Doof bleibt doof…

Von Jürgen Voß
Ich bitte um Verzeihung. Aber als Kinder haben wir bei „hoffnungslos erscheinenden Fällen“ oft den Spruch drauf gehabt „D.b.d.d.h.k.P“ (Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen). Daran muss ich heute als alter Mann immer denken, wenn ich einen Kommentar von Marc Beise lese. Dieser Mann, führender Wirtschaftsredakteur bei der angeblich seriösesten deutschen Tageszeitung, der „Süddeutschen“, beweist mit jedem Kommentar, den auf die Reise schickt, nicht nur dass er ein bis zur Borniertheit unbelehrbarer Neoliberaler ist (was nicht so schlimm wäre, sind andere auch!), sondern dass ihm elementare Kenntnisse unseres Sozial – und Wirtschaftssystems schlicht und einfach fehlen.
Worum geht es? Da heckt die schwarz-gelbe Koalition, die gerade noch die Rente mit 67 endgültig festgeklopft hat, eine neue himmelschreiende Teufelei aus. Sie will Frührentnern – die es doch eigentlich gar nicht geben dürfte nach der Ideologie der Rente mit 67 – einen weitaus größeren Spielraum an Nebenverdienstmöglichkeiten geben als bisher. Zurzeit dürfen Rentner unter 65plus ebenso wie erwerbsunfähige Rentner nur 400 Euro „nebenbei“ verdienen. Alles andere ist „rentenschädlich“. Diese jetzt schon fatale Praxis soll nun weiter ausgebaut werden.
Sieben Mio. 400 Eurojobs, darunter Hunderttausende Frührentner (ich wohne im Ruhrgebiet und weiß, wovon ich rede) sprechen heute schon eine deutliche Sprache. Sie substituieren hunderttausende sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und sind – nach Einschätzung der wenigen Ökonomen, die unsere Sicherungssysteme erhalten wollen, wie z. B. Bofinger, Bosch oder Schmähl – nichts weiter als staatlich lizenzierte Schwarzarbeit; aus neoliberaler Sicht natürlich ein wichtiges Instrument der Arbeitsmarkflexibilisierung.
Milliarden von Beitragsmitteln werden so den Sozialversicherungsträgern entzogen, ein Grund, warum Riester diese sog. Minijobs zunächst abgeschafft hatte. Aber Leiharbeitslobbyist Clement hat sie dann wieder eingeführt.
Die zerstörerische Wirkung dieses zweifelhaften Instruments soll nun noch drastisch verschlimmert werden, wenn auch zunächst davon die Rede ist, dass die „neuen“ Nebenverdienste beitragspflichtig bleiben sollen. Doch schon spricht man von Wegfall der Arbeitslosenbeiträge, auch der Wegfall der Rentenbeiträge wäre nach neoliberaler Logik „logisch“, denn wie sollen einem Frührentner, der schon Rente bezieht, die Rentenbeiträge später noch angerechnet werden und wenn ab wann? Mit anderen Worten: Den jungen Leuten, die es ohnehin schon schwer genug haben, erwächst eine neue Konkurrenzgruppe am Arbeitsmarkt: Alte, erfahrene Mitarbeiter(innen), die deutlich billiger sind als Neueinstellungen.
Nun zu Beise: Als erstes belehrt er uns über das 1X1 unserer Rente. „Im Umlageverfahren finanzieren die Arbeitnehmer von heute über den Rentenbeitrag die Arbeitnehmer von gestern. (Soweit richtig! Das hat er verstanden! J. V.) Das hat locker funktioniert, als drei Arbeitnehmer auf einen Rentner kamen. Heute aber kommen wegen der höheren Lebenserwartung und der schrumpfenden Geburtenzahlen (Also nicht wegen der Arbeitslosigkeit oder der 400 Euro Jobs!! J. V.) zwei Arbeitnehmer auf einen Rentner und irgendwann heißt es dann eins zu eins“.
Die neuen Hinzuverdienstmöglichkeiten - so sie denn kommen - findet Beise natürlich Klasse. Zunächst trifft er den Nagel auf den Kopf, aber nur als Frage formuliert, die er sofort verneint: „Wird womöglich gar die unselige Frühverrentung auf Kosten der Allgemeinheit wieder eingeführt? Die Antwort lautet: Nein. Denn anders als bisher hat es der einzelne in der Hand. Er kann bei seiner Firma bleiben – oder er geht früher in Rente und sucht sich etwas Neues. Kurz: Der Arbeitnehmer gewinnt mehr Freiheiten. Das ist Marktwirtschaft.“
Laut Beise wissen wir jetzt: Gäbe es mehr Kinder, wäre unsere Rente sicherer. Deshalb ist in Ägypten (!!) (Verhältnis „erwerbsfähig zu nicht mehr erwerbsfähig 14:1, in der Türker 11:1 und in allen Maghreb - Staaten ähnlich) auch die Rente am höchsten und am sichersten (Warum protestieren die da eigentlich?).
Des weiteren: Bei fast 21 Mio. Rentnern zurzeit haben wir laut Beise 42 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, denn heute ernähren ja zwei einen Rentner oder? (Laut Stat. Bundesamt haben wir noch 22 Mio. Vollzeitstellen – davon 2 Mio. Auszubildende - und dazu 5,8 Mio. Teilzeitstellen, und das bei über 50 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter, einer Arbeitmarktreserve, die wegen der geburtenstarken Jahrgänge 1955 – 1970 uns noch sehr lange erhalten bleiben wird und von der Millionen gar keinen Rentenanspruch haben bzw. haben werden.)
Und in Zukunft: Da haben wir genauso viel sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie Rentner – eins zu eins? Beise kennt also genau den Arbeitsmarkt von morgen.
Und dann hat er noch ein ganz realistisches Bild von unserem Arbeitsleben: Der 62 jährige Arbeitnehmer ist bei uns absolut souverän. Er kann in Rente gehen und wird vom Arbeitsmarkt sofort wieder integriert. Oder aber er sagt: „Chef, entlass mich doch. Ich geh dann in Rente und fang sofort wieder bei dir an“. Oder auch: „Du Chef, mach Dir keine Sorgen, ich bleib bei Dir bis zur Rente. Dann komme ich weiterhin, damit Du keine jungen Leute einstellen muss, denn dann kann ich beitragsfrei so viel verdienen wie ich will und bin immer noch billiger als ein junger“.
Das ist Marktwirtschaft? Angesichts der vielen tausend jungen Menschen, die bestens ausgebildet draußen als Praktikumsgeneration ihr Dasein fristen müssen, ist es da nicht eine Schande, dass solche Dummköpfe bei uns als führende Journalisten gelten? Woraus wir lernen: Marktwirtschaft mag hier und da noch funktionieren, in unserer Zeitungslandschaft, vor allem bei den sog. Qualitätsblättern, ganz sicher aber nicht.

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