Totalitäre Künstlichkeit
“Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht.”
Nein, nicht nur mit den Himbeeren stimmt etwas nicht, es liegt so einiges im Argen in Eckhart Nickels Debütroman Hysteria. Den Beginn seines Romans las Nickel bereits 2017 auf Einladung von Michael Wiederstein in Klagenfurt. Sein erster Satz wurde hochgelobt, den Bachmann-Preis nahm jedoch Ferdinand Schmalz mit nach Hause.
Nun gut, worum geht es in dem Buch? Der Protagonist Bergheim entdeckt beim Einkauf auf dem Markt jene Himbeeren, mit denen etwas nicht zu stimmen scheint. Sie fühlen sich nicht richtig an, sehen zu dunkel, ja jenseitig aus. Verunsichert davon macht er sich auf den Weg zur Kooperative, die Erzeuger der Himbeeren ist und sich Sommerfrische nennt, und findet sich bald in einer Art ökologischem Totalitarismus wieder, in der das sogenannte Kulinarische Institut eine Rolle spielt, welches, um “in den unschuldigen Zustand der absoluten Natürlichkeit zurückzukehren”, von den Mitgliedern der Rousseau-Husaren mit ihren Gesetzen des spurenlosen Lebens aufgebaut wurde.
„Die Existenz der Menschen auf der Erde ist ein biologischer Zufall und steht der uneingeschränkten Entfaltung der Natur nur im Weg.“
Nickel gelingt es mit Hysteria nicht nur eine verunsichernde Dystopie zu erschaffen, die einen (nicht nur) dazu veranlasst, in Zukunft Himbeeren vor dem Kauf genauer zu betrachten. Sein Buch ist vielmehr eine überspitzte, teils witzige, sprachlich elegante Kulturkritik, die aufzeigt, wie Ideologien sich vom Entstehungsgedanken in eine andere, teils diametral entgegengesetzte Richtung entwickeln können. Aus dem Gedanken, wieder zurück zur Natur zu kehren, wird ein Ideologie der künstlichen Natur, so widersprüchlich das sein mag.
Eckhart Nickel
Hysteria
Piper Verlag, September 2018
240 Seiten
22,- EUR