischen, im Zweiten Weltkrieg spielenden Kriminalromanen in die TOP 10 der Amazon-Charts schafft. Das ist ja nun wirklich kein Mainstream und es macht mich stolz, das erreicht zu haben.
Wer ist Dir die liebste Figur in einem Deiner Romane oder in einer Deiner Geschichten?
Alexander Thal, der Ermittler in meinen Bodenseekrimis. Er ist mir einfach ans Herz gewachsen mit seiner Trauer, die er in Leas Vermächtnis durchleben muss und die ihn fast um den Verstand bringt. Ein paar seiner Eigenschaften habe ich außerdem bei mir selbst entlehnt, und einige andere hätte ich selber gerne.
Wobei, wenn ich jetzt so darüber nachdenke: Seit Claras Schatten gefällt mir Madlaina Veicht immer besser, Thals Schweizer Kollegin und …. – das lassen wir mal noch offen. Mit der Figur habe ich jedenfalls noch einiges vor.
Wer ist Dir die liebste von Dir nicht erschaffene Figur in einem Roman oder einer Geschichte?
Tom Ripley, der Titelheld in gleich fünf Romanen von Patricia Highsmith. Wobei hier der Begriff „liebste Figur“ missverständlich ist, denn Ripley ist der amoralische Held schlichtweg. Für mich ist Patricia Highsmith bis heute die Königin des „Suspense“. Sie leuchtet ihren Helden bis in den letzten Winkel seiner Seele aus und treibt uns Leser dazu, diesen Widerling zu mögen, mit ihm zu fiebern, ihm zu verfallen. Einfach großartig!
Der für Dich gelungenste erste Satz einer Deiner Geschichten?
Sehr schwierige Frage. Meine ersten Sätze sind oft stakkatohaft kurz, weil ich die Leser direkt in die Geschichte ziehen möchte. Vielleicht ist es der Anfang des Thrillers „Das Jesuskomplott“, weil er die Stimmung der Situation, in der sich der Protagonist befindet, gut einfängt: „Engel nahm den Finger von Sanikas Hals und wischte ihn an seiner Hose ab, als müsse er die Erinnerung an die kühle Haut von jeder Nervenfaser tilgen. „
Wenn Du nicht Schriftsteller, sondern Musiker wärst – welche Musik würdest Du machen?
Rock und Rhythm and Blues, wie ihn die Stones in ihren besten Tagen gespielt haben.
Was macht einen Menschen zum Schriftsteller? Das Schreiben oder das Gelesen werden? Oder…?
Schreiben und gelesen werden zusammen, denke ich. Es kann einen Menschen sehr bereichern, nur für sich zu schreiben, allerdings würde ich ihn dann nicht Schriftsteller oder Autor nennen. Dazu gehört der Wille, das Ergebnis seiner Arbeit der Öffentlichkeit zu übergeben und zuzusehen, wie sich das Werk durch die Leser verändert.
Deine Einschätzung: Ist es förderlicher für eine gute Schreibe, mit seiner schriftstellerischen Arbeit seine Brötchen zu verdienen oder einem anderen Brotberuf nachzugehen?
Das kann ich kaum beantworten, weil mein Brotberuf seit nunmehr elf Jahren das Schreiben ist, konkret die Auftragsschreiberei bzw. das Ghostwriting. Ich sitze also Tag für Tag am Computer und schreibe, was, so glaube ich zumindest, meinem Stil sehr gut getan hat. Schreiben ist zu einem großen Teil Handwerk und das will geübt werden. Mein belletristisches Schreiben hat zudem sehr davon profitiert, dass ich mich mit verschiedenen Genres beschäftigen musste. Inzwischen hat sich der Schwerpunkt meiner Arbeit mehr und mehr vom Auftragsautor weg und zum Schriftsteller hin verschoben, trotzdem genieße ich es, immer mal wieder etwas ganz anderes schreiben zu dürfen.
Von der Grundidee zur fertigen Geschichte: Ist das bei Dir ein gerade Weg oder passiert es Dir, dass Du Dich weit von der Grundidee entfernst?
Ich bin ein fanatischer und detaillierter Plotter. Ich konstruiere meine Geschichten sehr exakt, sodass beim Schreiben nicht mehr viel Spielraum für Veränderungen bleibt. Während der Entwicklungsphase eines Plots kann es aber vorkommen, dass ich eine ursprüngliche Idee abwandele oder sogar ganz verwerfe.
Welcher Art sind die Szenen, die für Dich die größten Herausforderungen stellen?
In meinen zeithistorischen Krimis um den Berliner Polizisten Axel Daut treten Figuren der Zeitgeschichte auf. In „Codewort Rothenburg“ zum Beispiel die Widerstandskämpfer Libertas und Harro Schulze-Boysen oder in „Der Aufbewarier“ die Schauspielerin und Sängerin Zarah Leander. Diese Figuren lebendig agieren und sprechen zu lassen, ohne dass ihre Darstellung zu einer Kolportage oder gar einer überzeichneten Karikatur verkommt, ist immer wieder eine große Herausforderung. Um diesen Menschen gerecht zu werden, schaue ich mir so viel Bild- und Filmmaterial wie möglich an. Keine anderen Textpassagen überarbeite und verändere ich so oft, wie die Dialoge mit Personen der Zeitgeschichte.
Was bereitet Dir die größte Freude beim Schreiben?
Gott zu spielen, Menschen und ihre Geschichten zu erfinden. Anders gesagt: die Entwicklung des Plots.
Der für Dich wertvollste Schreibtipp, den Du erhalten hast?
Es sind zwei Tipps und sie scheinen sich sogar zu widersprechen. Der erste lautet: Du musst lesen. Sehr viel lesen und vor allem Bücher, deren Schöpfer besser schreiben als du selbst. Es bringt einen als Autor nicht weiter, wenn man sagt, „das kann ich auch“. Ich lerne nur von den Meistern, nicht von den anderen Lehrlingen. Der zweite Tipp lautet: Schreiben, schreiben, schreiben! Denn nur durch die beständige Übung verbessert man sich.
Manchmal noch Papier und Stift? Oder nur noch Schreiben am Rechner?
Nur am Rechner – ausschließlich und schon lange. Mein erstes Schreibprogramm war Wordstar und wurde auf 5,25 Zoll Floppy Disk ausgeliefert. Vermutlich weiß der größte Teil der Leser dieses Interviews nicht mal mehr, wovon der Opa hier erzählt, deshalb konkret: Ich schrieb zum ersten Mal 1984 auf einem Computer und so halte ich es seit dreißig Jahren.
Welches Schreibprogramm nutzt Du?
Papyrus Autor. Das ist für mich das mit Abstand beste Werkzeug, das ein Autor zur Verfügung hat. Kein Wunder, hat doch mit Andreas Eschbach ein Großer unserer Zunft bei der Entwicklung Pate gestanden. Kein anderes Programm ist so durchdacht und bietet so viele Hilfestellungen – ich nenne hier nur den perfekt integrierten Duden Korrektor, den Thesaurus und vor allem die für mich inzwischen unverzichtbare Stilanalyse. Wenn ein Schreibprogramm einen Autor besser machen kann, dann Papyrus.
Schreibzeiten: Wann schreibst Du? Schreibst Du an festgelegten Uhrzeiten oder setzt Du Dir zum Beispiel pro Tag eine Zeichenmenge?
Schreiben ist mein Beruf, dem ich täglich nachgehe. Ich setzte mir jeden Tag ein bestimmtes Ziel. In der Phase des Plottens lege ich fest, wie viele Kapitel ich an einem Tag planen will. In der eigentlich Schreibphase definiere ich eine bestimmte Textmenge, in der Regel sind es zwei- bis dreitausend Wörter pro Tag. Kolleginnen und Kollegen, die einem nicht schreibenden Brotberuf nachgehen, werden das vielleicht für utopisch halten, aber ich sitze nun mal einen kompletten Arbeitstag – und der kann auch schon mal mehr als acht Stunden haben – am Schreibtisch und arbeite am Manuskript. Da relativiert sich das.
Wie viel Zeit verwendest Du am Tag für das Marketing? Und welche Kanäle nutzt Du für die Werbung?
Das ist sehr unterschiedlich. Wenn ein Buch neu erscheint, wende ich mehr Zeit dafür auf als zu anderen Zeiten. Ich nutze Facebook und Twitter und habe meine eigene Website. Meinen Schreibtäter-Blog habe ich in der letzten Zeit sträflich vernachlässigt, ich gelobe meinen Leserinnen und Lesern Besserung.
Bereitet Dir das Schreiben größere Freude, seitdem es mehr Möglichkeiten der Veröffentlichung gibt (E-Books, Selfpublishing…)?
Vor allem haben mir diese neuen Publikationsmöglichkeiten die Chance eröffnet, den Schwerpunkt meiner Arbeit mehr und mehr vom Auftragsschreiben zum selbstbestimmten belletristischen Schreiben zu verschieben. Ich muss heute nicht mehr jeden Auftrag annehmen, damit mein Kühlschrank gefüllt ist. Für diese Freiheit bin ich sehr dankbar. Außerdem behalte ich über den gesamten Prozess bis zur Publikation des fertigen Buches die Kontrolle. Es macht mir großen Spaß, an jedem einzelnen Schritt beteiligt zu sein und meine Wünsche einbringen zu können.
Die „Thomas Mann“-Frage: Du schreibst, Deine Frau oder Freundin kommt herein oder ein guter Freund ruft an oder Dein Kind möchte etwas von Dir wissen – verbittest Du Dir die Störung, weil Du schreibst, oder lässt Du Dich auf die „Planänderung“ ein?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Grundsätzlich habe ich das Problem aller Freiberufler, die ausschließlich zu Hause arbeiten, Störungen zu minimieren. Ich kommuniziere klar und deutlich, wenn ich nicht gestört werden will. Außerdem schreibe ich gerne am Abend, da habe ich eh mehr Ruhe.
Die „Charles Bukowski“-Frage: Hältst Du Alkohol für eine sinnvolle Stimulanz beim Schreiben?
Die beste Antwort darauf hat Hemingway, der große Zecher, gegeben. „Write drunk, edit sober.“ Wobei das „drunk“ bei mir sicher nicht funktionieren würde, aber ein Glas Rotwein darf es schon mal sein, wenn ich abends noch spät am Schreibtisch sitze.
Du gehst schlafen, liegst bereits im Bett, das Licht ist aus – da kommt Dir eine Schreibidee in den Kopf: Stehst Du auf und notierst Dir die Idee?
Ich brauche nicht aufzustehen, denn auf dem Nachttisch liegen Notizblock und Stift, die ich relativ häufig benutze. Es ist erstaunlich, wie oft einem etwas einfällt, wenn man völlig abschaltet. Wenn ich es dann nicht sofort aufschreibe, lässt mich die Idee die ganze Nacht am Schlafen hindern.
Hast Du mit einer Geschichte abgeschlossen, wenn Du unter sie ein „Ende“ gesetzt hast?
Wenn sie endgültig publiziert ist – das heißt, wenn die Arbeit vollständig getan ist – lasse ich die Geschichte los. Das gelingt mir am besten, wenn ich gleich mit einer neuen Arbeit beginne, also fange ich unmittelbar mit dem Plot der nächsten Geschichte an.
Vielen Dank Béla, dass Du Dir die Zeit genommen hast, diesen „Blick hinter die Buchstaben“ zu ermöglichen!
Béla Bolten ist ein Pseudonym des Autors Matthias Brömmelhaus. 1957 im Münsterland geboren, lebt und schreibt er jetzt in Konstanz am Bodensee. Unter seinem Realnamen arbeitete er nach dem Studium zunächst als Historiker und veröffentlichte verschiedene Artikel und Sachbücher zur Zeitgeschichte. 2003 eröffnete er den Autobiografieservice und gehört heute zu den erfolgreichsten »Personal Historians« im deutschsprachigen Raum. (Quelle)
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