Düsseldorfer Weihnachtsgeschichte

Schnee fällt in dicken Flocken auf die festlich beleuchtete Straße. Und ich freue mich wie ein Schneekönig. Wär‘ zwar lieber daheim in meinem warmen Stübchen geblieben. Aber was soll’s: die Pflicht ruft! Muss noch Geschenke einkaufen. Es ist doch schließlich bald Weihnachten!

Ein glanzvoller Schein liegt über der Innenstadt. Ich laufe ein paar Straßen entlang und bemerke meinen knurrenden Magen, wie auch die kaputten, schmerzenden Füße eines pensionierten Düsseldorfer Köbes. Doch Rettung naht!

Mmmmmmh! Täglich frische Leberwurstbrötchen! Wieder eingetroffen! Die Wurst im Golddarm. Am laufenden Meter. Ein starkes Stück! Herzhaft! Ein Gedicht, ein Gedicht! Durchgehend geöffnet. Wow! Billig, billig, billig! Der Schuster, den sich jeder leisten kann! Wahnsinn! Dafür gibt es Schnellkredite. Zur Gesundheit? Ahhh! Ihr Reisebüro kennt den Weg! Wir bringen Sie auf Trab! Entdecken Sie Ihre Lust auf aktive Lustreisen!

Ja! Ich will in das Geschäft eintreten und sofort buchen. Wo war denn verflixt nochmal die Kreditkarte? „Kommen Sie mor-„

Mir ist plötzlich komisch zumute. Will die Sonnenverkäuferin noch um etwas Geduld bitten, aber da drängen mich die hereinströmenden Massen schon beiseite. Schlagartig bleibe ich zurück, taumele rückwärts durch die Drehtür, und lese irritiert: „Verschwinden Sie einfach – in die Sonne!“

Ach. So! Noch etwas benommen stolpere ich fast über die Bank an meiner Seite – eine schattige Parkbank mitten im glitzernden Trubel, die von einer schäbig wirkenden Gestalt in Besitz genommen wird. Seine zittrige Hand hält ein vergilbtes Schild mit der krakeligen Aufschrift:

„EIN MENSCH BITTET UM HILFE!“

Was für ein gelungener Kontrast! Die Ablenkung währt allerdings nicht lange, denn ehe ich mich versehe, singen mehrere Stimmen „Qualität muss stimmen!“ – und reißen dem Mann das Schild weg!

Jetzt erinnere ich mich wieder an die „Königliche Alleewache“, die mit dem sympathischen Motto: „Wir führen nur Gutes im Schilde!“ in allen Medien wirbt, und der Tradition wieder mehr Platz einräumen will. Ihre tadellos glänzenden Uniformen blendeten mich kurz, so dass ich gar nicht sehen konnte, was mit dem Obdachlosen geschehen ist. Auch egal. Schließlich darf ich mein Ziel, den Weihnachtseinkauf, bis zum Ladenschluss nicht aus den Augen verlieren. Hinter mir höre ich noch jemanden rufen: „Im Kögraben brodelt und blubbert es wieder! Wahrscheinlich sind es Bakterien, hahaha!“ Ach! Fröhliche Weihnachtszeit!

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Vollbepackt mache ich mich schließlich auf den Heimweg. Ich werfe mein kaum angekautes, noch zart duftendes Leberwurstbrötchen den Stadttauben hin – und beobachte voller Rührung, wie den kleinen goldigen Tierchen im Schein der Laternen vor Freude die Augen glänzen. Es ist doch schließlich bald Weihnachten!

(P.S. Diese bitterböse Weihnachtssatire war Bestandteil meiner ersten öffentlichen Lesung am 1.11.1994 beim Poetry Cafe im Heinrich-Heine-Geburtshaus. Damaliger Titel: “Spaßrutenlauf durch die Düsseldorfer Innenstadt”. Als Einleitung wählte ich „Die Nachtlager“ von Bert Brecht. Sämtliche Werbezitate sind authentisch und entstammen den vorweihnachtlichen Düsseldorfer Plakatwänden! Erstveröffentlichung: Das Dosierte Leben Heft 24/ 2002)

 

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