25.11.2011 – Es sollte ein Vorstoß in Sachen moderner Online-Kommunikation sein: Am 22. Oktober 2011 kündigte Angela Merkel per Videobotschaft an, sie wolle „anders und neu mit den Nutzern des Internet kommunizieren“.
Die Bürger waren dazu aufgerufen, der Kanzlerin ihre Fragen zu stellen. Über ein Voting-System wurden die zehn beliebtesten ausgewählt und Angela Merkel vorgelegt. Ihre Antworten wurden in insgesamt drei Teilen ab dem 18. November auf dem YouTube Kanal der Bundesregierung veröffentlicht.
Beginnt mit dem „Digitalen Bürgerdialog“ eine neue Phase der Kommunikation zwischen Politik und Bevölkerung oder handelt es sich hierbei nur um eine weitere steuerfinanzierte PR-Kampagne der Bundesregierung?
Geringes öffentliches Interesse
Zwar sind Angela Merkel und ihre Mitarbeiter darum bemüht, den „Digitalen Bürgerdialog“ als vielbeachtete Aktion mit großer Resonanz darzustellen. Die konkreten Beteiligungszahlen zeichnen allerdings das Bild einer eher gleichgültigen Öffentlichkeit.
Insgesamt sind bei der Bundesregierung 1.790 Fragen an die Kanzlerin eingegangen. Auf den ersten Blick erscheint das nicht wenig zu sein. Bedenkt man allerdings, dass nach den Angaben des Statistischen Bundesamts mittlerweile mehr als 75 Prozent der Bevölkerung das Internet nutzen, dass viele der gestellten Fragen von ein und derselben Person stammen und dass es sich bei vielen Einsendungen nicht um konkrete Fragen sondern stattdessen um schiere Lobbezeugungen oder reine Kritik handelt, dann dürfte die Resonanz weit hinter den Erwartungen des Kanzleramtes zurückgeblieben sein.
Auch an den absoluten Zahlen der Votings für die einzelnen Fragen kann man erkennen, dass sich das Interesse in Grenzen hielt. Die meistbewertete Frage erhielt hierbei gerade einmal 4.130 Pro- und 371 Kontra-Stimmen. Zusammen beteiligten sich also nur rund 4.500 Personen aktiv an dem Votingprogramm.
Noch deutlicher wird das Desinteresse der Bevölkerung anhand der Zuschauerzahlen der drei Antwortvideo. Der erste Clip wurde immerhin noch rund 55.000 mal angeschaut. Scheinbar waren die Zuschauer hiervon aber nicht sonderlich begeistert. Der zweite Teil der Antwortserie, der drei Tage später veröffentlicht wurde, erreichte nämlich lediglich 7.795 Views. Der dritte und letzte Teil wurde mit 18.276 Abrufen wiederum stärker nachgefragt, was hauptsächlich daran liegen dürfte, dass sich Angela Merkel hier mit der breit diskutierten Frage des Cannabis-Konsums beschäftigte.
Weiterhin fallen die schlechten Bewertungen der Videos auf. Bezogen auf den dritten Teil der Serie klickten nur 75 Zuschauer auf den „Gefällt mir-Button“ von YouTube, während sich 1.446 User für „Gefällt mir nicht“ entschieden.
Ein Blick in die Liste sämtlicher eingegangener Fragen und ihrer jeweiligen Votings zeigt, dass die Kanzlerin und ihre Mitarbeiter einige Fragen mit niedrigerer Wertung aufgenommen und dafür andere, mit einem besseren Ranking, ausgelassen haben. So wurden etwa Fragen zum Thema „GEZ Gebühren trotz Rechtsanspruch auf freien Informationszugang“ oder „Kausalität von Bildungseinsparungen und Fachkräftemangel“ nicht aufgenommen, obwohl ihr Scoring deutlich höher war, als beispielsweise bei den Fragen nach der Rettung der Hypo Real Estate (Frage 7) oder dem gesetzlichen Gesundheitssystem (Frage 1).
Im Folgenden werden die zehn zugelassenen Fragen vorgestellt und die Antworten zitiert und analysiert. Die Zitate beschränken sich dabei auf die jeweiligen Kernaussagen von Angela Merkel. Die vollständigen Antwortvideos können ergänzend über den YouTube Kanal der Bundesregierung abgerufen werden.
Frage 1: Solidarität im Gesundheitssystem
Die Kanzlerin wird gefragt, wie es sein kann, dass sich ausgerechnet Gut- und Großverdiener aus der gesetzlichen Krankenkasse ausklinken dürfen und Beamte hieran ebenfalls nicht teilnehmen.
„Im Gesundheitssystem wird davon ausgegangen, dass die, die sehr gut verdienen, ihre eigene Gesundheitsvorsorge – zum Beispiel durch eine private Versicherung – auch selber leisten können, also nicht auf die Solidargemeinschaft angewiesen sind.“
Angela Merkel lobt die Vorteile für privat Versicherte, die es sich leisten können, ihre Gesundheitsvorsorge selber zu finanzieren und die auf die Solidargemeinschaft nicht angewiesen sind.
Auf die Frage, warum die Besserverdiener zum Nachteil der gesetzlich Versicherten aus der Solidargemeinschaft austreten dürfen, antwortet sie nicht.
Frage 2: Diäten für Bundestagsabgeordnete
Gefragt wird, wie es sein kann, dass die Bundestagsabgeordneten selber über ihre Diätenerhöhungen bestimmen dürfen. Da die Politiker dem Volk dienen, müsste dieses eigentlich über die Höhe des Bezüge entscheiden.
„Bei den Abgeordneten ist es so, dass die Abgeordneten sich sehr viele Gedanken darüber gemacht haben und sie haben auch nicht einfach frei ihre Diäten bestimmt.“
Angela Merkel legt dar, dass sich die Abgeordneten über ihre Diätenerhöhungen viele Gedanken machen.
Auf die eigentliche Frage, aus welchem Grund die Abgeordneten selber über ihre Gehälter entscheiden, antwortet sie nicht.
Frage 3: Nebentätigkeiten von Abgeordneten
Die Kanzlerin wird gefragt, warum Abgeordnete während der Zeit ihres Mandats nicht sämtliche Nebentätigkeiten einstellen müssen. Im Moment seien sie doch nur versteckte Lobbyisten.
„Wenn man jetzt zum Beispiel einen Beruf hat, zu dem man noch einen gewissen Bezug haben möchte, wenn man vielleicht selber einen Betrieb hat und dort noch etwas tun möchte und nicht alles aufheben möchte, dann kann das schon seine Vorteile haben.
Es kann auch Vorteile haben, wenn man für eine bestimmte Entschädigung tätig ist, wenn man dann auch etwas berichten kann aus einem bestimmten Bereich.“
Diese Antwort ist sehr interessant, weil Merkel damit die Befürchtung des Fragestellers bestätigt. Sie betont die Vorteile für einen Abgeordneten, der ein eigenes Unternehmen während der Zeit seines Mandats weiterführen kann und stellt es als Vorteil dar, wenn ein Abgeordneter, der einer bezahlten Nebentätigkeit nachgeht in der Politik „auch etwas berichten kann“.
Zutreffender kann man Lobbyismus wohl nicht beschreiben.
Frage 4: Bürgerfragestunde im Bundestag
Es wird gefragt, warum es im Bundestag nicht einmal pro Monat eine Fragestunde für die Bürger gibt. Es wird vermutet, dass der Kanzlerin die im „Digitalen Bürgerdialog“ gestellten Fragen „ins eine Ohr rein und ins andere wieder raus“ gehen und bezweifelt, ob sich durch die Befragung etwas ändern wird.
„Na ja, das ist ja eine kühne Behauptung. Und ich weiß gar nicht: Wenn der Frager so pessimistisch ist, was mit mir passiert, wenn er mir eine Frage stellt: Warum soll das im Bundestag besser sein?“
Die Kanzlerin bezeichnet die Befürchtung des Fragestellers, ihr wären die Anliegen der Bürger egal und eine Befragung per Internet würde nichts ändern, als „kühne Behauptung“. Sie gibt zu verstehen, dass, wenn man sie im Rahmen der Internet-Befragung für ignorant hielte, dies doch auch für Veranstaltungen im Bundestag gelten würde.
Auf den Vorschlag, eine monatliche Bürger-Fragestunde im Bundestag einzurichten, geht sie wiederum nicht ein.
Frage 5: Parteispenden
Der Fragesteller erkundigt sich bei Angela Merkel, warum die Parteien Spenden in Millionenhöhe annehmen dürfen und wo der Unterschied zur Bestechung von Beamten liegt.
„Parteien haben einen grundgesetzlichen Auftrag. Der heißt, an der Willensbildung des Volkes mit teilzunehmen. Um diese Arbeit machen zu können, müssen Parteien ja auch Einnahmen haben.“
Die Kanzlerin begründet das Recht der Parteien Spenden anzunehmen mit der Notwendigkeit der Finanzierung der Willensbildung. Sie räumt damit ein, dass Unternehmen und Verbände Millionenbeträge investieren, mit denen die Parteien dann auf den Willen der Bevölkerung einwirken.
Auch hierbei handelt es sich um eine zutreffende Beschreibung des praktizierten Lobbyismus in Deutschland. Die Frage wird nicht beantwortet. Der Fragesteller in seiner Befürchtung jedoch bestätigt.
Frage 6: Künftige Rentenfinanzierung
Die Kanzlerin wird gefragt, wie es trotz demografischem Wandel gelingen kann, dass die gesetzlichen Renten gesichert und die hohen Schulden in Deutschland und Europa abgebaut werden.
„Ihr müsst heute vorsorgen, weil Eure Rente nicht mehr alleine auskömmlich sein wird, um das Lebensniveau zu erhalten.
Wir leben und haben zu sehr auf Kosten der Zukunft gelebt.“
Hier wird Angela Merkel besonders deutlich: Auf die Frage, wie es gelingen kann, die Rente sicher zu machen, sagt sie, dass sie das nicht kann und dass die Bürger selber dafür verantwortlich sind, für das Rentenalter vorzusorgen.
Für sonderlich bedenklich scheint die Kanzlerin die Lage aber nicht zu halten. Sie signalisiert keine Bereitschaft, über ein alternatives, staatliches Rentenmodell nachzudenken und begründet die aktuelle Entwicklung damit, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben und dies auch immer noch tun.
Frage 7: Bankenrettung gegen Bildungskosten
Gefragt wird, wie es sein kann, das der Staat mehrere Milliarden Euro für die Rettung der Hypo Real Estate ausgibt, gleichzeitig aber behauptet, es sein kein Geld für Bildung da. Der Fragesteller möchte wissen, ob Banken mittlerweile wichtiger sind als die Bildung unserer Kinder.
„Wenn wir den Banken nicht helfen – Stichwort Lehman Brothers – dann bricht unser ganzes Wirtschaftssystem zusammen. Das heißt, wir haben für die Arbeitsplätze der Menschen und für eine funktionierende Wirtschaft damals Banken retten müssen.“
Am Beispiel von Lehman Brothers und er HRE rechtfertigt die Kanzlerin die staatliche Rettung von Banken und stellt die Behauptung auf, die Wirtschaft und die Arbeitsmärkte wären zusammengebrochen, hätte man anders gehandelt.
Die Frage, ob die Banken wichtiger sind als die Bildung unserer Kinder beantwortet Angela Merkel wiederum nicht.
Frage 8: Mehrwertsteuersätze
Der Fragesteller möchte von der Kanzlerin wissen, warum sich die Bundesregierung nicht dafür einsetzt, dass Malstifte, Schulessen oder Windeln nur noch mit 7 Prozent besteuert werden, um Familien in Deutschland finanziell zu entlasten.
„Da zum Beispiel Bleistifte und Kugelschreiber auch von erwachsenen Menschen benutzt werden, würde man hier natürlich die Grenze sehr schwer ziehen können.
Aber das ist historisch gewachsen und deshalb kann ich auch keine ganz logische Antwort darauf geben.“
Die Kanzlerin hält die steuerrechtliche Situation für kompliziert, da es nicht leicht sei, zwischen Produkten für Kinder und für Erwachsene klar zu unterscheiden. Als Beispiel führt Sie „Bleistifte und Kugelschreiber“ an, obwohl der Fragesteller sich ausdrücklich nach „Malstiften, Schulessen und Windeln“, also eindeutigen Kinderprodukten, erkundigt hat.
Angela Merkel spricht davon, dass das Steuersystem historisch gewachsen sei und beantwortet die Frage, warum sich die Bundesregierung nicht für eine Senkung der Mehrwertsteuer für Kinderprodukte einsetzt, nicht.
Frage 9: Petitionen
Die Kanzlerin wird gefragt, warum sich derzeit rund 980 Online-Petitionen in der parlamentarischen Prüfung befinden und wie es sein kann, das Petitionen mit mehr als 50.000 Mitzeichnern seit über zwei Jahren ohne Ergebnis geprüft werden.
„Also ich will mich wirklich nicht in die Arbeit des Petitionsausschusses einmischen. Ich kann nur sagen aus meiner parlamentarischen Erfahrung, dass dort unheimlich hart gearbeitet wird.“
Der Fragesteller erkundigt sich konkret nach dem Status von fast 1.000 Petitionen, die sich in der parlamentarischen Überprüfung befinden. Einige davon seit zwei Jahren. Merkel führt dazu aus, dass im Petitionsausschuss hart gearbeitet würde und dass sie sich in die Arbeit des Ausschusses nicht einmischen wolle.
Abgesehen davon, dass die Kanzlerin als Regierungschefin dazu verpflichtet ist, sich in die Arbeit ihrer Gremien und Ausschüsse einzumischen, geht es bei den Petitionen um ein zentrales demokratisches Grundrecht und damit um eine sehr wichtige Angelegenheit.
Angela Merkel scheint das Thema der unbearbeiteten Petitionen egal zu sein. Sie stellt weder in Aussicht, sich um die Gründe für die starken Verzögerungen zu kümmern, noch für Abhilfe zu sorgen. Auch diese Frage wird nicht beantwortet.
Frage 10: Cannabis
Gefragt wird: Wie stehen Sie zur Forderung, den bestehenden Schwarzmarkt für Cannabis durch einen regulierten Markt mit Jugend- und Verbraucherschutz (Kontrolle von Qualität und THC-Gehalt) zu ersetzen und mehr Suchtprävention über Cannabissteuern zu finanzieren.
„Ich stehe dazu ablehnend. Durch eine Legalisierung würde man die Schwelle noch weiter heruntersetzen und wir halten doch die Nebenwirkungen von Cannabis für so gefährlich, dass man das nicht tun sollte.“
„Es gibt immerhin zwei Millionen Menschen, die in diesem Bereich auch Cannabis konsumieren und das ist schon viel zu viel, wie ich finde.“
Angela Merkel begründet ihre Ablehnung einer Legalisierung damit, dass so die Schwelle für den Konsum noch weiter heruntergesetzt würde. Das Beispiel der Niederlande – hier liegt der Cannabis Konsum unter dem in Deutschland – belegt jedoch, dass dieses Argument nicht zutrifft.
Die Kanzlerin spricht von zwei Millionen Konsumenten in Deutschland.
Der aktuelle Jahresbericht des „European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction“ beziffert die Anzahl der deutschen Cannabis-Konsumenten alleine in der Altersgruppe der 18- bis 64-jährigen auf 2,5 Millionen Personen. Insgesamt gehen die Experten von 3,5 bis 7 Millionen Cannabis-Konsumenten in Deutschland aus.
Der Fragesteller schlägt die Regulierung eines Marktes vor, der aufgrund der Rechtslage ohnehin als Schwarzmarkt besteht. Hierauf geht die Kanzlerin allerdings ebenso wenig ein, wie auf die Themen Verbraucherschutz und Suchtprävention. Stattdessen rechtfertigt sie die Kriminalisierung von Millionen von Bundesbürgern, die gezwungen sind, ihren Bedarf ohne jeglichen Verbraucherschutz illegal am Schwarzmarkt einzukaufen.
Die eigentliche Frage wird von Angela Merkel nicht beantwortet und geht in ihrer Argumentation für einen weiterhin repressiven Umgang mit Cannabis von falschen Daten und Voraussetzungen aus.
Langweilig, arrogant, ignorant
Die Fragen der Teilnehmer des „Digitalen Bürgerdialogs“ sind interessant und spannend. Sie enthalten viele konkrete Verbesserungsvorschläge, sprechen offensichtliche Missstände an und machen Defizite aufmerksam.
Die Antworten von Angela Merkel sind langweilig, vorhersehbar und leidenschaftslos. In insgesamt acht von zehn Fällen antwortet die Kanzlerin erst gar nicht auf die Frage, die ihr gestellt wird. Stattdessen spult sie Positionen aus dem CDU-Parteiprogramm ab, rechtfertigt Missstände mit der historischen Entwicklung oder signalisiert Alternativlosigkeit.
In Detail- und Sachfragen, wie etwa bei der Frage nach der Rechtslage für den Cannabis-Konsum, zeigt sich die Kanzlerin schlecht informiert. Sie verwendet falsche oder zumindest veraltete Zahlen und bewegt sich mit ihren Argumenten deutlich jenseits wissenschaftlich fundierter Expertenmeinungen.
In vielen Fragen stecken vernünftige Vorschläge und gute Anregungen. Beispiele hierfür sind die Neubewertung von Parteispenden oder Nebentätigkeiten von Abgeordneten, die Kritik an der Festlegung von Diäten durch die Begünstigten selber, eine monatliche Bürger-Fragestunde im Bundestag, eine beschleunigte Bearbeitung von Petitionen oder eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes für spezifische Kinderprodukte.
Die Kanzlerin schiebt jeden Vorschlag mit einem distanzierten Lächeln beiseite und man hat nicht das Gefühl, dass auch nur eine einzige Bürgerfrage einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlässt. So entsteht das Gesamtbild einer autoritären Regentin, die ihren Bürgern mit Arroganz begegnet und deren Vorschläge, ebenso wie deren Kümmernisse, einfach ignoriert.
Kanzlerin oder CDU-Vorsitzende?
Wer sich einen demokratischen Diskurs erhofft hatte, der sieht sich im „Digitalen Bürgerdialog“ getäuscht. Dazu wäre das sorgfältig ausgewählte Format auch gar nicht in der Lage gewesen. Es ermöglichte zwar die Einsendung von Fragen, nicht aber die Erwiderung oder die Nachfrage auf die Antworten der Kanzlerin.
Um einen „Dialog“ handelt es sich hierbei nur dem Namen nach. Ein solcher müsste sich nämlich durch Rede und Gegenrede auszeichnen. Dem Moderator, einem am freien Markt engagierten Berufssprecher, kommt ausschließlich die Rolle des Vorlesers zu. Er reagiert kaum auf Merkels Antworten und stellt keine Gegenfragen. Stattdessen führen beide ein sorgfältig einstudiertes Gespräch nach Drehbuch. So laufen die Äußerungen und Statements der Kanzlerin auf einen Monolog heraus, wie man ihn bereits aus unzähligen Reden, Presseerklärungen und Interviews kennt.
Auf die Frage, warum es keine regelmäßigen Bürger-Fragestunden im Bundestag gibt, signalisiert Angela Merkel schließlich selber, dass dies nicht nötig sei, da man sie ja häufig genug öffentlich erleben könne:
„Was ich meine, was ich denke, wie ich argumentiere, da gibt es – glaube ich – vielfältige Möglichkeiten.“
Deutlicher kann die Kanzlerin nicht ausdrücken, dass es bei dem neuen Dialog-Format der Bundesregierung keineswegs darum geht, was die Bürger meinen, denken oder wie sie argumentieren. Die vermeintliche Bürgernähe entpuppt sich als abgedroschene Phrase, das Demokratieverständnis der Kanzlerin erinnert mehr an das vielgescholtene SED-System als an das ernsthafte Bemühen um eine offene Bürgergesellschaft.
Die Mission ist missglückt. Kaum ein Bürger hat sich für die Fragen und Antworten interessiert. Letztlich handelt es sich beim „Digitalen Bürgerdialog“ um nicht mehr als eine weitere PR-Kampagne mit Blick auf den Wahlkampf 2013, die auf Kosten des Steuerzahlers aufwendig konzipiert, realisiert und produziert wurde.
Angela Merkel tritt hier nicht als Kanzlerin aller Deutschen auf sondern als Vorsitzende einer Partei im Abwärtstrend. Hieran kann auch die „neue“ Kommunikations-Offensive nichts ändern.