Doku Deutschland: Ich bin dafür

Doku Deutschland: Ich bin dafürIch bin dafür, wenn man das denn noch sagen darf. Damit meine ich wirklich dafür, also nicht dagegen. Dagegen sind ja inzwischen alle, die etwas auf sich halten. Gegen Atomkraft und Gentechnik, gegen Krieg und Friedenseinsätze, gegen Stuttgart 21 und Mediaspree, gegen den Neubau von Autobahnen und den Ausbau von Landstraßen, gegen die Erhöhung der Sozialleistungen und des Rentenalters, gegen die Kürzung bei den Theatern und beim Verteidigungshaushalt, die mehr Geld für die Reichen und höhere Steuern. Ich bin dafür. Einer muss ja dafür sein. Und wenn Sie mich so fragen, bin ich es auch ohne groß nachdenken zu müssen. Atomkraft? Ich bitte Sie, was macht es vor der Weltgeschichte für einen Unterschied, ob deutsche Kernkraftwerke 40, 50 oder 70 Jahre laufen? Gentechnik? Zeigen Sie mir einen, der durch gengeimpfte Kartoffeln kranker geworden ist als durch regelmäßiges Schokoladeessen.
Verstehen Sie mich richtig, ich habe gar nichts gegen Leute, die dauernd dagegen sind. Ich sage meinen Kindern immer, ein funktionierendes Gemeinwesen braucht einen gemeinsamen Feind, um sich als Gemeinwesen überhaupt empfinden zu können. Ja, man hat manchmal solche Anwandlungen. Aber im Ernst, ich meine das auch so. Noch besser sogar: Ich war früher selbst dagegen! Was, das glauben Sie nicht? Können Sie ruhig. Mittendrin bin ich gewesen, als wir auf die Straße gegangen sind, die ganze Generation. Gegen Nachrüstung, den Nato-Doppelbeschluß und Atomkraftwerke, gegen die Startbahn West und den Atombau Gorleben und den ersten Irakkrieg von Vater Bush und dann gegen den zweiten vom Sohn und schließlich gegen Hartz4 und die ganzen Sozialkürzungen. Ich sage nur: WAA-hnsinn! Mit BAP und den ganzen anderen engagierten Rockgruppen, die es damals noch gab. Der Pulsschlag einer kompletten Alterskohorte, wie der Soziologe sagen würde. Gegen Luxussanierungen, gegen das Kaputtmachen ganzer Kieze, gegen Tiefflüge.
82 sage ich nur, 500.000 in Bonn! Und 91, 200.000 in Bonn! Und 2003, 500.000 in Berlin! Was haben wir den Mächtigen auf die Finger geklopft, immer wieder, hartnäckig, weil wir einfach besser wussten, was gut ist für das Land und die Menschen, als die Schmidts und Kohls und Schröders, die selbstherrlichen Typen.
Das war ja auch erfolgreich, wie man heute sagen muss. Dadurch, dass der Schmidt soviel Gegenwind hatte beim Nato-Doppelbeschluss, das weiß ja heute gar keiner mehr, hat der erst recht den Rücken geradegemacht. Gegen das Volk hat der das durchgezogen, genauso der Kohl danach, gegen die revolutionären Massen einfach durchregiert, basta, Schnauze da draußen. Wir hätten doch lieber mit den moderaten Sowjets Übergabeverhandlungen geführt als die US-Raketen ins Land zu lassen!
Doku Deutschland: Ich bin dafürGut, dann wäre die Mauer vielleicht nicht gefallen, das ist wahr. Aber es hätte auch keinen Atomkrieg gegeben. Gucken Sie sich doch nur an, wie recht viele hatten, die damals gesagt haben, ich bleib lieber am Fernsehen. Die Startbahn West, die Hüttendörfer, die Polizeibrutalität am Zaun, die toten Polizisten. Und jetzt fliegen sie von da nach Spanien in den Urlaub! Oder Hartz4 meinetwegen. Uns war allen klar, dass der Schröder den Sozialstaat aufgibt. Jeden Montag sind wir auf die Straße, bis keiner mehr mitkommen wollte. Und auf einmal war nicht nur der Schröder weg, sondern auch die Arbeitslosenzahlen niedriger. Das hätte es doch nie gegeben, wenn wir nicht ganz anderer Meinung gewesen wären.
Man muss da meiner Meinung nach auch mal konsequent sein und im Nachhin behaupten, man habe es auch vorher schon besser gewusst. Als der Bush senior damals loszog, um Kuwait zu befreien, da sind meine Töchter sowas von engagiert auf der Straße gewesen. Schülerdemos in allen Städten, als wäre unser alter Geist wiederaufgelebt. Sie wissen schon, Rio Reiser, Ton Steine Scherben, Macht kaputt was Dich kaputt macht! Klar, der Saddam Hussein hatte Kuwait überfallen. Aber muss man denn da mit Waffengewalt? Also geht es denn nicht auch anders? Später war ich dann sicher, dass der alte Bush den Krieg nicht nur nicht hätte führen dürfen, nein, er hätte auch zumindest bis Bagdad durchmarschieren müssen! Auch ohne Uno-Mandat meinetwegen. Dann wäre uns doch der zweite Irakkrieg, der vom Sohn dann, der wäre uns doch erspart geblieben!
Protest ist gut, sage ich seitdem, zumindest, wenn er ergebnislos verhallt. Was waren wir doch empört über die Rente mit 67! Das ist doch unzumutbar, völlig klar! Aber ehrlich, noch empörter bin ich persönlich gewesen, als ich hörte, wie empört die in Frankreich über die Rente mit 62 sind. 62! Überlegen Sie mal! Das sind fünf Jahre weniger! Und das soll nicht gehen? Können Sie mir doch nicht erzählen.
Also da bin ich doch lieber dafür. Ich sage da klar, Stuttgart 21, her damit, das ist auch nichts anderes als diese Brücke in Dresden, über die alle so empört taten, als noch nicht gebaut wurde. Jetzt wird gebaut, und siehe da, kein Wort mehr. Dresden steht noch! Wer hätte das gedacht? Und später fahren sie alle drüber, da wette ich doch! Oder Berlin, was haben die getobt wegen Schönefeld, Hauptstadtflughafen, erinnern Sie sich? Und nun? Es wird gebaut und dann ist es fertig und dann wird es still ringsum und alle fliegen fleißig. Man muss da ohne Illussionen sein. Solche Proteste dienen vor allem der Unterhaltung und der Berichterstattung, sie verschaffen einen, da fragen Sie ja genau den Richtigen, sie verschaffen einem das wohlige Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, Baumschützer, Strauchschützer, Atomkrieg und Tschernobyl, Elbetal und Juchtenkäfer, was weiß ich, ist auch egal. Das fusselt dann aber hinten so raus, bis nur noch die richtig Hartnäckigen Lust haben, da weiterzumachen.
Alle anderen wissen ja eigentlich von Anfang an, dass dieses Rumgetrabe auf der Straße dem eigenen Gewissen dient, aber nicht irgendeiner Sache. So lange ein Regime nicht völlig, ich sags mal mit meinen Worten, also völlig im Arsch ist wie das damals in Ostberlin, so lange juckt das keinen Demokraten, ob da 50, 5000 oder 500.000 Leute um sein Regierungsviertel traben. Der weiß doch, sowas wächst sich aus, dann sind die Leute immer noch gegen Atomkraft, gegen Großflughäfen und Datensammlungen, aber wenn Tui günstige Reisen nach Tschernobyl anbietet, haben die, schwupps, die Kreditkarte durchgezogen und einen Flug gebucht, der flott über die Startbahn West rausflattert.
Weitere Folgen der PPQ-O-Ton-Reihe Doku Deutschland: Sorgen auf der Sonnenbank
Rock an der Rütlischule
Schwimmen mit Sirenen
Hausbuchführer im Widerstand


wallpaper-1019588
Mit Kindern über gleichgeschlechtliche Liebe reden
wallpaper-1019588
[Comic] Seven Sons
wallpaper-1019588
Momentary Lily: Original-Anime angekündigt
wallpaper-1019588
LUCK LIFE: Band feiert Europapremiere auf der Connichi