WEIMAR. (fgw) Gutmenschelnde Politiker und Journalisten geißeln angesichts eines Urteils, das jüngst von einem Moskauer Gericht aufgrund einer Anzeige der russisch-orthodoxen Kirche gegen drei Punkerinnen verhängt worden ist, den Unrechtsstaat Rußland und vor allem dessen Staatsoberhaupt. Sie attackieren hysterisch den russischen Präsidenten, nicht aber den zuständigen Gesetzgeber und auch nicht den Kläger, den auf seinem Sonderrecht pochenden Klerus. Geht es da überhaupt um drei schrille Punkerinnen? Nein, an den Pranger gestellt wird ein patriotischer Staatschef, weil der der menschenrechtsimperialistischen Neuaufteilung der Welt im Wege steht. Leider fallen auch gutwillige Menschen auf diese laute Propaganda herein. Sie, wie vor allem die Urheber dieser medialen Kampagne, sehen dabei den Balken im eigenen Auge nicht. Oder wollen ihn nicht sehen.
Ein Blick in das bundesdeutsche Strafgesetzbuch gibt Aufschluß darüber, was „protestierende oppositionelle Punkerinnen” vom hiesigen Rechtsstaat zu erwarten hätten, hätten sie eine solche Aktion gegen Bundespräsident oder -kanzler beispielsweise im Kölner Dom zelebriert.
§ 166
Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.§ 167
Störung der Religionsausübung
(1) Wer
1.
den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung einer im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich und in grober Weise stört oder
2.
an einem Ort, der dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Dem Gottesdienst stehen entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsvereinigung gleich.
Also sind die in Moskau verhängten zwei Jahre Haft wegen eben dieser Delikte sogar nach deutschem Recht gesetzeskonform und rechtsstaatlich.
Das Moskauer Urteil ist ein Schandurteil, weil es sich auf nachsowjetische Strafgesetze, die mit Hilfe „westlicher Experten” kreiert worden sind, stützt. Strafgesetze, die den christlichen Amtskirchen hier wie dort Sonderrechte einräumen. Und darüber können sich auch kleine Staatsanwälte und Richter hinwegsetzen.
Die weltweite Forderung muß daher korrekterweise lauten: Weg mit allen Blasphemie- u.ä. Paragraphen! Und das auch hierzulande.
Und sollte sich der russische Präsident verunglimpft sehen und selbst Klage gegen die Punkerinnen erheben, könnte er sich auf einen weiteren deutschen Strafgesetzbuch-Paragraphen berufen, der sogar bis zu fünf Jahre Haft androht!
§ 188
Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens
(1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine üble Nachrede (§ 186) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(2) Eine Verleumdung (§ 187) wird unter den gleichen Voraussetzungen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Aber ein Putin ist souverän genug, sich nicht solch eines (bundesdeutschen) Majestätsbeleidigungsparagraphen zu bedienen.
Und noch etwas soll zur bundesdeutschen medialen Empörung angemerkt sein: Wie gehen hierzulande Polizei und Staatsanwaltschaften gegen Teilnehmer und Initiatoren nicht angemeldeter Demonstrationen vor?
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]