Du sollst nicht!

 

Nicht mal Köhler war so ökonomisiert wie der jetzige Bundespräsident. Seine neulich gehaltene Rede vor Manager legt davon Zeugnis ab. Wieder mal war die Rede von "blanker Gier", wieder mal ging es um die "Zivilisierung von Gier", um einen "aufgeklärten Kapitalismus" zu schaffen. Der Mann klingt nicht wie jemand, der auch nur ansatzweise begriffen hat, worum es dieser Tage geht. In einem System der Deregulierung kann man nicht von Gier sprechen. Das wäre verlogen und dumm. Gauck äußert sich genau so.
Es ging beim Zusammenbruch des Finanzsystems doch nie um Gier. Natürlich war die auch Antrieb. Aber wo keine Barrieren aufgestellt werden, um diese widerwärtige menschliche Eigenschaft einzugrenzen, da darf man sich nicht wundern, dass sie rücksichtslos zuschlägt. Gauck spricht natürlich pastoral. Versteht der Mann eigentlich, dass Wirtschaftssysteme nicht mit frommen Du sollst nicht...!-Imperativen klappen? Dass Du sollst nicht...! etwas ist, was nur in einem Rahmen greift, in dem dieses Verbot auch verboten ist? Der deregulierte Finanzmarkt hat die Gier aber doch nicht verboten. Die Politik seit jener ominösen geistig-moralischen Wende hat doch in diese Richtung nur Lockerungen erlassen, die die zur Sprache gebrachte Gier entketteten.

Aber nicht nur Manager seien gierig, meinte er weiter. Auch Kunden sind es. "Wie lange greifen Europäer noch zur Jeans für zehn Euro...", fragt der Mann doch ernsthaft. Welche Europäer sind es denn, die derart billige Hosen bei Discountern kaufen? Doch nicht die, die es sich leisten können, auch eine Hose für zweihundert Euro zu tragen. Glaubt der Mann wirklich, dass diejenigen, die billigste Ramschware kaufen, das nur aus Gier tun? Hat er überhaupt eine Ahnung davon, mit wie wenig Geld manche Menschen über den Monat kommen müssen? Und dann kommen ungeplante Ausgaben hinzu, muss man sich zum Beispiel eine neue Hose kaufen. Welche kauft man sich da wohl?
Keine Frage, die Geiz ist geil!-Mentalität ist verbreitet. Aber sie wird politisch unterstützt. Durch Sozialabbau, durch Kürzungen und Einsparungen, durch Förderung des Niedriglohnsektors. Man hat in diesem Lande Hartz IV-Empfängern mehrmals von politischer Seite her empfohlen, die Angebote bei Discountern zu studieren, um mit dem Geld auskommen zu können. War da Geiz geil oder einfach nur die einzige Möglichkeit, den gesamten Monat hinzukommen mit dem bisschen Armut, das einem bleibt? Dieser Mann tut ja gerade so, als hätten die meisten Menschen, die er bezeichnenderweise Kunden nennt, eine große Wahl. Er ist ein Bundespräsident, der die Lebensumstände der Menschen in Deutschland und Europa nicht kennt. Armut ist diesem Theologen kein Schicksal, sondern vermutlich eine Schande, ein Makel, der zudem die Gier anfacht.
"Mit dem Kassenbon kann man schlimme Zustände zementieren", sagte er. Eloquent ist Gauck ja, das muss man ihm lassen. Man kann aber auch beredt Quatsch verbreiten. Und er tut das freilich. Er sollte nur nicht so tun, als hätte die Großzahl an Menschen eine Möglichkeit, sich dieser Mittäterschaft zu entziehen. Soll er mal die elitären Geizhälse, die auf dem Weg zur Arbeit in einem der Obergeschosse eines Versicherungsunternehmens, noch schnell zu Aldi spurten mit ihrer S-Klasse, um dort eine günstige Steppdecke zu erstehen und um gleich noch Eier und Milch zum Selbstkostenpreis mitnehmen.
Aber er kennt nur Ökonomie, die er vermutlich als wesentlichsten Pfeiler der Demokratie ansieht. Immer wenn er von Demokratie spricht, fallen bei ihm Worte wie Markt oder Marktmacht, Kunden und Konsumenten, Angebot und Nachfrage. Demokratie ist für ihn dieser Kapitalismus, der nur ein wenig von Einzelfällen aus dem Ruder gebracht wurde. Wenn er demokratische Fragen erläutert, nähert er sich stets von der ökonomischen Perspektive her. Grundsätzliche Ethik, die vor dem Sachzwang der Ökonomie kommt, kennt dieser Bundespräsident gar nicht. Ethik ist für ihn zuallererst eine wirtschaftliche Frage. Irgendwie hat man bei ihm den Eindruck, er spricht die Menschen bald nicht mehr mit Liebe Bürgerinnen und Bürger an, sondern mit Liebe Kundinnen und Kunden oder Liebe Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer ...
Der Mann klingt wie ein Unternehmer, den über Nacht die protestantische Erweckung ereilte, und der nun vor seine Belegschaft tritt, um in salbungsvollen Reden für einen christlichen Kapitalismus einzustehen, um für Anstand in einem System der Unanständigkeit, für Bescheidenheit in einem Kodex der Habsucht zu werben. Wäre er doch nur auf der Kanzel geblieben!


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