Durchgelesen – „Das Zimmermädchen“ v. Markus Orths

„Das Zimmermädchen“ ist die ideale Lektüre für eine schlaflose Nacht in einem Hotelbett. Vielleicht werden Sie dann gar nicht mehr schlafen, denn spätestens nach den ersten dreissig Seiten verspüren Sie eine gewisse Unruhe! Markus Orths präsentiert uns einen verrückten Roman, oder sollte man besser sagen – eine groteske Novelle bei knapp 140 Seiten- , der den Leser fesselt und berauscht.

Markus Orths, geboren 1969 in Viersen, studierte Philosophie, Romanistik und Englisch. Seine Erzählungen und Romane wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, unter anderem mit dem Förderpreis des Marburger Literaturpreises (2003), dem Heinrich-Heine-Stipendium (2006), dem Walter-Scott-Preis (2006) und dem Telekom-Austria-Preis in Klagenfurt (2008). Er lebt und schreibt in Karlsruhe.

„Das Zimmermädchen“ ist das psychosoziale Porträt einer junger Frau, die – nach einem längeren Aufenthalt in der Psychiatrie -, versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die Hauptprotagonistin Lynn Zapatek, eigentlich heisst sie mit Vornamen Linda Maria, ist 1975 geboren, einsfünfundsechzig gross, hat braune Haare und grüne Augen. Sie wurde von ihrem Freund Heinz verlassen und kehrt nun nach sechsmonatiger stationärer psychotherapeutischer Behandlung wieder zurück in ihre Wohnung.

Lynn ist eine rastlose Frau, sie muss ständig etwas tun. Ruhe ist für sie unerträglich, trotz des Klinikaufenthaltes spürt sie, dass sich nichts bei ihr verändert hat. Sie fühlte sich bereits als Patientin unverstanden, sie sollte an sich arbeiten, sie sollte sich ihrer Vergangenheit stellen und Widerstand leisten. Jetzt ist sie zu Hause, hat keine Arbeit mehr und kein Geld. Ihre Mutter zahlt bereits die Miete, deshalb will sie nicht mehr von ihr verlangen. Sie trifft sich mit Heinz, er macht ihr klar, dass es definitiv vorbei ist. Doch glücklicherweise gibt es bald eine neue berufliche Perspektive für sie:

„Ihr Leben läuft wie am Schnürchen. Lynn steht auf, am Morgen, putzt sich, dann die Hotelzimmer, sie hat den Job bekommen, Heinz hat ihn ihr besorgt, und der Therapeut warf ein Wort in den Raum, das alles enthielt: Konfrontationstherapie. Gutachten, Gespräche, Vertrag, Probezeit, Kündigung schon beim geringsten Vergehen. Vergehen, denkt Lynn. Die Zeit begeht jede Menge Vergehen. Jeder Tag ist ein Vergehen. Und Lynn tut die Dinge gleichmässig.“

Lynn putzt, was das Zeug hält. Sie ist mehr als gründlich, sie findet Dreck, wo keiner ist. Entdeckt noch Staub, wo bereits gesaugt wurde. Das Putzen wird obsessiv, man könnte fast schon von einem pathologischen Putz-Zwang sprechen. Lynn bleibt immer länger, macht Überstunden, obwohl diese nicht bezahlt werden. Aber die Abende und Nächte zu Hause sind für sie schwierig. Sie fühlt sich nur in „ihren“ Hotelzimmern wohl. Mit Übereifer stürzt sie sich immer mehr in die Arbeit und entwickelt dazu noch eine Neugierde für die privaten Dinge der Gäste, die sie im Zimmer liegen lassen. Schnüffelt herum, schaut in die Kulturbeutel, liest Notizen und riecht an der Kleidung. Als sie jedoch beim Probieren einer Pyjamajacke beinahe erwischt wird und sich gerade noch rechtzeitig unter dem Bett verstecken kann, bevor der Hotelgast sein Zimmer betritt, entdeckt sie etwas ganz neues! Eine neue Perspektive, aus der sie alles beobachten kann, aber selbst unerkannt bleibt. Sie spürt, dass diese spontane Versteckaktion, welche eine ganze Nacht gedauert hat, nicht die letzte bleiben würde und beschliesst danach, sich jeden Dienstag unter ein Hotelbett zu legen:

„Siebter Dienstag, Zimmer 304, Lynn liegt unterm Bett eines Mannes. Der ist im Bad. Da klopft es an der Tür. Das Klopfen wird lauter. Lynn sieht Beine, die aus dem Bad kommen, die nackten Füsse hinterlassen Wasserflecken auf dem Teppich, der Mann öffnet die Tür, sagt, na, komm rein, er sagt es in einem rauen Tonfall, als wolle er besonders dreckig klingen, schliesst die Tür ab, Lynn hört eine Frauenstimme. Unterm Bett ist es nicht kalt. Lynn legt die Hände unter die Hüfte, wölbt ihr Geschlecht ein wenig, hin zur Unterseite des Betts, sucht bequeme Stellung, hält den Atem an.“

Dieser Abend wird für Lynn einiges verändern. Sie bleibt nicht die ganze Nacht unter dem Bett, sondern kriecht hervor, nachdem die Frau gegangen war und der Mann unter der Dusche stand. Sie schreibt sich noch die Telefonnummer ab von der Visitenkarte der Frau, welche Chiara heisst. Ab diesem Erlebnis dreht sich alles in ihrem Kopf. Sie legt sich nach wie vor jeden Dienstag unter ein Bett, lebt ihren Putzfimmel aus, reinigt sogar unbenutzte Zimmer und sie überlegt intensiv, ob sie Chiara anrufen soll. Sie tut es ….

„Das Zimmermädchen“ ist  gleichzeitig ein spannungsreiches und amüsantes Lesevergnügen, auch wenn das eigentliche Thema dieser Geschichte – die unerfüllte Sehnsucht nach einem anderen Leben – eher deprimierend sein könnte. Doch Markus Orths ist wie ein Zauberer. Er enthüllt in dieser kurzen Prosa den eigenwilligen Charakter dieser jungen Frau mit seiner Sprachkunst, die aus äusserst knappen und schnellen Sätzen besteht, welche die Obsessivität des Putzen brillant darstellt. Sensibel, aber trotzdem direkt, zeichnet er ein sehr subtiles Porträt dieser jungen Frau, die versucht, ihren Konflikt zwischen Chaos und Ordnung im Leben zu lösen. Ob das Putzen dabei hilft, ist sicher fraglich. Man könnte jedoch keinesfalls eine bessere Metapher für die Leere des Lebens finden!

Das Zimmermädchen“ ist ein verrücktes kleines Buch. Es fasziniert, macht neugierig, zieht in den Bann und wird den Leser auch nach der Lektüre gedanklich weiter begleiten, spätestens dann, wenn er bei seiner nächsten Reise auf seinem Hotelbett liegt. Lesen Sie dieses Buch: es ist packend, komisch, lustvoll, aber auch sehr tiefsinnig!



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