Durchgeblättert – „Alte Meister“ nach Thomas Bernhard v. Nicolas Mahler

Erinnern Sie sich noch an den Musikphilosophen Reger, an seinen Freund Atzbacher und an den Museumswärter Irrsigler ? Es handelt sich hier um die drei Hauptprotagonisten aus der bitterbösen Prosa-Komödie « Alte Meister » von Thomas Bernhard, die 1985 erstmals veröffentlicht wurde. Ein Werk, besser eine Kritikschrift, die sich mit den kulturellen « Schönheiten » unserer Gesellschaft beschäftigt, sei es in der Kunst, Musik, Literatur, Philosophie und Religion. Aber auch die Themen Liebe,Kitsch und Dummheit spielen eine grosse Rolle.

Der Schauplatz des Romans ist die Kunst- und Musikstadt Wien. Reger sitzt im Kunsthistorischen Museum auf einer Bank im Bordone-Saal genau gegenüber von Tintorettos « Weissbärtigen Mann ». Er ist über 80 Jahre alt, schreibt immer noch Musik-Kritiken für die Times und besucht seit mehr als 30 Jahren diesen für ihn ganz besonders wichtigen Ort. Für Reger ist dies aber auch der perfekte Platz, um nicht nur über alles nachzudenken, sondern auch die ganze Welt zu kritisieren. Mit Irrsigler, dem Museumswärter, verbindet ihn seit seinem ersten Besuch ein ungewöhnliches Verhältnis. Für Reger ist er nur ein « Staatstoter » und passt deshalb sehr gut auf diesen Wärter-Posten, obwohl es bereits als Kind sein grösster Wunsch gewesen wäre, zur Polizei zu gehen. Übrigens weilt Reger gewöhnlich jeden zweiten Vormittag im Museum. Montags nie, denn da ist geschlossen und auch die eintrittfreien Samstage meidet er bewusst. Doch eines Tages bittet er seinen Freund Atzbacher – ein Privatgelehrter, der übrigens auch der Erzähler dieser Geschichte ist, – zu einem Treffen ausgerechnet am Samstag. Atzbacher ist mehr als überrascht und neugierig, was dies wohl für einen Grund haben könnte. Doch bis es zu dessen Enthüllung kommt, wettert Reger erst einmal ohne Unterlass gegen alles, gegen die Kunst, die Literatur, die Komponisten, die Philosophen und natürlich auch gegen die Wiener…

Thomas Bernhard (1931 – 1989) gehört zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Er war der Meister der Übertreibung, die durch seine elegante Sprache, eingebaut in atemberaubende Schachtelsätze, den parodistischen und karikaturistischen Elementen eine unglaublich starke Bedeutung verleihen konnte. Er war ein Gesellschaftskritiker, manchmal ein wenig größenwahnsinnig und radikal, aber im Kern letztendlich auch ehrlich und irgendwie berührend.

Und genau diese Mischung aus Bösartigkeit und Sentimentalität öffnet die Türen für eine ganz neue Form der visuellen Erweckung dieses nörglerischen Prosa-Stücks. Bernhard’s Werk erfährt eine zeichnerische Wiederbelebung und somit entsteht die grandiose Neu-Adaption von « Alte Meister » als Comic bzw. Graphic Novel.

Dies könnte ein schwieriges Unterfangen für manche Bernhard-Verehrer bedeuten oder im schlimmsten Fall sogar ein abwehrendes Kopfschütteln auslösen. Mut ist sicherlich eine der wichtigsten Voraussetzungen für dieses Projekt, und Kopfschütteln darf man auch, aber vor Begeisterung. Nicolas Mahler ist der heldenhafte Künstler, oder soll man besser sagen Zeichen-Magier dieser neuen « Alten Meister », die er in einer wirklich genialen Adaption perfekt umgesetzt hat. Bernhard’s Werk, das ja hauptsächlich aus Schimpf -Monologen besteht, wird hier von 300 Seiten auf ungefähr die Hälfte reduziert. Der Inhalt ist quasi zeichnerisch zusammengefasst und die ausgewählten Sätze Bernhards werden in die einzelnen Karikatur-Zeichnungen virtuos eingebaut.

Ab jetzt sind die drei Protagonisten lebendig, irgendwie real : Reger dargestellt als kleiner dicker Mann mit schwarzem Mantel, Hut und Stock. Atzbacher dagegen gross, hager, mit Brille und übergroßer Nase. Und wenn man Irrsiger – eher klein, rund und mit unproportional langer Nase – betrachtet, versteht man sehr gut, dass er im Museum sicherlich besser aufgehoben ist, als bei der Wiener Polizei. Nicolas Mahler zeichnet schwarz – weiss mit einer einzigen farblichen Pointierung in Gelbgold. Eine Farbe, die hervorhebt – nicht immer nur zum Vorteil -, einen veredelten Rahmen schafft und wie ein « goldener » Faden verbindet. Bernhard’s Worte und Mahler’s Striche provozieren gemeinsam und ergänzen sich dadurch perfekt. Bernhard übertreibt, wo er nur kann, und Mahler untertreibt, wie er nur kann. Denn seine Hauptdarsteller sind quasi gesichtslos, keine Ohren, Augen und Münder, dafür manchmal charakterstarke Nasen. Hier treffen absurde Prosa auf absurde Zeichenkunst.

« Alte Meister », ein Klassiker, wird minimalistisch und mit sehr kunstvoll reduzierten Humor zum Leben erweckt, durch einen bemerkenswerten österreichischen Comic-Zeichner. Nicolas Mahler (geb. 1969) lebt in Wien und arbeitet für österreichische, deutsche und Schweizer Zeitungen und Zeitschriften und publizierte in den letzten Jahren mehr als 20 Bücher in Frankreich, Kanada und USA. In Deutschland kennt man ihn seit 2006 durch Veröffentlichungen im Satiremagazin Titanic. Er wurde mit einigen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Max-und-Moritz-Preis 2010 als bester deutscher Comic-Künstler.

« Alte Meister » als Comic bzw. Graphic Novel ist ein sehr gelungenes und faszinierend bös-skuriles Projekt. Thomas Bernhard bleibt der unvergesslicher Meister des literarisch tragikomischen Höhenflugs und Nicolas Mahler ist der neu zu entdeckende Meister der minimalistisch-parodistischen Zeichenfeder. Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen, ausser : Unbedingt lesen !



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