Ob wir egoistisch oder hilfsbereit handeln, hängt in hohem Maß von der Situation ab. Wer gerade für eine »gute Tat« vollbracht hat, ist anschließend weniger altruistisch. Offenbar führen wir unbewusst ein inneres Moralkonto. Wie gut sich dabei egoistische Impulse zügeln lassen, hängt besonders von der Hirnaktivität im Präfrontalkortex ab.
Ist der Mensch grundsätzlich eine Egomane – oder auf Ausgleich und Gerechtigkeit erpicht? Sowohl als auch! Laut der Psychologin Sonya Sachdeva von der Northwestern University in Evanston (USA) führen wir laufend eine Art moralische Pro-kontra-Liste: Ob beim Ansturm auf den Wühltisch, beim Türaufhalten oder beim Anstehen – soll ich Rücksicht nehmen oder gucken, dass ich selbst auf meine Kosten komme? Je nachdem, wie es um unser Selbstbild gerade bestellt ist, fällt unsere Antwort verschieden aus. Das berichtet das Magazin Gehirn&Geist; in seiner aktuellen Ausgabe (1-2/2012).
Den Effekt konnte die Psychologin Sachdeva mit ihrem Team 2009 in einem Experiment demonstrieren. Versuchspersonen sollten ein wenig von sich selbst erzählen und dabei vorgegebene Adjektive einbinden. Teilnehmer, die sich dabei in positiven Worten beschreiben sollten, spendeten nach dem Experiment prompt weniger Geld als jene, die von persönlichen Schwächen berichtet mussten. Fazit: Wer moralisch gute dasteht, neigt weniger zu altruistischem Handeln.
Die kanadischen Psychologen Nina Mazar und Chen-Bo Zhong übertrugen das Modell vom moralischen Bilanzieren auf den Alltag. Ihre Idee: Der Kauf von Bioprodukten wird allgemein ethisch höher bewertet als der von konventionell erzeugten Waren. Sollte sich dies nicht auch auf das moralische Verhalten der Käufer auswirken? Um das herauszufinden, schickten Mazar und Zhong ihre Probanden zum Onlineshopping mal in einen Bio-, mal in einen konventionellen Supermarkt. Während einige Teilnehmer die Produktpalette nur sichten sollten, durften andere zuschlagen: Sie hatten hierfür 25 Dollar in der virtuellen Geldbörse.
Im Anschluss stand jeder Teilnehmer vor der Wahl, von einem gegebenen Startkapital einem Mitspieler etwas abzugeben. Das erstaunliche Ergebnis: Teilnehmer, die sich im Ökoladen bloß umgesehen hatten, waren auffällig spendabel. Wer jedoch die Bioprodukte tatsächlich eingekauft hatte, verhielt sich in Dagobert-Duck-Manier und gab deutlich weniger ab. Der Bioeinkauf hatte die Betreffenden augenscheinlich egoistischer gemacht.
Warum sind manche Menschen deutlich schlechter als andere in der Lage, egoistische Impulse zu kontrollieren als andere? Mit Hilfe der TMS konnten Daria Knoch und Bastian Schiller von der Universität Basel 2010 demonstrieren, dass es die soziale Selbstkontrolle von Menschen vermindert, wenn man die Aktivität im rechten Präfrontalkortex hemmt. Die Forscher registrierten wir per Elektroenzephalografie (EEG) die Aktivität des Gehirns im Ruhezustand, also während die Probanden einfach nur die Augen geschlossen hielten. Spezielle 3-D-Lokalisierungsmethoden ermöglichen es, die an der Schädeloberfläche gemessenen elektrischen Potenzialschwankungen den jeweiligen Ursprungsarealen im Gehirn zuzuordnen. Bemerkenswerterweise war es möglich, das Moralverhalten durch die EEG-Grundaktivität im Ruhezustand vorherzusagen: Je aktiver der rechte Präfrontalkortex, desto eher lehnte die Versuchsperson als unfair empfundene Angebote ab – ein Zeichen vermehrter sozialer Selbstkontrolle.
Der Rechts- und Staatswissenschaftler Armin Falk von der Universität Bonn stellt das lange Zeit vorherrschende Bild des stets auf seinen Vorteil bedachten Homo oeconomicus in Frage. Der Mensch sei vielmehr ein Homo reciprocans, der nach Fairness strebe. Falk ist überzeugt, dass wir das Prinzip "Wie du mir, so ich dir" stärker verinnerlicht haben als jedes rationale Gewinnsucht. Wer von anderen gut behandelt wird, revanchiert sich, wem Unrecht widerfährt, sanktioniert – selbst wenn ihm dadurch Kosten entstehen.
Egoismus - Die innere Balance von Gut und Böse
Autor des Artikels : urzeit
Zum Original-ArtikelErnst Probst ist Autor von mehr als 100 Büchern, Taschenbüchern, Broschüren, Museumsführern und E-Books