© Walt Disney Studios Motion Pictures Germany GmbH / Jennifer Garner (links), CJ Adams (mitte) und Joel Edgerton (rechts).
Die Erzählung von der kleinen Holzmarionette Pinocchio, 1881 erfolgreich unter dem Titel „Le Avventure Di Pinocchio: Storia Di Un Burattino“ in einer italienischen Wochenzeitung herausgegeben, animierte dessen Autor Carlo Collodi dazu, ein Kinderbuch aus der Fortsetzungsgeschichte zu machen. Nun mag der Bekanntheitsgrad Pinocchios größtenteils aus einer Disney-Verfilmung aus dem Jahre 1940 entspringen, diese bleibt aber nicht die einzige Inkarnation des kleinen künstlichen Jungen, der dem Holzschnitzer Gepetto als Ersatzkind dienlich ist. Im frühen neuen Jahrtausend bediente sich Regisseur Steven Spielberg dieses Märchens, inszenierte mit „A. I. Künstliche Intelligenz“ (2001) eine modernisierte Fassung, in der Pinocchio den Namen David bekommt, nicht länger aus Holz geschnitzt, sondern aus Metall gebaut. Ein Android auf einer Odyssee, eine Reise durch eine für ihn wundersame Welt, eine Welt die die Apokalypse bereits überlebt hat. Disney mag es dann aber doch wieder etwas harmonischer, überführt den Klassiker in „Das wundersame Leben des Timothy Green“ in die Gegenwart, wo die Welt noch heile ist – sieht man einmal davon ab, dass das Ehepaar Green, gespielt von Joel Edgerton („Zero Dark Thirty“) und Jennifer Garner („Juno“), keine Kinder bekommen kann. Ein ähnliches Problem also, das einst den ehefraulosen Gepetto plagte.
Hier steht nun aber eigentlich nicht mehr Pinocchio, oder Timothy (CJ Adams) im Mittelpunkt, obgleich der Filmtitel dies suggeriert, sondern seine Eltern. Wo Steven Spielberg bei aller Verlagerung der Geschichte in die Zukunft dem Helden treu blieb, gestaltet Peter Hedges („Pieces of April“, „Dan – Mitten im Leben!“) „Das wundersame Leben des Timothy Green“ hauptsächlich um dessen Eltern Cindy und Jim. Diese sehnen sich nach einem Kind, erfahren allerdings dass ihnen dieser Wunsch auf ewig verwehrt bleiben wird. Das hindert sie nicht daran, ihre Wünsche aufzuschreiben, sich in ihrer Vorstellungskraft das perfekte Kind zu erträumen. Sie fantasieren wie ihr Kind aussehen und welche Eigenschaften es mitbringen würde, was es alles in seinem Leben erreichen kann. Wie durch ein Wunder steht dann der kleine Timothy auf einmal vor ihnen, der ihren Wünschen erstaunlich ähnelt. Hier muss man dann aber dem Disney-Traum bereits einen ersten Dämpfer verpassen, akzeptieren die selbsternannten Adoptiveltern diesen Jungen doch überraschend schnell, hinterfragen kaum das Wunder welches ihnen soeben wiederfahren ist. Aus der Trauer wird binnen weniger Filmminuten das glückliche Leben, ein Wunsch wird wahr. Danke Disney, für dieses Gefühl von zu viel heiler Welt auf einmal.
Jennifer Garner, CJ Adams und Joel Edgerton
Disney propagiert den perfekten Jungen, eine unschöne Identifikationsfigur, die fernab jeglicher Realität ist. Die Eltern haben heroische Vorstellungen ihres Sohnes, ein Kind das niemals aufgibt, das Glas immer halb voll sieht, voller Potential steckt, ein gehorsames, braves, erfolgreiches, strebsames Kind, wie es wahrlich nur in den kühnsten Träumen eines Erwachsenen existieren kann – und eben bei Disney. Natürlich sollte es auch einmal das entscheidende Tor bei einer sportlichen Aktivität erzielen, denn neben all den menschlichen Besonderheiten zählt natürlich auch der Erfolg. Nur dann werden die Eltern zufrieden gestellt sein. Und darum soll es ja gehen: Das Kind hat dafür Sorge zu tragen, dass es den Erziehungsberechtigten nicht zu schwer gemacht wird, obgleich Cindy und Jim immer noch überfordert wirken. Das Kind als Vorzeigeobjekt, als Prestige für die Eltern, das ist im Zuschauerraum für beide Seiten – Eltern wie Kinder – eher filmisches Gift als entspannte Unterhaltung.
Als sei dies noch nicht genug der positiv gefärbten Propaganda, wird hier auch gleich noch kräftig der Erde gehuldigt. Sicherlich kein Vergehen, Timothy hier so erdverbunden zu zeichnen, zugleich aber auch der umweltbewusste Tropfen der das Fass der Guten-Mensch-Welt gänzlich zum überlaufen bringt. Der Sohn, der der frischen, fruchtbaren Erde entsteigt, geboren durch eine Naturgewalt, zieht seine Lebenskraft aus den nährenden Strahlen der Sonne. Mehr könnte kaum für die immense Energie der Erde geworben werden, es fehlen nur noch die Werbeplakate für regenerative Energien.
Dann aber zeigt der Film auch auf, eine kleine Kehrtwende in die zum Ende hin längst überfällige richtige Richtung, dass all diese Dinge vergänglich sind, verwelken können. So viel Liebe und Zuneigung, so viel Fürsorge wie Timothy als Repräsentant der Erde den Menschen entgegen bringt, denen er in seinem wundersamen Leben begegnet, so sehr zehrt dies auch an seinen Kräften. Mehr und mehr verschwinden die merkwürdig an seinem Bein blühenden Blätter, die ihn zur Kuriosität seines Umfelds machen. Mit jedem schwindenden Blatt, mit jedem Menschen dessen Leben er verändert und berührt hat, lernen auch Cindy und Jim was es heißt, Eltern zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Ihr überzogen dargestelltes Glück schwindet, nur um danach aber auch wieder aufgebaut zu werden. Edgerton und Garner durchleben die Reise des Gepetto, mitsamt Happy End, so dass am Ende auch aus ihrem Pinocchio ein echtes Kind wird, nicht allerdings durch eine zauberhafte Verwandlung. Soviel Realitätsbewusstsein muss dann auf einmal doch wieder sein.
“Das wundersame Leben des Timothy Green“
Start: 23. Mai 2013 – Originaltitel: „The Odd Life of Timothy Green“ – USA 2012 – ab 6 Jahren – 105 Minuten – Regie: Peter Hedges – Drehbuch: Peter Hedges – Darsteller: Jennifer Garner, Joel Edgerton, CJ Adams, Rosemarie DeWitt, David Morse, M. Emmet Walsh, Dianne Wiest, Ron Livingston, Common – Homepage: disney.com/the-odd-life-of-timothy-green