Man kann bei Markus Köhles Dorfdefektmutanten an die Piefke-Saga denken und liegt damit gar nicht so falsch, denn auch in diesem „Heimatroman“ geht es um den Blick hinter die Kulissen des Tourismuswahns.
Der Held der Geschichte kehrt, nachdem er am Studium in Wien gescheitert ist, in seinen Heimatort zurück, wo er sich als Hausmeister in einer Autobahnraststätte verdingt. Der aktuellen Geschehnisse gibt es wenig erwähnenswerte, der Protagonist hängt vielmehr seiner Jugend(liebe) nach, die er mit dem besten Freund Klaus teilte. Mit dem Leben als Fachmann für alles – Reparaturen in Haus und Hof, Schneeschippen, die Versorgung gestrandeter Snowboarder – hat er sich arrangiert, Hobbys gibt es vor allem zwei: Internetkontakte und das Fotografieren der von Gästen verunreinigten Toiletten.
In Rückblicken skizziert der Protagonist die Entwicklung des einst idyllisch anmutenden Dorfes zum technisch-kargen 08/15-Tourismusort, was sowohl die architektonische Veränderung betrifft als auch die Einstellungen und die Werteskala der Dorfbewohner: Irgendwann geht die Notwendigkeit, Urlauber anzulocken – und sei es nur für die Durchfahrt mit kurzem Aufenthalt in der Raststätte – vor alle anderen Belange. Trotz der jugendlichen Eskapaden, die der Erzähler schildert, wirkt er durchwegs leicht verklemmt; lebt in den Tag hinein und sehnt sich nach weiblicher Zuneigung, die er schließlich in einer neuen Mitarbeiterin zu finden erhofft.
Der unspektakuläre Plot wird sicher von Köhles Sprachakrobatik getragen, die deutlich an den „Poetry Slams und Lesebühnenevents“ geschult ist, die er laut Klappentext immer wieder veranstaltet. Dabei schafft es der Autor, auf den ersten Blick schier wahnsinnig klingende Metaphern und Analogien doch nachvollziehbar, wenn nicht gar als die einzig passenden erscheinen zu lassen. So wird etwa das Wiedersehen mit einer Jugendbekanntschaft, das sich unerwartet zu einer heißen Affäre entwickelt, von Anfang bis Ende mit Begriffen aus dem Eisenbahn- und Automobilbereich abgehandelt:
Da wir uns den Sommer über den Dorfleidensweg teilen, gründen wir einvernehmlich eine vorübergehende Fahrgemeinschaft. Amanda führt mich in das generelle und später auch in das sehr spezielle Verkehrsgeschehen ein. Wir fahren täglich ineinander, Nacht für Nacht. (…) Nach dem dreiwöchigen Fahrschulcamp ist meine Stoßstange ziemlich ramponiert, aber sie hat die Welt gesehen.
Doch dann:
Es kommt ein Brief, in dem steht, dass sich ein kleiner VW-Käfer in Amanda eingenistet habe. Sie schlägt ein gemeinsames Aufsuchen eines spezialisierten Mechanikers vor, der auf Wunsch auch eine noch mögliche Verschrottung vornehmen könne.
Klingt brutal, funktioniert im Kontext des Romans jedoch tadellos. Köhle kann aber auch ernster:
Evas Vater engagiert sich für die unaussprechliche Partei im Gemeinderat des Nachbardorfs. Ein Quereinsteiger, ein Cabriofahrer, ein erfolgreicher Bankbeamter, ein Sakkoträger, ein Tennisspieler, eine Regionalzeitungsseitenblickebekanntheit, ein Kleingeist und Großkotz, ein Bauchmensch und Kopftrottel, ein Maul-auf-und-Ohren-zu-Ignorant, ein Mitläufer und Günstling, ein Kader der Unaussprechlichen – und immer im Dienst.
Das ganze Buch ist durchzogen von Zitaten aus und Verweisen auf andere Autoren (Norbert Gstrein, Martin Walser, Elfriede Jelinek), Romane (eine Maturaprüfung über Schöne Tage und Herrenjahre) sowie Literaturverfilmungen (eine grandiose Abhandlung der Blechtrommel), ohne überheblich oder belehrend zu wirken. An manchen Stellen leuchten sogar Erinnerungen an Thomas Glavinics Wie man Leben soll durch, wie auch an den jüngsten Liebling der deutschen Pop-Literatur, den Blogger Airen. Insgesamt handelt es sich bei Dorfdefektmutanten um einen kurzweiligen Lesespaß, der gerne etwas umfangreicher hätte sein dürfen.
Milena Verlag, Wien 2010
154 Seiten / 15,50 Euro