Dreju

Dreju

Foto copyright by Jorma Bork / pixelio.de

Da stand ich nun alleine an diesem Stehtisch nahe der Tanzfläche. Meine Kollegin amüsierte sich köstlich mit ihrem Tanzpartner. Ich jedoch wäre am liebsten nach Hause gegangen. Der Spaß war mir vergangen.
Doch dann kam der Mann, der mich so beeidruckt und in den ich mich verliebt hatte, ohne auch nur ein Wort mit ihm zu sprechen, wieder zurück und stellte sich lächelnd neben mich. Ich glaube, ich lief knallrot an, so zumindest fühlte es sich für mich an.
Er lächelte einfach weiter und stellte sich mir vor. Mit einer warmen, sehr sonoren Stimme und einem unendlich charmanten französischen Akzent sagte er:" Isch bin Dreju, enchanté Madame!" Ein höfliches Kopfnicken folgte. "Hallo, ich heiße Elke" brachte ich gerade noch so heraus. Dieser Blick, den er nicht mehr abwendete, dieses Lächeln, seine Nähe, alles verwirrte mich. Dreju bemerkte meine Unsicherheit und begann einen Smalltalk mit  mir.
"Bist Du das erste Mal 'ier? Isch 'abe Disch 'ier noch nie gesehen!" meinte er.
"Ja, ich war noch nie hier!" antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Wo gehst Du denn sonst so 'in?"
"Ich bin die letzten Jahre so gut wie gar nicht ausgegangen, ich war meist zuhause."
"Was? Du gehst nischt tanzen? Warum nischt?" fragte er verblüfft.
 "Ich bin alleinerziehende Mutter zweier Kinder, da kann man nicht einfach so tanzen gehen. Deswegen bin ich fast immer zuhause bei meinen Kindern."
Kaum hatte ich das ausgesprochen, hätte ich mir auf die Zunge beißen können. "Wieso hast Du ihm das erzählt? Du kennst diesen Mann doch gar nicht und erzählst ihm gleich Deine Umstände. Wie naiv bist Du eigentlich?" schimpfte ich innerlich mit mir selbst.

Wenn er sich jetzt umdrehen würde und gehen würde, könnte ich das verstehen. Er sah nicht aus, als ob er hier eine Familie suchen würde!
Doch Dreju reagierte ganz anders als erwartet. Sein Interesse schien gewachsen zu sein. In seinen Augen lag Achtung, als er sagte:"Solch verantwortungsvolle Frauen wie Disch findet man 'ier selten!"
Von diesem Moment an flog ihm mein Herz nur noch mehr zu. Die Anerkennung von diesem verdammt gut aussehenden Mann war wie Balsam für meine Seele. So langsam verlor ich meine Unsicherheit und begann mich nur noch wohl in seiner Gesellschaft zu fühlen. Wir begannen ein Gespräch. Er erzählte mir, dass er aus dem damaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, kam.  Er war durch ein Stipendium hier her gekommen vor ca. 7 Jahren. Dann hatte er eine deutsche Frau kennen- und lieben gelernt. Mit ihr zusammen hatte er eine 3-jährige Tochter. Doch mittlerweile lebten sie in Scheidung, sagte er. Ich fragte ihn, wie alt er wäre.
"Rate mal!" meinte er verschmitzt lächelnd.
 "Hmmm. Ich weiß nicht...vielleicht 29?" fragte ich ihn.
Ein schallendes Lachen war die Antwort.
"Merci Madame, aber isch bin viel älter, isch bin 42!"
Jetzt lachte ich.
"Niemals! Du willst mich veräppeln. Wie alt bist Du denn nun wirklich?"
Er lachte und lachte und sagte:"Isch bin wirklisch 42, willst Du meine Passport se'en?" Und schon griff er in seine Tasche und zeigte mir seinen Pass.
Tatsächlich! Dieser Mann, den ich jünger als mich selbst geschätzt hatte, war fast 9 Jahre älter als ich! Ungaublich!
Ich merkte ihm an, wie geschmeichelt er war. Dann sagte er:"Darf isch Disch auch fragön, wie alt Du bist?"
"Ich bin 33 Jahre alt!" antwortete ich ihm wahrheitsgemäß.
"Genau rischtisch!" meinte er mit seinem charmanten Lächeln und seinen strahlenden, glutvollen Augen.
Wir kamen überein, uns eine Platz etwas abseits von der Tanzfläche zu suchen, damit wir der sehr lauten Musik etwas entkamen und uns besser unterhalten konnten. Ich sprach kurz mit meiner Kollegin darüber, damit sie wusste, wo ich war. Dann gingen wir gemeinsam in eine etwas ruhigere Ecke.
Er erzählte mir von seiner Heimat, von Zaire, von dem Diktator Mobutu, der damals dort noch sein Unwesen trieb, davon, wie reich an Bodenschätzen sein Land wäre und wie es vom reichen Westen dank der Hilfe Mobutus ausgebeutet werden würde, wie die Bevölkerung immer ärmer und Mobutu immer reicher wurde, er erzählte über den Bürgerkrieg mit Angola, der vor einigen Jahren sein Land erschütterte...
Er sprach über eine mir bis dahin unbekannte Welt. Eine Welt, die parallel zu meiner Welt bestand. Klar, in den Nachrichten hörte man immer wieder solche Geschichten über den Kontinent Afrika, aber das war so weit weg, ich hatte keinen persönlichen Bezug dazu, und plötzlich stand mir ein Mann gegenüber, der dies erlebt hatte, der Augenzeuge war und mir darüber berichtete. Nicht nur, dass ich ihn attraktiv und äußerst anziehend fand, was er zu erzählen hatte war auch sehr, sehr interessant. Wie gebannt hing ich an seinen Lippen, wollte mehr und mehr erfahren. Doch irgendwann hielt er inne, setzte wieder sein umwerfendes Lächeln auf und sagte:"Eigentlisch bin isch nischt 'ier'er gekommen, um über meine Geschischte und mein Land zu reden, eigentlisch wollte isch misch amüsieren. 'ast Du Lust mit mir zu tanzen?"
Ich war eine schlechte Tänzerin, hatte nie einen Tanzkurs gemacht. Ich war total gehemmt und wollte eigentlich gar nicht tanzen und sagte ihm das auch.
"Das macht nichts! Ich werde Dich führen, Du wirst sehen, Du kannst tanzen!" meinte er nur.
Also gingen wir auf die Tanzfäche. Es kam gerade Musik, bei der die meisten für sich alleine tanzten. Und so tanzte ich verschämt, stocksteif und mit minimalistischen Schritten und Bewegungen vor mich hin und schämte mich, dass ich es nicht besser konnte.
Dreju aber war nun in seinem Element. Er bewegte sich in seiner ihm ganz eigenen, eleganten und rhythmischen Art zu der Musik und zog viele Blicke auf sich. Er war ein sehr guter Tänzer. Immer wieder lachte er mich an, wollte mir seinen Spaß am Tanzen vermitteln, doch ich war viel zu gehemmt und wäre am liebsten von der Tanzfläche verschwunden.
Da legte der DJ einen langsamen und romantischen Song auf. Dreju kam zu mir und legte einfach seinen Arm um mich. Er nahm meinen rechten Arm und legte ihn um seinen Hals. Das gleiche machte er mit meinem linken Arm, dann legte er seinen zweiten Arm um meine Hüfte und zog mich an sich. Seine Wange war an meiner Wange. Er roch so gut nach einem edlen AfterShave. Ich war bezaubert. Mit seinen eleganten Bewegungen führte er meinen Körper und nach kurzer Zeit tanzten wir im Einklang miteinander diesen romantischen Song, es war übrigens "Stay another day" von East 17.
Noch nie zuvor hatte ich dieses Gefühl, mit jemandem eine Einheit zu bilden und gemeinsam zu schweben, gehabt. Es war unglaublich schön, ich vergaß alles um mich herum und ließ mich von ihm auf Wolke Nr. 7 führen. Ich schloß die Augen und genoss diesen Moment. Er hat sich unauslöschlich in meine Seele gebrannt, ich werde diesen Moment nie vergessen.  Verliebt hatte ich mich ja schon vorher in Dreju, aber nun gab es kein Zurück mehr. Dieser Mann war mein Schicksal, das wusste ich ab diesem Moment. Auch er schien diese Magie zwischen uns zu spüren und ganz, ganz vorsichtig und unendlich zärtlich küsste er mich.
Nach 9 Jahren des Alleinseins küsste mich wieder ein Mann. 
In diesem Moment erwachte wieder die Frau in mir. Es gab nicht mehr nur die Mutter Elke, nun gab es auch wieder mich und meine Bedürfnisse, Dreju hatte mich wieder aufgeweckt. Ich wollte wieder attratv gefunden werden, wollte wieder als Frau wahr genommen werden, wollte das Leben spüren und nicht nur Pflichten wahrnehmen.
Ich wollte wieder ich sein dürfen.


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