Das Hotel Sacher ist weltbekannt, die Gründungschefin nicht. Die neue Anna Sacher-Biografie ist eine literarische Reise ins alte Wien.
Anna Sacher und der Blaue Salon im heutigen Hotel
Sacher ist eine Marke von Welt: die weltberühmte Torte, das weltberühmte Hotel, beide sind Wahrzeichen und Marketingmagneten Wiens. Die Biografie der ersten Chefin Anna Sacher könnte man
als Topmanagerinnen-Story schreiben. Monika Czernin hat sich für einen anderen Weg entschieden, die Lebensgeschichte dieser erfolgreichen Frau zu erzählen - und kommt der Macherin und dem Mythos
Sacher damit viel näher als mit einer Pionierinnen-Jubelarie.
Monika Czernin
Das letzte Fest des alten Europa
Anna Sacher und ihr Hotel
Erschienen bei Knaus im November 2014. 352 Seiten kosten in der gebundenen Ausgabe 19,99-. Euro. Leseprobe und weitere Features im Menu auf auf dem Cover (links oben).
Anna Sachers Geschichte beginnt wie eine der typischen Frauenbiografien, in den die Heldin des Buches erst einmal aus dem Schatten des Gatten treten muss. Das besorgt unfreiwillig Gevatter Tod: Früh, allzu früh, wird die junge Gastronomengattin zur Witwe. Als ihr Mann Eduard stirbt, da ist die 1859 geborene Anna Sacher noch nicht einmal 35 Jahre alt. Wie wird es jetzt wohl mit dem Hotel weitergehen, das Eduard gerade aufbaut? Wie mit dem Restaurant, in dem man seinen kulinarischen Geniestreich kosten kann: die Sacher-Torte?
Anna Sachers Biografin Monika Czernin redet dieses Drama nicht klein, aber sie macht daraus auch keinen biografischen Urknall einer Superfrau, die alles genauso und noch besser macht. Sie lädt ihre Leserinnen und Leser ein zu einer literarischen Zeitreise ins Wien der Jahrhundertwende. Der neue Stolz der Stadt, die Ringstraße, zeigt den letzten Glanz der Donaumonarchie. In Wien treffen sich die Größen der Zeit - und sie treffen sich im Hotel Sacher. Das hat Monika Czernin zum Leitmotiv ihrer Sacher-Biografie gemacht: Die einzelnen Kapitel sind den VIPs der Zeit gewidmet, die in ihren jewiligen Allüren das Sacher besuchen und mit der Chefin in Kontakt kommen. Gustav Mahler, Kaiserin Sisi, Gustav Klimmt, die Thronfolger Rudolf und Franz Ferdinand: alle geben sich im Sacher die Ehre. Und in jeder dieser kurzweilig geschilderten Begegnungen lernen die Leserinnen und Leser auch die einzelnen Charakterzüge und Eigenschaften, Vorlieben und Laster der Anna Sacher kennen. Das ist eine ungewöhnliche Form der Biografie - aber sie überzeugt. Die anekdotische Erzählform wirkt nicht abgehackt oder konstruiert, sondern in sich stimmig. Und so duftet es schon nach wenigen Seiten (wenn man sich sich vom allzu reißerischen Titel "Das letzte Fest Europas" erholt hat) nach köstlicher Melange und man fühlt sich fast so, als würde man selbst in Anna Sachers Salon sitzen und dem Klatsch und Tratsch, den hochgeistigen und den politischen Gespräche an den Nachbartischen lauschen. Stilecht gehört übrigens zu diesem Lesevergnügen natürlich ein Stückchen Sachersache...