Dorfleben – ein Fazit nach zweieinhalb Jahren

Ich bin in Hamburg geboren und aufgewachsen, also ein richtiges Stadtkind. Meine Jugend verbrachte ich zwar in dem beschaulichen Stadtteil Niendorf, welcher einer Großstadt in etwa soviel gleicht, wie die Kollau (hierbei handelt es sich um einen kleinen  Bach) der Elbe. Dennoch ist er Bestandteil einer Metropole.

Zum Shoppen fuhren wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht länger als eine halbe Stunde in die Innenstadt. Dort gab es alles, was man so brauchte und sich wünschte. Boutiquen, Sportfachgeschäfte, Kaufhäuser, Schuhgeschäfte und vieles mehr. Ich weiß, dass ich als Kind / Jugendliche mit meiner Großmutter zweimal im Jahr einen Zug durch die Geschäfte der Mönckebergstraße machte und mir aussuchen durfte, was ich wollte (innerhalb eines festgelegten Verfügungsrahmens natürlich).

Ich hatte alle Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Ob es nun der Reitstall, die Rollschuh-/Schlittschuhbahn oder ein Besuch im Freibad war. Alles gab es in mehrfacher Ausführung. Später, als Diskotheken und Bars mein Interesse weckten, gab es auch hier Auswahl in Hülle und Fülle. Und alles war gut zu erreichen. Tag und Nacht fuhren Busse und Bahnen.

In meiner frühen Teenagerzeit machte ich, dank meiner Freundin Birte, erste Bekanntschaft mit dem Leben auf dem Land. Sie und ihre Eltern verbrachten die Wochenenden und Ferien in ihrem Wochenendhaus in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein. Ich fand es toll, dort Zeit mit ihr zu verbringen. Pferde überall, wo man hinschaute. Den ganzen Tag verbrachten wir draußen in der Natur. Später, als wir anfingen uns neben Pferden auch für junge Männer zu interessieren, erkundeten wir zusammen mit der männlichen Dorfjugend die Zeltfeste der Umgebung.

Zwei Jahre lang verbrachte ich Teile der Sommerferien auf einem Reiterhof in Meezen (Schleswig-Holstein). Dieser kleine Ort mit ungefähr zehn Bauernhöfen, zwanzig Wohnhäusern und (ganz wichtig für die Beschaffung des täglichen Bedarfs an Süßwaren) einem Krämerladen, hatte es mir von Anfang angetan. Ich liebte es, durch die Wälder zu reiten, über Wiesen zu galoppieren und abends auf einem Strohballen sitzend der Sonne beim Untergehen zuzusehen. Alles in absoluter Ruhe. Einmal wöchentlich spielten wir Mädels vom Reiterhof gegen die Dorfjungs Fußball. Das war ein Riesenspektakel. Für uns übrigens genauso wie für die Jungs. In Meezen habe ich bei einem sehr geduldigen Bauern das Melken von Kühen gelernt. Noch heute weiß ich, was zu tun ist, wenn eine Kuh ein verkümmertes Euter hat (es gibt „Dummies“ für die Melkmaschine) oder mit der Hand angemolken werden muss. Sogar ein ganzes Euter mit der Hand leer melken kann ich!

Jedes Mal, wenn ich mich fern ab der Stadt auf dem Land befand, fühlte ich ein unbeschwertes Gefühl absoluter Freiheit. Alles war weit und offen, keine hohen Gebäude versperrten die Sicht und überall waren Tiere, die man anfassen und versorgen konnte.

Dennoch konnte ich mich – im Gegensatz zu meiner Freundin, die nach Abschluss ihrer Ausbildung sofort das Stadtleben hinter sich ließ – nie damit anfreunden, mein Leben auf dem Land zu verbringen. Ich brauchte die Großstadt mit all ihren Möglichkeiten. Schnell mal die neuesten Modehighlights shoppen gehen oder spontan mit Freunden in einem Club treffen. Stunden im Shopping-Center verbringen und anschließend einen Kaffee bei Starbucks trinken. Und das alles, ohne vorher etliche Kilometer mit dem Auto zu fahren.

Außerdem war ich auf allen Dörfern, die ich besuchte, immer ein bisschen der Exot. Wenn ich mit meiner Freundin eine Dorfveranstaltungen besuchte, tuschelten die anderen Mädels über das „Mädchen aus der Stadt“ und verfolgten jeden meiner Schritte argwöhnisch. Von den Jungs hatte ich mich tunlichst fern zu halten (diese sahen das anders, wurden aber jeweils schnell zur Ordnung gerufen). Mein Kleidungsstil war zu modisch, meine Sprache zu hochdeutsch, mein Leben zu unübersichtlich. Richtig warm wurde ich mit keinem dort.

Vielleicht hat sich in den letzten Jahren einiges in meinem Leben und an meiner Persönlichkeit verändert. Nicht zuletzt durch meine Erkrankung lebe ich gerne etwas zurückgezogener und mit weniger Trubel um mich herum. Clubs und Discotheken ziehen mich schon länger nicht mehr an. Shoppen tue ich sehr eingeschränkt. Nicht nur wegen des in letzter Zeit fehlenden Kapitals, sondern vor allem deshalb, weil ich mich mit den durch meine zahlreichen Operationen bedingten modischen Einschränkungen nicht so gut arrangieren kann.

Da auch das Herz meines Mannes nicht fest in Hamburg verwurzelt war, fassten wir vor nunmehr zweieinhalb Jahren den Entschluss, unsere Wohnungssuche auf die ländlichen Gebiete rund um Hamburg auszuweiten. Schnell wurden wir fündig und zogen aus der großen Stadt nach Schleswig-Holstein in ein „mittelgroßes“ Dorf.

Am Anfang war es schon eine Umstellung, nicht mal eben zum Supermarkt zu gehen (vorher wohnten wir direkt über einem Aldi-Markt), um die vergessene Milch oder Chips zum Abendprogramm zu holen. Ich plante meine Einkäufe, Tanken und Arztbesuche anders als vorher. Plötzlich fanden Einkaufslisten und Wochenpläne den Weg in mein Leben.

Gewöhnungsbedürftig war für mich auch die Freundlichkeit der anderen Dorfbewohner. Obwohl ich niemanden kannte, wurde ich überall freundlich gegrüßt. Das in Schleswig-Holstein übliche „Moin“ verband ich sehr schnell mit einem gewissen Gefühl von Geborgenheit.

Auch schien uns jeder zu kennen. Über eine Begebenheit zwei Wochen nach dem Umzug muss ich heute noch schmunzeln:
Ich wollte den Männern zu Hause beim Fußbodenlegen und Kücheneinbau nicht im Weg stehen und ging noch eine Runde mit dem Hund. Dabei habe ich mich (es darf ruhig gelacht werden) verlaufen. Man beachte: Wir wohnen in einem Dorf mit nicht allzu vielen Straßen! Und ich habe mich VERLAUFEN….. Auf jeden Fall stand ich etwas verloren am Rande eines Fußballfeldes und schaute mich ratlos um, als ein Mann auf mich zukam und mich fragte, ob er mir helfen könne. Schon allein diese freundliche Anteilnahme verunsicherte mich etwas. Ich gab etwas verlegen zu, dass ich noch nicht lange hier wohnen würde und nicht so recht wüsste, wie ich wieder nach Hause käme. Bevor ich ihm erklären konnte, wo wir wohnen, sagte er: „Kein Problem, ihr wohnt doch in dem Haus von M. Da gehst Du hier zurück bis zur Hauptstraße, dann links und wieder links und schon bist Du da.“ In diesem Moment wusste ich, jetzt bist Du auf dem Land angekommen… Jeder kennt Dich und bald kennst Du auch jeden. Und, was soll ich sagen? Ich fand es schön und fühlte mich so zu Hause wie schon lange nicht mehr!

Mittlerweile kenne ich zwar nicht alle in unserem Dorf, doch zumindest alle in nächster Nähe wohnenden Nachbarn. Es ist eine nette Gewohnheit geworden hier und dort ein kleines Schwätzchen über den Gartenzaun zu halten oder mir Gedanken zu machen, ob es jemandem wohl gut geht, wenn ich ihn länger nicht gesehen habe. An meinem Leben wird Anteil genommen und ich darf Anteil an anderer Leute Leben nehmen. Es gibt Gassirunden mit anderen Hunde-Frauchen oder gemütliche Kaffeerunden mit meiner Nachbarin.

Wenn wir Hilfe brauchen, bekommen wir sie, einfach so. Und wenn wir helfen können, machen wir es, auch einfach so. Wir haben hier eine wunderbare Hausgemeinschaft, die ich nicht mehr missen möchte.

(An dieser Stelle: Liebe Jessica, wenn Du das hier liest: Euch als Nachbarn zu haben war auch sehr schön und wir vermissen Euch, obwohl wir uns hier sehr wohl fühlen!)

Ich gehe manches Mal Hunderunden, ohne einer Menschenseele zu begegnen und genieße die Stille der Natur um mich herum.

Es stört mich nicht, in den nächsten Ort zum Einkaufen oder zur Physiotherapie zu fahren oder rechtzeitig mein Auto zu tanken (weil wir nun mal keine Tankstelle in unserem Ort haben). Alles eine Frage der Organisation. Erledigungen in Hamburg plane ich in „Paketen“, d. h. steht ein Arzttermin an, erledige ich alles andere gleich mit.

Ich habe meine Entscheidung, aus der Stadt raus aufs Land zu ziehen, nie bereut und würde es immer wieder machen.

Und, da ich weiß, dass einige meiner Nachbarn meinen Blog mitlesen: Danke an Euch, dass Ihr so lieb seid!


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