Schon Kafka wußte, in einer Umkehrung des schlechten Künstlergewissens, daß sich die Realität vor der Kunst und dem Geist zu rechtfertigen habe, und nicht diese vor ihren Oberflächen, daß der Einzelne eine "ungeheure Welt im Kopfe " habe, daß das "Nichts" der Literatur, ihr unmögliches Unternehmen, ein "Ansturm gegen die letzte irdische Grenze" sei. Literatur, Kunst und Meditation stehn im Zentrum des menschlichen Abgrundes - und nicht das äußere Bild eines "Wirklichen", gar dessen anämische Abstraktion. Erich Rothackers "Metaphorologie", die Hans Blumenberg übernahm, und die besagt, daß Denken ohne (inneres) Bild unmöglich sei, ist nur ein weiterer Beleg wider die weltlose Abstraktion der Begriffe, der blutleeren formalen Logik, aber auch der äußeren Bildinflation. Das Umkreisen des Erlebnis- und Erfahrungskerns der Existenz mit Metaphern, Erzählungen, innern Bildern und Traumbildern paßt sich gerade der Sprachskepsis und dem Bildverbot an; auch die "dritte Phase" des "professionellen Vernunftgewerbes", nach der "naiven" und der "ratlosen" Phase - die Phase der Pluralität und Offenheit heute, versucht so dem entlarvten ideologieverdächtigen "Absoluten" zu entkommen, das jedoch nicht mit dem "Einen", der "Alles" ist, und begrifflich nicht faßbar sein kann, verwechselt werden darf, wie es etwa Eckard Nordhofen tut. (Die Aufhebung des Bildverbots, in: "Literaturmagazin" 25, S. 61ff) In der Archetypenlehre der Tiefenpsychologie sind die Traumbilder, Phantasiebilder, die in der Erinnerung unmittelbaren psychischen Realitäten, Zeichen des begrifflich Unsagbaren; ähnliches gilt für Bilder und Metaphern der Poesie. Das Gegenteil des Abstrakten. Besonders deutlich in der Conversio und dem An-Wesen bei der Begegnung mit großen Weisheitslehrern, die keine Schriften hinterlassen haben wie Sokrates oder Christus. Das Angleichen an den Meister und den "innern Meister" (omoisis to theo bei Platon), dieser Prozeß der Individuation ist das, was MIMESIS ursprünglich bedeutet hat, Angleichung des Ich, die Eben-Bild-Suche in einer initiatischen und schmerzhaften Metamorphose, und nicht "Mimesis", wie sie später in einer primitiven "Widerspiegelungstheorie" der nochmals verbildlichten "Realität" auf den Hund kam. Am schlimmsten im "sozialistischen Realismus", wo das Kunstwerk nicht Angleichung an "Gott" (omoisis to theo), sondern sklavisch eine "Spiegelung" der "objektiven Realität" sein mußte, und schließlich die Partei bestimmte, was objektive Realität zu sein hatte! [1] Wir sehen also, daß nach dem Scheitern dieser Abbild- und Abgott-Ästhetik, die nur ein Bastard des auch im Okzident vorherrschenden Realitätsglaubens und vulgären Materialismus (hier des Geld-Scheins) ist, das alte "Bildverbot" der Bibel gegenüber dem Realitätsgötzen wieder zeit-gemäß wird. Und was dahinter liegt, taucht heute wie eine Wiederkehr des Verdrängten in der neueren Deutung der Kategorie des Erhabenen als paradoxe Struktur eines Nicht-Darstellbaren auf. War diese früher Ästhetik des Prunks von Herrschaft, wird heute mehr der Aspekt von Schrecken, Schauer, Grausen betont, das Unheimliche, wenn das Gewohnte, wenn Verstand und Logik nicht mehr greifen, erschüttert werden. Dabei geht es um einen Augenblick des Schreckens, ein "Now", wie Lyotard es auf Zeitbegriffe des schokartig und ekstatisch auftauchenden "Nichts" der hebräischen Kabbala zurückgreifend, genannt hat. Herrschende Raum-Zeit aber ist Projektion einer Angst, Angst vor dem Unbekannten. Nach Freud eine Verschiebung des Unheimlichen und Namenlosen zwischen den Sekunden: der Anwesenheit und Abwesenheit der Augenblicke ins Bild[2]. Dazwischen aber der Schock des Nichts. In der nächsten Sekunde ist nämlich noch niemand gewesen, und es könnte jeden Augenblick etwas Überraschendes und Furchtbares geschehen: "... Now... eher das, was das Bewußtsein außer Fassung bringt ... was ihm nicht zu denken gelingt, und was es vergißt, um sich selbst zu konstituieren."[3]"Ästhetik des Schreckens" und der Öffnung.[4]Peter Weiss freilich oder auch Thomas Pynchon liegen mir bei diesem Grenzgang näher. [5] Die hebräische Bibel verlangt, den Schrecken der in diesen Zwischenräumen auftauchenden numinosen Epiphanien auszuhalten, dies hieße, dem Bildverbot zu gehorchen, der Entlastung durchs Goldene Kalb nicht zu folgen, jede Zeit- und Bild- Konstruktion zugunsten des Un-Heimlichen, nach Freud des ursprünglich Heimischen, des zeit- und todlosen Paradieses aufzugeben.[6]
2 Das alte Bildverbot hing ja mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis, dem Exodus, der Strafe des Todes und der Zeitangst zusammen; Lebenskürze und Tod des Alten Gottes bedingten aber auch Machttrieb, Besitzgier und Zeithast, die im Egotrip die angeblich so kurze Zeit "nützen möchte" und so in einem um die Ewigkeit verkürzten Leben die Betroffenen krank macht. Als könnte nun mit dieser neueren Selbstanalyse, die eng auch mit den durch Foto und Film und elektronische Haustiere neugewonnenen Seh-Erkenntnissen zusammenhängt, "der Tod, der Sünde Sold", die alte Erbsünde als Illusion entlarvt werden. Denn es ist eine Illusion, die eng mit dem Körper-, Bilder- und Sprach-Glauben, also der Halluzination "sichtbare Wirklichkeit" zusammenhängt, zusammenhängt vor allem mit unserem überholten Konzept "linearer Zeit", das sich in der neueren Physik als Fiktion erweist. [7]Dieses neue Erlebnis trat vor allem in der sichselbstaufhebenden SCHRIFT und dem Verschwinden von Raum und Zeit im BILD seit dem Impressionismus zutage. Gegenwart, Präsenz, auch Geschichtlichkeit sind Projektionen, "nachträglicher Effekt einer Verschiebung" nach Freud, Konstruktionen, Bewußtsein entsteht "an Stelle der Erinnerungsspur" und vom Gedächtnis ausgeschlossen - also leere, aber selbstreflexive Gegenwart eines Subjekts, und niemals die "Gegenwart" einer Gemeinschaft. Oder besser, diese Gegenwart ist die gesammelte Zensur von Individuen, die intersubjektiv eine Art Halluzination herstellen, BILD, eine "gedeutete Gegenwart", daß die schwindet, nicht mehr oder noch nicht ist, aber gewesen sein wird, kommt darin nicht vor: "Die Erzählungen des Bewußtseins sind von dem Wunsch besessen, sich der Bewegungen der Gegenwart durch Deutung zu versichern, einem Wunsch, der jedoch eben dieses Ziel konstitutionell verfehlt." [8] Es war wieder ein langer Umweg dahin nötig: Die alte "Gesinnungsästhetik", gar Kunst als oberflächlicher sozialer Widerstand und als Weltveränderungskonzept (einer Illusions-Realität) sind ad absurdum geführt worden; [9]Kunst steht in dieser Späte und nach einem Ende heute allmählich (viel zu langsam reift dieses Bewußtsein!) wieder mitten in jenem Gang zum Grund. Die alte Theodizeefrage, wie in einer Welt voller Übel Kunst (wie früher Gott) noch zu rechtfertigen sei, ließe sich nun so beantworten: daß sie gerade durch die historischen Übel und Verbrechen dieses Jahrhunderts wieder und radikal an diese Grenze geführt worden ist, doch sie, die Vermittlerin zu einer grenzüberschreitenden U-Topie, muß sich selbst überschreiten, um weiterbestehen zu können! Brechts Gespräch über Bäume wurde schon durch Celans Parodie widerlegt, dieses neue Bewußtsein (das eigentlich mit der Moderne begann) verschärft ausgesprochen: "Was sind das für Zeiten,/ wo ein Gespräch/ beinahe ein Verbrechen ist,/ weil es soviel Gesagtes/ mit einschließt." (Ein Blatt, baumlos, für Bertolt Brecht.)
3 Wenn wir an die Ursprünge des alten Bildverbotes zurückgehen, stellt sich freilich die Frage nach jenem unbekannten und unbeschreiblichen Wesen jenseits der Sprache, das unheimlich ist, im Schrecken erscheint, uns sprachlos macht. Ist das Tabu des Bildverbotes "Gott", das hier Fehlende? Ist "Gott" der Tod? Abwesenheit der sinnlichen Welt als Anwesenheit ihrer Tiefenstruktur, Anwesenheit unseres "Angeschlossenseins" an den undenkbaren größten Zusammenhang, Er dafür eine Chiffre? Hier stoßen wir auf den schwierigen Un-Begriff des Nichts. Das Nichts ist im Hebräischen identisch mit Gott. Ayin heißt Nichts. Es ist zugleich Name eines Buchstabens, er hat die Bedeutung von (inneres) Auge. Jenes "Gott" genannte Eine, das immer und zugleich nie da ist, da es "Alles" ist - wirkt als treibende Absenz in allem, was existiert.[10] Dieses "Nichts" ist als Entwicklungsspender in allem enthalten, im Menschen unbewußt als grenzüberschreitende Erwartung, Hohlform unverzichtbarer Hoffnung. Nach George Steiner bekommen wir jetzt die Rechnung dafür präsentiert, daß unsere Zivilisation, "darstellerisch orientiert", sich nur durch die Verletzung des Bildverbots entwikkeln konnte, also durch den "Tod Gottes", daß sie dafür "Gott und die Welt im Wort `nachgebildet` hat," was letztlich eine Art Welt gewordene Illusion war. Diese Rückkehr zur Einsicht in die "metamorphische Bedeutung, die Willkürlichkeit von Bedeutung" und dann: "die fossilgewordene Autorität des logos", [11] ist ein tödliches Vergessen, von dem auch die Autoren geschlagen sind: "Zeichen transportieren keine Gegenwärtigkeit", sie sind Illusion und Todesaufschub, Mallarmés Absence (das Wort "Rose" als Absenz der wirklichen Rose), die Schreibenden zum Schicksal wird. Dabei sei es nur eine traurige Imitation des andern großen Nichts ( das Wort "Gott" als seine Abwesenheit), auch die Zitate von Zwischenräumen, Rissen, Zeitspalten usw. sind Spiele mit dieser Absence; bei Mallarmé "les blancs" als Abgründe im Typoskript zwischen den Sätzen und Wörtern... Das absolut Bildlose, Innere , die reine Absenz aber ist etwas existentiell sehr Ernstes und Lebenswichtiges, das nicht nur die Kunst angeht, es ist "der Abgrund, der in den Lücken des Seienden" sichtbar wird... Kein Ding und Wesen kann sich verwandeln, das nicht diesen Bereich des Beziehungslosen, des puren Seins, das der Mystiker eben Nichts nennt, berührt hat", heißt es bei Gershom Scholem [12]. Das alte Bildverbot, das die Darstellung des Undenkbaren, Unvorstellbaren, Unfaßbaren, das die natürliche Ursachenkette dessen, was wir uns bis heute vorstellen können, durchbricht, verbietet, ließe sich heute so ausdrücken: Worte und Bilder dienen zur Beruhigung, zur Illusionsherstellung, ohne die wir so nicht leben könnten, wie wir leben; und das, was wir mit Worten und Bildern verdrängen und beruhigen, reicht in jenen Bereich des Unheimlichen und des Todes, der zum Verschwinden gebracht werden soll, damit diese die Erde vernichtende Zivilisation überhaupt existieren kann! Dieses Unheimliche ist im Christentum das totaliter aliter, das Ganz Andere genannt worden.[13] Wobei weiter zu bedenken ist, daß die vorstellbare Grenze, die uns davon trennt, ganz sicher nicht die Grenze der Welt ist, sondern nur die unseres gegenwärtigen (uns schützenden) BILDES von ihr, das - weiter in diesem Zauberzirkel des Absurden im Bereich der begrifflichen Erkenntnis, wie schon die Veden und heute die Physik lehren - Täuschung unserer Sinne, - ja eine An-Maßung ist. Interessant auch der Zusammenhang dieses "Ganz Andern" mit der "Alterität" der Negativen Theologie. Adorno mit seiner "negativen Dialektik", eine Art Übervater der Postmoderne, verweist auf die in der Negation wieder erreichten theologischen Wurzeln. Kierkegaards Angriff auf das Ästhetische und Ethische, die ohne das Heilige als Sündenfall des Begriffs, der Emotion, der Tat und der Ideologien erscheinen, ist nicht weit davon entfernt. Adorno geht von ihm aus. Robert Notziks Deutung des Holocausts als antimessianischen Zeitbruch und Einzigartigkeit der abendländischen Unheilsgeschichte ist ebenfalls damit verbunden. Grund dieser Unheilsgeschichte ist die Mimesis des rein Zweckmäßigen, Nur-Sichtbaren, die Abtrennung vom Unsagbaren; so erscheint etwa das banausenhafte Kunstverständnis des Kitschs und "Volksgeschmacks" der Diktaturen rot und braun, in der "Expressonismusdebatte" [14]oder in dem Konzept "dekadente" und "entartete Kunst" als Symptom des Realitätswahns; die Patentlösung war auch in diesem Bereich Vernichtung des Abweichenden, "Fremden" der für Diktaturen gefährlichen "Alterität" in der Kunst, im Geist. In der Frühphase der roten Revolution dagegen blühte gerade die Avantgarde, die Darstellung des "Neuen", die Zerstörung der bisherigen falschen Realität und ihrer Unterdrückungsmechanismen. Ähnlich der Versuch im frühen Christentum, das totaliter aliter Gottes in der Ikonenkunst darzustellen, wo die normalen Licht- und Perspektiveverhältnisse, das gewohnte Seherlebnis aufgehoben wurden. Als die Fetische und Götzen dann katholisch wucherten, gab es in Florenz Savonarola und im Norden den protestantischen Bildersturm.[15] Das alte Hebräische, die Schöpfungssprache der Bibel, umging die direkte Benennung oder Darstellung des totaliter aliter, des Heiligen (qadosch), auf geniale Weise: geschrieben werden darf nur der Körper, das natürliche Gesetz: die Konsonanten; ihre unendliche Verbindungsmöglichkeit dagegen, in uns anwesend als "Blitz" der Assoziation, der erst den Sinn des Wortes herstellen kann: sind die nicht zu schreibenden, nur hinzuzudenkenden Vokale, dazu-"gedacht" sind sie die "Gnade Gottes", dessen NAMEN überhaupt nicht ausgesprochen und gedacht oder vorgestellt werden durfte, sondern unbekannt bleiben mußte! ER wurde daher in der jüdischen Mystik auch das Nichts genannt, weil jene "ganz andere" Dimension nur sein kann, wenn der Mensch in seinem Bilderwahn absent ist. Der Sinn aber jeder Versenkung ist diese Abwesenheit, herstellbar durch ein "Abschnüren der Sinne", Los-Lassen, Leer-Werden. Es gibt freilich auch Bild-Meditationen, die der Absenz-Erzeugung in der Kunst ähneln, sie sind dem echten Gebet nach-gebildet , denn die Vorstellung, die im Satz erzeugt wird, ähnelt jener, und jeder kann darin eingehn und verschwinden... Botho Strauß behauptet, es ereigne "sich ein überzeugender Gedanke überhaupt nur" im Heraufrufen "seiner Bestreitbarkeit", wenn er die "Nähe eines anderen Erkenntnismodus, in dem sich dergleichen so nicht sagen ließe", "berührt", und er bringt dazu ein sehr einleuchtendes Gedicht von Giorgio Caproni als Beispiel: "Rückkehr. Ich bin wieder da, /wo ich niemals war./ Nichts ist anders als es nicht war./ Auf dem halbierten Tisch, dem karierten/ Wachstuch das Glas,/ darin nie etwas war./ Alles ist geblieben, wie/ ich es niemals verließ." [16] Paul Virilio[17] schlägt vor, wir sollten uns daran gewöhnen, auch die Negativ-Kontur, das Ausgesparte zu sehen, nicht nur den Berg, sondern das Tal, am Rand eines Glases die Leere, bei einem Speichenrad die leeren Zwischenräume.
Moderne Literatur ist undenkbar ohne radikale Sprachskepsis; heute weiß sie mehr denn je davon, daß sich der Baum wundern würde, wüßte er, daß wir ihn "Baum" nennen; und doch glauben wir immer noch daran, wir hätten in diesen vier Buchstaben etwas WIRKLICHES, und wir bilden uns etwas darauf ein, wenn wir "Bewußtsein" oder gar "Gott" sagen. Wittgenstein empfiehlt als Alternative Schweigen, Benjamin die unsichtbare, aber spürbare "Aura" und den "Schock", Joyce die "Epiphania"; und George Steiner meint - weit zurückgreifend - all dies kulminiere in Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aaron", dem Aufschrei des Erweckerpatriarchen Moses: "Oh Wort, du Wort, das mir fehlt." Das Fehlende also erst sage aus, was ist. [18] Ausgerechnet der Stotterer ( der Sprachverhinderte) Moses erhielt am Sinai von dem "Einen Gott" die Tafeln, Mutationen des Namens (JHWH); ein Sinngeflecht, das wie ein "Baum" angeordnet gewesen sein soll, die sogenannte schriftliche Thora - oder die fünf Bücher Mose.[19]SCHRIFT - aber das Sinai-Ereignis ist unbeschreiblich, wie auch die deutsche Bibelübersetzung, viel mehr als jede andere normale Übersetzung, nur eine Annäherung, eine sehr approximative Deutung sein kann, da die hebräischen Worte zugleich auch Zahlen sind, also Ausdruck von Proportionen, das riesige Sinngeflecht eines Gesamtzusammenhanges, das eine Struktur ausdrückt, keine willkürliche, vom Geschehen abgetrennte Wort-Semantik ist.[20] Das Bildverbot, ja, Aussageverbot geht auf die Einsicht zurück, daß wir im Grunde nicht einmal das, was sichtbar ist, geschweige denn das Unsichtbare im sichtbaren Augen-Bild festlegen und aussagen können. Wir machen uns ein Bild, schneiden das Abgebildete aus dem großen Zusammenhang, trennen, isolieren, verfälschen also. Ja, wir verlieren damit die Fähigkeit zum Offenen, also zu den angesprochenen Mutationen des kosmischen Zusammenhanges, mit dem wir und alles, was wir wissen, denken, benennen, auch ahnen können, zutiefst verbunden sind! Wer nämlich benennt, teilt, verläßt das Eine, geht in einer Innen-Außen-Beziehung ins Reich der Zwei über. So beginnt auch die Bibel mit der Zwei: Bereschith bara, Im Anfang schuf: B ist die Zwei. Doch so gesehen, läßt sich Annäherung ans Eine, den "Sinn", und sei es in einem einzelnen Grashalm, nur im Sinngeflecht selbst vollziehen, an das wir über unsere Intuition "angeschlossen" sind. Aber diese "Gnade Gottes" scheint auch in unserer Sprache, wenngleich in abgeschwächter Form als SINN gespeichert zu sein. Mit dem flash des immer besseren Verstehens der Zusammenhänge, des Ein-Leuchtens sind Glücksgefühle verbunden, die sich mit dem Grad der Nähe zum Zentrum von Sinn ekstatisch verstärken. Das Sinnlose, bruchstückhaft zusammenhanglose "Unten" aber schmerzt. [21]
4 Neben der Kausalität existiert also ein viel wichtigeres, umfassenderes Weltprinzip: Gleichzeitigkeit und Sinn, auch Synchronizität und "sinnvoller Zufall" genannt.[22]Die alten Chinesen kannten schon, ähnlich wie heute die Quantenlogik und die sogenannte Holistik, neben der Kausalität die Verbindung der Dinge durch SINN (Tao).[23]Und je näher wir diesem Zentrum des Einenim Tao kommen, desto dichter wird das Geflecht von Einzel-Sinn auch im Ereignis. Zufall z.B. ist nur der (noch) unerkannte Zusammenhang. Laotse, der Autor des Buches vom Tao te King, nennt TAO auch das Nichts, weil es den Gegensatz zur sinnlichen Wirklichkeit ausdrückt: "Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:/ Auf dem Nichts daran beruht des Wagens Wirkung./ Man macht Schüsseln und Töpfe zu Gefäßen: Auf dem Nichts darin beruht des Gefäßes Wirkung./ Man höhlt Türen und Fenster aus an Zimmern,/ Auf dem Nichts darin beruht des Zimmers Wirkung./ Darum: das Etwas schafft Wirklichkeit,/ Das Nichts schafft Wirkung."[24] Der Sinn aber wird durch die Sinne verdunkelt, ebenso durch den zerschneidenden Begriff, weil diese nur Äußeres, nur das "Etwas", nicht aber das Nichts, die Leere wahrnehmen können, die für das Wahrnehmen der nichtkausalen Weltformel jenseits des reduktiven Ego-Verstandes viel wichtiger ist. Beim Schreiben weiß auch der Autor, daß er sich mit seinem Ich beim kreativen Prozeß nicht einmischen darf, sonst blockt er ihn ab. Die interesselose Anschauung in der klassischen Ästhetik korrespondiert damit. Es geschieht auch in der Meditation, dem Versenken, in der Ausschaltung der äußeren Sinne, um mit dem innern Auge zu sehen, dem innern Ohr zu hören. In dieser Art entspannter Abwesenheit erst kann höherer Zusammenhang und damit Sinn auch wirklich wahrgenommen werden. Kunstgenuß oder Lyriklesen ist nichts anderes: Alles löst sich, z.B. in Kleists Prosa und seinen Dramen, in einem unsichtbaren Gesamtzusammenhang auf. Das Bild, die Außenwelt verschwinden bei diesem PROZESS, sind nicht faßbar; ihm wird jede Einzelwirkung genommen. Und so wird tatsächlich verhindert, daß wir uns voreilig ein BILD machen oder ein Gleichnis und einen "kleinen", nur alltäglichen Sinn suchen.[25]Denn an sich gilt das Detail, das Sichtbare nichts, ist nur Funktion und auf etwas anderes, noch Unbekanntes bezogen; jede Handlung hat in sich schon das Zukünftige (oder gleichzeitig das Ganze), ließe sich nur von da aus begreifen. Dieses aber ist fast immer die Katastrophe, ein Untergang, das Zeichen dafür steht schon am Anfang, was geschieht, holt nur die Zukunft ein, wiederholt das, was tödlich in ihm steckt.
5 Das Hebräische wird von den Kabbalisten als Sprachbaum, Informationsbaum des Alls vorgestellt, so wird auch das Geschehen nicht mathematisch, sondern poetisch, eher "poietisch" (alte Lehre vom Bau und der Struktur) in der Genesis entfaltet. Ihre Proportionslehre, wo jeder Buchstabe gleichzeitig Zahl ist, führt dazu, daß in jedem Text ein hintergründiges Bezugsgeflecht entsteht und im Satz viel mehr aussagt, als die Erzählung, etwa die naiven Geschichten von Adam und Eva, oder von Noah und der Sintflut oder von Kain und Abel aussagen können. Oder die so wichtige Geschichte von Moses auf dem Sinai und dem Bildverbot. Wir tun es lesend und wir gehn mit dieser Bibel um seit Kindertagen und wissen es nicht. Die Katastrophe der heutigen Welt hat damit zu tun. Aber auch damit, daß Zahl und Name, technisches Wissen und Gewissen auf tödliche Weise voneinander getrennt sind. Es paßt zu den Absurditäten des Okzidents, daß er mit einem ungeheuer wichtigen Teil seiner Kultur so umgeht, wie er mit allem, was nicht in sein rationalistisches Konzept paßt, umgeht: verdrängend, ausklammernd, hassend. Das Hebräische, das Jüdische und dessen gesamter Kosmos nahmen und nehmen in diesem Haß eine Sonderstellung ein.
Die SCHRIFT, auch die heilige, beginnt, wie wir schon sahen, mit dem Geteilten, der Zwei, mit B, dem Beth (was auch Haus heißt): "Bereschith bara" ("Im Anfang schuf", aber eigentlich im Kopf schuf) denn nach dem B steht "resch", resch heißt KOPF ( die Summe seiner Buchstabenwerte ist 200: die hundertfache 2= 200); reschithaber heißt Haupt-Sache. Die 20: Kaf (zehnfache zwei) ist die schaffende Hand. "Der Schöpfer" hat die Welt aus der schwingenden Information der "Sprache", aus den 22 Buchstaben und Zahlen ( Sephira= Zahl, Kräfte, Sphären) mit Kopf und Hand erschaffen; Kabbala heißt "Macht der 22" (Kaf=20, Beth= 2, La ist das Wort für Macht.) Lauter Zweier-Folgen aus der Eins. [26] Die sieben Schöpfungstage hängen ebenfalls mit der Tiefenstruktur der ersten 7 Zahlen und Buchstaben zusammen. 1-3 sind der sogenannte Urraum (Zimzum), der "achte Tag", jenseits von Zeit und Geschichte, doch zugleich in ihnen verwoben: 1: Null, 2: Lichtpunkt, 3: Grenze oder das Hinabgehen in Klang, Farbe und Form. Dieses Hinabgehen ins Materielle steht den Modellen der heutigen Informationstheorie sehr nah: Erst die Erscheinungsform im Kopf als Wissen des "Lichtpunktes" der Nulldimensionalität des Reschith (allerdings immer noch als berührbare Unendlichkeit) ermöglicht es dem Urlicht der Eins (En-Sof im Hebräischen), hier in der menschlichen Welt überhaupt zu erscheinen.[27] Dieser Punkt aber braucht Laut und Klang, die Begrenzung, Umhüllung des Unmeßbaren, Verstofflichung des Gedächtnisses, das nicht von dieser Welt ist (Wissen im Samen, in den Genen, Chromosomen, dem Atom), mater materia; es ist ja Geist, der nicht als Geist erscheint, aber er braucht die Form, die Grenze, um sich verkörpern zu können. BINA, die 3. Sphäre - Grenze: Hinabgehen in Klang, Farbe, Form, die Ur- Mutter ermöglicht es. Adam, der Mensch, hat dieses Strömen der Ur-Information im Sündenfall unterbrochen, das Außen, den Augenschein, die Frucht vom Ur-Baum getrennt, das Wesen von der Erscheinung, und so kam der Tod in die Welt, denn der von seinem Urgrund und Wesen gerissene Körper stirbt ja "tatsächlich"; Formen sterben, die Information des Samens, der sie weiß, aber bleibt im Immateriellen erhalten! Essen vom Baun der Erkenntnis ist Trennung der Frucht vom Baum. Essen vom Baum des Lebens ist Osmose; "Essen" der Sinne, Aneignung der Welt heißt im Hebräischen "achol"; es verbindet A (Aleph), die Eins, mit chol, dem Vielen, dem spezifischen Schwingungsklang, der in jedem Ding als Eigenart vibriert. Liebe ist die Verbindung der fünf Sinne auf höherer Ebene der Berührung. a-chol. Das Zerreißen, Abreißen, die Spaltung aber ist die Hölle. Das Sichtbare, so vom Einen getrennt (A von chol), ist seither einem furchtbaren Ungenügen, ist den zerstörerischen Gewalten, die Macht über den Körper haben, wehrlos ausgeliefert. Heute ist dies als Riß in uns und in der Welt und als Schmerz in der sinnlosen Kontingenz des Beliebigen und Zufälligen zu spüren , die ja selbst nur ein Nichtwissen der Zusammenhänge, eines Zu-Fallens etwa, ist, dessen nihilistische Verabsolutierung eine Täuschung und Selbsttäuschung im Spiegel des Empirischen, des Ausgeschlossenseins von den höheren Sphären bedeutet. Im Schmerz aber zugleich auch die Not-Wende: Denn noch nie war diese größte humane Aufgabe, den Zusammenhang des Ganzen zum Sinn wieder herzustellen, die abgerissene Verbindung wieder aufzunehmen, so lebensnotwendig und dringlich, und dies nicht nur für die menschliche Welt. Jenes Falsche der Trennung, jener Makel ist nicht nur in einem, für viele unerklärlichen Leidensdruck spürbar, sondern auch in der Falschheit des klassischen Erkenntnisansatzes, der Trennung von "Innen" und "Außen", die in sich selbst zusammengehören und untrennbar in der Ebene eines höheren Komplexitätsgrades wirken, der sich in uns als Intuition spiegelt und im Erkenntnisblitz Eins sind: letztlich hält uns die Natur den Spiegel unserer eignen Mittel und Instrumente vor, so z.B, formuliert in Heisenbergs "Unschärferelationen", die die Berechnung einer zeitbedingten kognitiven Unfähigkeit sind.[28] Erstaunlich ist, daß sich in der Quantentheorie unser Fehlverhalten sogar durch die auf den Beobachter bezogene Wahrscheinlichkeit und die damit verbundene "unvollständige Kenntnis eines Systems" berechnen läßt.. Daß nämlich die Unwägbarkeiten des Subjekts sowie die Unkenntnis vom ganzen Kosmos mit in die Imponderabilien eines Experiments als Unbekannte, um das Experiment "genau" ausdrücken und berechnen zu können, einbezogen werden müssen. Aber diese Falschheit und Störung des Ganzen durch unkontrollierbare Eingriffe ist für die gesamte Natur und für die menschliche Gattung insgesamt gefährlich geworden, sie äußert sich ökologisch, atomar und in zunehmendem Maße auch im biologischen Informationssystem als Krebs, als Aids und als Neurose und Geisteskrankheit. Und ist letztendlich in diesem festgefahrenen Glauben an "Objekte", also an den SCHEIN eines Augenbildes gebunden, also im tieferen Sinn durchaus auch an eine drastische Übertretung des BILDVERBOTES. So wird im Hebräischen die Zahl Sechzig (Sechs = waw, das Und, Folge, Zeichen des Menschen, in der Zehnerreihe, der Ebene des Handelns) wie ein Kreis geschrieben, das Zeichen Samech, heißt Wasserschlange; es ist das teuflisch Schlüssige, die Evidenz des Kausalen und Rationalen, seine Verführung. Der Sinai: wo der Mensch Moses die Tafeln mit den "zehn Worten" empfing, ist Verführung und Wunder zugleich: Wiederholung der Paradiesmetaphern. Zum Blitz auf dem Berg nämlich kommt das höllische Tal unten: das Goldene Kalb, hebr. egel. Und egel heißt das Runde, der geschlossene Kreis. Der Fetisch Ratio also, abgezirkeltes Oberflächen-Bewußtsein, im Osten vormals zur Ideologie geronnen, zur konsequenten Idiotie der Abbild-Theorie in der Ästhetik! Die Warnung vom Sinai: "Du sollst dir kein Bildnis, noch irgendein Gleichnis" von Gott machen, gilt auch für die menschliche Wirklichkeit. Und nun sogar total, wir leben heute in dieser alles erfassenden Herstellung von Welt in der künstlichen Bilderwut, da das Medium, das die Botschaft ist diese Wirklichkeit nun nicht im Selbstschöpferprozeß eines einsamen Genies, sondern für die Massen herstellt, die Natur ersetzt, Ersatzdroge für alle ist, sie überschwemmt so die selbstgeschaffene "Wirklichkeit" mit Bildern. Alle sind bald in der gleichen Lage wie früher Künstler, ohne sich jedoch anstrengen zu müssen, und ohne jedes Leidrisiko. Und sie stürzen in jenes Bild, verschwinden darin. Aber - verschwindet nicht, genau wie der Autor im Buch, nun diese Zivilisation in der eigenen Erfindung? Erledigt die bisherige sinnliche, unmittelbare Realität? Mit Gewalt? Sich der wirklichen Existenz via technischer Entwürfe zu entledigen, ist das Ziel. Als wäre ein grausamer Autor am Werk, der Wälder, Flüsse, den eignen Körper und alle andern Menschen abschafft! Diese aber ist keineswegs die "ganze Welt", und wer sie allein spiegelt und von ihr ausgeht, bleibt in ihren Irrtümern gefangen, auch wenn er behauptet, sie und ihre Resultate zu "kritisieren". "Du sollst dir kein Bildnis machen!" Wie wahr so spät. Dabei ist es doch auch hier nur kreative oder eher vernichtende Weltflucht, wie bei Autoren oder Diktatoren. Man hatte schon früh den Alten sterben lassen, um selbst seine Stelle einzunehmen.
6 Das Bildverbot am Sinai ist das "zweite Ur-Wort", - nicht Gebot (im Hebräischen ist nur von "zehn Worten" die Rede,) es wird in der Pfingstbegegnung mit Jahweh, ohne Vokale geschrieben JHWH (Lichtblitz, Strahl, Lichtmetaphysik) auf dem Sinai Moses "gegeben": "Mathan Thora" Geben, Schenken der Thora, eine Art Strukturbild der Welt, nein, eigentlich ist der verborgene NAME Gottes in diesem Buchstaben-Geflecht enthalten. Und dieses Geflecht ist tatsächlich ein Wunder. Er ist die unaussprechliche Eins, der erste Buchstabe Aleph. Aleph besteht aus zwei Jod (Zahlenwert 10) und einem Waw (Zahlenwert 6), und ergibt 26. 26 aber ist der Zahlenwert des Gottesnamens JHWH (Jod: 10; He: 5; Waw: 6; He: 5). Die erste Hälfte (10, Potenz von 1) steht der zweiten gegenüber (5 UND 5, denn Waw, der Haken, heißt auch UND und ist das Zeichen des Menschen); der Mensch hat also durch seinen Fall, geteilt in Männlich und Weiblich, Gott verstümmelt und halbiert.[29]Frei von den zur Bildprojektion gewordenen Entwicklungskräften der "Realität" war auf dem Sinai wieder Erlösung möglich: Kontakt zur "Eins". Das "Bildverbot" geht ja nicht um äußere Bildnisse nur, sondern um die Abtrennung des Sichtbaren vom Wesen, um die inneren Formkräfte, die verstellt werden. Die Urschrift, Information und "Ur-Wissen", Form als Kenntnis (eines Subjekts) vom Verhalten in jedem Ding, jedem Tier oder Stern, Form, die die Welt baut, war der Bibel nach ursprünglich mit schwarzen Feuerbuchstaben auf weißes Feuer geschrieben (Atomfeuer, Kern und Schalen?), innerste Formung, die wirklich werden sollte. Zwei Eingrabungen: Herzschrift und Mündlichkeit, sie waren aber noch nicht sinnlich wahrnehmbar, nur als Gedankenanreger da. Das weiße Licht war der Baum des Lebens; das davon Abgespaltene, Gedeutete und menschlich Geschriebene hieß Baum der Erkenntnis, die schwarze Schrift; Moses gelang es in einer ersten, der wichtigeren Begegnung auf dem Sinai, zum weißen Licht, zu der verborgenen EINEN Tafel der ZEHN Ur-Worte vorzudringen. Alles, was aufgeschrieben werden kann, auf Steintafeln, Schiefertafeln, mit Tinte auf Papier, auch in der Genesis oder der hebräischen Thora, ist nichts als Deutung, ja, nur halbwegs Wahrheit, gar Fälschung, im besten Fall Metapher und Gleichnis; der Rest aber ist Schweigen. Im kleinen Blitz der Intuition und Ekstase nichts als ein Schimmer. Aber auch dieses ist höchst aktuell. Nicht einmal die so einfachen mikrophysikalischen Vorgänge, die in unserem Bildverständnis mal als "Teilchen" , mal als "Welle" etwa "eingedeutscht" "zur Sprache kommen", lassen sich einfangen, sie sind wie Träume, die am Morgen aus dem Wachzustand verschwinden; als wären sie noch unberührt von der Erbsünde des vom Einen abgetrennten Augenscheins (ein vor Gott sich Verstecken! "Adam, wo bist du?"), dem sogar die Buchstaben der Genesis ausgesetzt waren, wie die Kabbala meint. Ihr grobmaterieller Charakter sei eine Folge des Sündenfalls. Ebenso wie Adams Lichtgestalt eine materielle Haut bekam und die Erde nicht mehr durchsichtig war wie vor dem Fall. Der Himmel war dichtgemacht, das heißt abgetrennt von der Erde. So wie das Chaos der Augenblicke Jetzt sei auch die Buchstabenkombination der niedergeschriebenen Genesis noch verkehrt, erst beim Ende der Welt werde sie lesbar sein, heißt es in den Kabbala-Kommentaren. Ein Spiegel von Adams Fall in die dichtgemachte Götzen-"Wirklichkeit", so erscheint zwangsläufig alles gespalten und vermischt in Lüge, Wahrheit, Gut, Böse, also paradox und absurd, Sprachprozeß dessen, der ist und schon nicht mehr ist: der Mensch, der seither immer schon Abwesende. Aber auch ein paradoxes Problemhandeln im Möglichen leuchtet auf. Moses brachte nach der ersten Begegnung die mündliche, nicht geschriebene, er brachte die noch immaterielle Thora vom Sinai. Doch als er sah, was da unten das Volk tat, wie es um das Goldene Kalb, "egel", das Abgeschlossene, das Evidente tanzte, gab er dieses weiße Licht der ersten Thora nicht preis. Das Eine war gegenübergestellt dem Vielen, dem Volk, aber auch der Mannigfaltigkeit. 40 Tage war Moses in der Wüste gewesen, das Volk wartete, er kam nicht. Aaron, von dem das Volk endlich "ein Bild" verlangte, sichtbare Götter, nicht unsichtbare, etwas Greifbares, um aus dem Exil und der Wüste endlich ins Gelobte Land zu kommen, vertröstete, verzögerte Aaron "bis morgen"; doch als Moses nicht kam, da entstand das Goldene Kalb aus Ungeduld und Unglauben; Aaron warf zwar alles gespendete Gold (das, was den Leib der Frauen am schönsten macht, Glanz des Außen als Opfer) ins Feuer, um zu verhindern, daß daraus ein Götze entstehe, doch er war ohnmächtig, denn das Gold schmolz und die Form des Kalbes ("egel", das Runde) entstand ganz spontan, dieser fast "selbstgemachte Götze" der EVIDENZ. Eine Endzeit, wo sich Entwicklung enorm beschleunigt, war schon damals: dichtgemacht durch die Zeit, und der Ursprung verhüllt. Ein Aggregatzustand zugleich, Limit, Grenze. Der Tanz ums "Goldene Kalb" ist nicht etwa nur der Tanz um den "Mammon", erst die Tiefen- und Zahlengrammatik enthüllt, was das nur sichtbare "Kalb" wirklich IST: Festlegung nämlich im ausweglos Geschlossenen, "Runden"; Kalb "egel" (70-3-30 hat den gleichen Zahlenwert wie "agol", rund, 70-3-30. Eigentlich ein Akt der Verzweiflung). Dieses BILD als Simulation, dieser nur sichtbare und fix glänzende Ersatzgott des Eingeschlossenen, in täuschender Evidenz des "Glanzes"; bedeutet die Gefangenschaft im ausweglos Materiellen, Essen, Trinken, Schlafen, Beischlafen, "sich erfreuen" am Leben. "Erfreuen"; in diesem Kontext erscheint das sonst ungebräuchliche Wort "tsachek", 90-8-100, es bedeutet spöttisches, zynisches Lachen. An das, was geschieht, wird gar nicht mehr geglaubt, Leben wird nur ungläubig, zynisch angenommen, Freude, die keine Freude macht, Liebe, die keine Liebe sein kann, weil man an sie gar nicht glaubt, an gar nichts glaubt, in nichts Vertrauen hat, außer in die greifbare "Freiheit" und die Macht, das - "glänzende Gold". In allem, was man tut, fehlt die Tiefe, die eigene Begründung, der Grund, alles ist nur noch Schein, ohne dessen Wurzel, ohne den, der "fehlt". Im Augenblick des tiefsten Falls kommt dann Moses mit der immateriellen Tafel, ist erschrocken, wie wenig sie hierher in dieses Umfeld des tanzenden Volkes gehört; aus Zorn zerbricht er sie, und aus der gesammelten EINS in der Zehn, wird wieder Materie, quälende Un-Zahl; und es heißt, die Buchstaben seien wie himmlische Vögel in dem Augenblick des Zerbrechens der Tafel wieder davongeflogen. Beim zweiten Gang zum Sinai, um auf dem "tsur" (7-6-200) dem Felsen, ebenfalls FORM, die "neuen Tafeln" durch die STIMME zu erhalten, bestanden die Tafeln diesmal aus der Materie von "unten", auf sie gravierte Moses die zehn neuen Ur-Worte ein, menschengerechter, während die ersten Tafeln das Schöpfungsinstrument waren, ein zu gefährliches Geschenk.- Diesmal erhielt Moses nicht direkt die erste Zehn, sondern die Spaltung, wie in JHWH, in zwei Tafeln : (HWH) 5-6 (und)-5. Das, was wir lesen können, ist nicht etwa das Zahlen-Buchstaben-Geflecht des Gottes-Namens, sondern schon ein gespaltener Name, eine Deutung dieses Namens: JHWH (10-5-6-5), so wie zum ZWEITEN MAL die "Zehn Worte" in 2x5 - also auf zwei Tafeln erschienen. "Alle Deutungen sind Fehldeutungen" (George Steiner). Und das Indeterminationsprinzip stimmt auch da: Beobachtung ist unendlicher SPIEGEL in einer Metamorphose der Ereignisse, sie transformiert, ja, erschafft das Beobachtete nach der eigenen Gedankenform. Die Geburt des Schöpfers, des Autors dieser Welt wäre so erst mit dem Tod des Lesers gleichzusetzen, Hegels "Gott ist der Tod". So hieße auch innerhalb des Bildverbots, nach Roland Barthes, gut schreiben erst: "das Ausdrückbare unausgedrückt zu machen." Moses also zerbrach die erste Tafel, so daß die Ur-Worte nicht in der "richtigen Folge gegeben worden" waren, denn wären sie in der richtigen, göttlichen Reihenfolge gegeben worden, "könnte jeder, der sie liest, die Toten wiederbeleben und Wunder verrichten".[30] Ursprünglich waren sie aus schwarzem Feuer auf weißem Feuer, als Urlicht "gegeben", wir aber lesen sie nun nach unserem Verstande als äußere Bilder und Geschichten und gar Gebote, Handlungen und Anekdoten, dabei geht es um den Bauplan, die Struktur der Welt, und um Kommentare zur Weltformel. Wobei es auch hier, ähnlich wie bei christlicher Hermeneutik, am bekanntesten bei Dante, um einen vierfachen Deutungs-Sinn geht: 1.Um den buchstäblichen Sinn, 2.Den allegorischen Sinn, 3. Den tropologischen, und 4. Um den anagogischen Sinn (sensus mysticus); wobei letzterer den Zugang als intuitive Summe ermöglicht [31] Eigentlich also fällt auch der Thora-Leser, ja, die schriftliche Thora selbst unter das zweite Gebot des Bilder- und Sprachverbots.
7 Neben der mathematischen Formel und der Musik ist das Gedicht eine Möglichkeit, dem Wirklichkeitswahn und seinen Täuschungsmanövern zu entgehen. Jeder Poet ist durch seinen Einfall an das Noch-Nicht-Gewußte, den alles bedingenden apriorischen Grund (das Eine) gebunden. Es wird so möglich, sich jenem Glück zu nähern, das wir schon hier empfinden können, wenn das Netz der Zusammenhänge dicht ist und reich, schon im Undenkbaren an der Grenze unserer Vorstellung, ziemlich nahe in der Reihe des Zählbaren mit der Eins und dem Einen, nicht mehr getrennt und gespalten, sondern "heimgekehrt" zum Grund der eigenen Sagbarkeit. - Wäre eine Herausführung und Engführung durch WORTHÖFE und Sprach- BERÜHRUNG in "Zustandsräumen" möglich? Aber Berührung wird ja erst möglich in Zuständen zwischen Leben und Tod, in Sphären von denen wir durch den Körper getrennt sind. Manchmal ist es ein Gespräch mit den Toten, die auf einer Ebne mit mehr Bezügen erreicht werden können; das "Totengespräch", wie es Celan oder auch Heiner Müller sahen - erscheint so als zeitgemäßes literarisches, vielleicht heute als wichtigstes Genre. Es ist eine Wiederkehr des verdrängten Todes, die Kommunikation mit dem Undenkbaren, dem "exzentrischen" Bereich der Toten. Kommunikation über jene ganz anderen Medien, als die von uns gewohnten. Aber auch, und das ist das frappierend Neue: über unsere; in diese Grenzsphäre hineinreichende Geräte ( Tonband, Fernsehen, Computer); sie ermöglichen das Undenkbare, die äußerst schwierige Kommunikation mit einem anderen "Zeitfeld", nämlich mit den sogenannten "Toten", die sich dagegen wehren, nur als verwesende Materie angesehen zu werden. Es klingt, wie Science-fiction: die Toten bezeugen, daß es den Tod nicht gibt. Sie zeigen aber ebenfalls, daß wir uns kein Bild von jener fremden Sphäre machen dürfen und es auch nicht können. Das Geheimnis, das Verborgene muß gewahrt werden, es schützt sich aber schon durch ihre sprachentzogene Unerklärlichkeit selbst vor dem zweckrationalen Zugriff dieser Zivilisation. Der skeptische Physiker Ernst Senkowski meint, daß es bei diesen merkwürdigen "Durchsagen" schwierig sei, zu unterscheiden, welche dieser Entitäten "echt -autonom" und welche "hausgemachte Projektionen" sind, wobei es auch hier, wie beim Cyberspace, zu Wirklichkeit gewordene Virtualitäten sein könnten, daß es um höchst unheimlich "realisierbare Wahrscheinlichkeiten" von "Toten" geht: "Aber das Ganze zeigt sich zu komplex und zu kompliziert, als daß wir unsere Vorstellungen berechtigterweise übertragen dürften". Bild- und Sprachverbot? [32] Aber diese Art zu denken ist tabuisiert, mit Vergessen geschlagen. Muß der Verdrängung des Unvorstellbaren mit absurden INVERSIONEN geantwortet werden, mit Para- und Hypotaxen? ( Wahrheit sei, heißt es bei Celan, wenn das "größte der Schlachtschiffe an der Stirn eines Ertrunkenen zerschellt!") Und der Zweifel ist quälend, ob es nicht nur Annäherungen am Blindenstock der Feder sind! Die Geschichte ist zum Gespensterreich geworden - und wir, die Nachgeborenen, sind im späten Nachher ihre Phantome. Die Metapher ist ein vielleicht antiquiertes Sprungbrett, dahin zu kommen, wo wir uns jetzt schon befinden, hinüberzukommen in den historischen Nullbereich, wo womöglich eine Tür wartet. Rudolf Otto meint, es gäbe "synthetische wesentliche Prädikate" mit denen das, was er dann das "Numinose" nannte, das Schrecken (tremendum) einjagt,[33] doch noch umschrieben werden könnte; diese "Prädikate" könnten nur verstanden werden, "wenn sie einem Gegenstand als ihrem Träger beigelegt werden, der selber in ihnen noch nicht mit erkannt ist, auch nicht in ihnen erkannt werden kann, sondern der auf andere Weise erkannt werden muß."[34] Erstaunlich ist, daß heute einiges bisher nur Gedachte oder in der Literatur, vor allem in der Science-fiction, Vorweggenommene, aufs Unheimlichste und Paradoxeste real zu werden scheint; daß auch die jahrtausendealte Tradition wieder einströmt, wie im Traum stößt bei dieser Öffnung dem Subjekt das Gewesene zu, es wird wie frische Erlebnisse aufgenommen, und so Verdrängung schmerzlich aufgehoben, es entsteht nämlich "das umgekehrte Verhältnis zwischen realem Erlebnis und Erinnerung" (Freud), nachdem das Brett vor dem Kopf, diese Wand der Ideologien gefallen ist, Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit sich auf das Schönste - und auf das Gefährlichste treffen, seither bedeuten auch einige der alten , "abgelegten", ja, sogar verfemten Gefühle und Bücher wieder etwas; erstaunlich ist auch: vieles bisher Abgelehnte, Verdrängte, Diskriminierte und sauber mit der Vernunft der Bilder und Begriffe "Eingeordnete" kehrt wieder; oft eine Wiederkehr, die Grauen auslöst; denn eine Zeit des Subjekts scheint noch nicht ganz "real", jedoch in seiner furchtbaren Unreife und Irrationalität täglich schon erkennbar, gefährlich aufgebrochen auch in primitiven Gemütern: Wiederkehr des Verdrängten bis hin zu den "Instinkten", bis hin zum blutigen Bürgerkrieg.
8 Leerer Ort der "Absence", ein Vakuum kann auch so "gefüllt" werden. Das Entscheidende aber ist, daß sich nun im Posthumen der Geschichte und der Ideologien Neues enthüllt, überraschend hinter dem zerbrechenden falschen Bild mehr und mehr "in der Gefahr" das einsam "Rettende" wachsen könnte: das Negativ zur Wirklichkeit durchaus im aufbauenden, nicht nur im zerstörerischen Sinn wie bisher in der ideologisierten Revolte. Für Thomas Pynchon, den Joyce meiner Generation, ist es eine "höhere Sinn-Zone" (in seinem Roman "Das Ende der Parabel", dt.1981) und sie ist nur erreichbar, wenn wir die okzidentale Ego- und Todes-Zone zum eigenen Sprungbrett machen und so nun "hinüber" kommen, die eingebildete Todeszone, die Krankheit dieses Ego, überwinden. Reinald Goetz spricht in seinem neuen dokumentarischen Monster-Roman von der "Authentizitätsfalle", es ist die aufgebrochene Grenze zwischen Leben und Schreiben, wo die Wortwände sowohl zum Traum als auch zur Tatsachenwelt sehr dünn werden und zu psychischen Schäden führen können; die Gefahren einer Wiederkehr des Verdrängten sind durchaus nicht nur sozialer, politischer und militärischer Art, sie erfassen die Ästhetik und Kunst genauso wie die ungewohnten Grenzgänge, okkulte Hysterie, mediumistische und andere Psychosen. Dabei scheint es so, als gäbe es diese Gefahren gar nicht. Sie ist kaum erkennbar "im Herzen der Unmöglichkeit", im Indifferenzpunkt dieser Gefahren, wo jetzt die Kluft zwischen jener geschilderten "Ausnahme" des Todes und dem "Normalen" des "Lebens" so groß geworden ist, die zugleich aber durch die Immaterialisierung der Welt, das tiefe Eindringen der Geräte ins Gewebe des Kosmos und auch in den Tiefen des Unbewußten, zueinander streben, wie bisher noch nie; man könnte von einem Thanatovirus sprechen oder auch vom kollektiven Todestrieb. Doch das Thema ist brutaler, die Veränderung des Todes ist längst geschehen; und es gehört zu jenem Verdrängten, daß das Grauen der Geschichte, Hiroshima, der Gulag der Holocaust etwas aufgebrochen hatten, das die bisherige Geschichte und Gewohnheit transzendierte und immer noch andauernd transzendiert, und nicht etwa, daß der Fall des ideologischen oder auch philosophischen Absoluten nun das Zufällige, Triviale, "Einzelne, Beschränkte, Irdische" und Kleine, wie es in einem MERKUR-Aufsatz (Anathema. Der Holocaust und das Bildverbot)[35]kürzlich hieß, wie es auch so bekannte Theoretiker wie Rorty oder Marquardt verkünden, wieder Trumpf sein soll - und alles einfach so ist, wie es ist! Es geht im Merkur-Aufsatz um Spielbergs "Schindlers Liste" und um den gefährlichen Versuch, dem Holocaust das Unfaßbare zu nehmen, ihn zu "vermenschlichen", ihn vergleichbar und einordenbar zu machen. Nolte läßt grüßen. Dabei ist doch die Rede von den radikalsten historischen Ereignissen, die nochmals jene auch in der Geschichte der Wissenschaft (und Geschichte der Literatur und des Denkens seit Baudelaire, Mallarmé, Nietzsche, Mauthner und Hofmannsthal) bekannte bildliche und sprachliche Unfähigkeit, das was ist, darzustellen, kurz gesagt: das Objekt der Sprachlosigkeit und Unfaßbarkeit ist auch im historischen Raum und brutal wie bisher noch nie wirklich geworden, so nun das Unheil in die Welt gestellt, was im Denken voller Furcht und Zittern vorweggenommen worden war. "Bildverbot" ist dafür nur eine historische Metapher, auch hier in diesem Essay. Anathema ist dabei nicht nur das Verbot, aus der Einsicht, daß das Unfaßbare Eine, das ja in "Alles" hineinwirkt, kein Gesicht haben kann, sondern nun negativ, daß die Gott ersetzende Geschichte zum Unfaßbarsten fähig ist, das jede Darstellbarkeit überschreitet. Das Verbot "Gott" und nun den absolut negativen Gott in sinnlich-stofflicher Gestalt darzustellen, wie es für den alten Gott die byzantinische ikonoklastische Synode vor 1200 Jahren verordnet hatte, wie es (völlig zu Recht) der Islam und früher die Hebräer verlangt hatten, oder gar "andere" sinnliche, also falsche Bildgötzen und Fetische einzuführen, ist nur die Extremform der Anmaßung; nein, nicht nur "Gott" oder der Holocaust als unfaßbares Ereignis, sondern alles Existierende ohne Unterschied wäre, zumindest ironisch, mit dem Verbot zu belegen: sie mit bisherigen Mitteln, vor allem im Fernsehen darzustellen, bis hin zum letzten Grashalm ist Nichts darstellbar, weil das sprachgeprägte Bild und seine Logik eine Art Fiktion, Schein, Trug sind, Begriffe möglicherweise einer bestimmten Herrschaftsform (des Äquivalentes Ware und Geld) auf der Erde entsprechen, wie schon Adorno vermutet hat: "Die formale Logik war die große Schule der Vereinheitlichung. Sie bot den Aufklärern das Schema der Berechenbarkeit der Welt ... dieselben Gleichungen beherrschten die bürgerliche Gerechtigkeit und den Warenaustausch .... die bürgerliche Gesellschaft ist beherrscht vom Äquivalent. Sie macht Ungleichnamiges kompatibel, indem sie es auf abstrakte Größen reduziert. Die Aufklärung wird zum Schein, was in Zahlen, zuletzt in der Eins nicht aufgeht; der moderne Positivismus verweist es in die Dichtung."[36](Äquivalenten-Geld-Ware-Lebensform als einziger Retter in der Not im Tabula-rasa-Zustand nach 89?) Dabei sind jene drei vorhin erwähnten negativen historischen Ereignisse, für die nur noch negative Theologie oder auch negative Poetik (wie bei Paul Celan) und das Schweigen an der Grenze unserer Vorstellung angemessen wären, möglicherweise eine drastische Rücknahme: Folge der mörderischen Zivilisationsmaschine, Folge einer dem Wesen der Natur und des Menschen diametral entgegengesetzten, machtbedingten Bild- und Sprachlogik, die nur auf der Zahl und dem Geld beruht. Die Kritik dieser Auffassung, daß diese drei Ereignisse Resultat einer infernalen Zivilisationsmaschine seien, mit dem Gegenargument, so werde die Verantwortungsfrage nivelliert, ist unter diesem Gesichtspunkt eines totalen Sturzes bisheriger Geschichte zum Ende hin, nicht haltbar, da die Täter, als Mitverantwortliche dafür, erstrecht zu Schuldigen werden, allerdings mit einer Schuld, die juridisch nicht meßbar ist, aber das Stigma einer riesengroßen Kluft zwischen banalem Bewußtsein und apokalyptischer Täterschaft trägt, die einer fast alttestamentarischen Verdammnis gleicht. Diese Zivilisation hat sich selbst ad absurdum geführt. Ad absurdum geführt wird freilich auf theoretischer Ebene diese Trennung zwischen Bild und Zahl, daß die bildliche Anschauung und die Sprache auch in der neuen Physik ad absurdum geführt wird, gewohnte Worte und Bilder sind unfähig, das Geschehen im subatomaren Bereich auszudrücken. Für die Bewegung der Partikel im Atom erscheinen in der Beschreibung "Zustände", als wären die Partikel mal Teilchen, mal Welle, da solch eine sprachliche Beschreibung das Unverständliche, uns Unzugängliche "anschaulich" machen will. Bilder, die als "Ort" und "Impuls" des Elektrons sich gegenseitig stören, wobei zu Paradoxem Zuflucht genommen werden muß: diese Störung wird als "Produkt der beiden Ungenauigkeiten" in Formeln erfaßt und Plancksches Wirkungsquantum genannt.[37]Einzig Kunst und Poesie wären bei einer Selbstverwandlung ihrer metaphorischen Mittel zu einem Brückenbau über den Abgrund fähig. Die Spur der Schrift ins Offene des Augenblicks beim Schreiben etwa, da, wo Zeit, die noch nie war, sich als überraschendes Fallen aus dem Unbekannten zur Inspiration verdichtet, kooperiert auch mit dem Wissen der Quanten-Logik, einer neuen Wissenschaft vom JETZT, die, wie auch eine neue Kunst, erst im Entstehen ist. Dies im Schreiben, in der Meditation, im Gebet, in der Liebe und in der Phantasie und in den besten Stunden vieler Einzelner, ein Raum, wo neue Wirklichkeit enstehen wird. Im Raum der sogenannten "Wirklichkeit" aber: wo wir vorerst weiter lebend, alles alltäglich tun, ohne es zu wissen, was wir tun, eher der Vergangenheit und der alten, einer andern, nicht mehr existierenden Zeit angehörenden Gewohnheit zugewandt, und kaum der Zukunft, diese Angst im sozialen Bereich, verschleppt eine alte Krankheit, die die vorhin geschilderte Kluft und die gefährliche Lage des Planeten erst tagtäglich ermöglicht, als wäre er ein unabwendbares Schicksal; aber "man kann sogar mit schlichter Vernunft, eigentlich mit dem Alltagsverstand sagen, was geschehen müßte... Es ist also nicht so, daß ein besonders gescheiter Mensch kommen müßte, um Manger- und Steuerungsaufgaben zu lösen... daran liegt es nicht, sondern es liegt letzten Endes daran, daß unsere seelische Verfassung so ist, daß jeder von uns an irgendeiner Stelle und viele von uns an vielen Stellen das einzig Heilsame abweisen, weil jeder Angst hat, daß ihm etwas passieren könnte..." [38] Dabei ist genau hier, wo das Wagnis des Subjekts, auch das der Liebe beginnt, die neue U-Topie einer "Gegenmacht" zu suchen, nachdem die alte des erstarrten Ego, der Anmaßungen der Logik und der Sprache, die sich mit Ideologie verband, weltweit gescheitert ist. Und genau hier wäre "Allegorie" auch im Sinne von Walter Benjamin zu suchen: als Zeichen, daß das Versagen der Sprache angesichts des Unfaßbaren dieser Abgründe, auch der Abgründe des uns unmittelbar Umgebenden, langsam im subjektiven Erleben als eine "Zeitmitschrift" sichtbar wird, aber die " Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt"(Goethe).
[1] z.B. 1974: "Sozialistische Realismuskonzeptionen. Dokumente zum 1. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller" Hg. H.-J. Schmitt und G. Schramm, Frankfurt/ Main; 1973: Die Expressionismusdebatte, Hg. H.-J. Schmitt, Frankfurt/Main . In einer subtilen Version hat Georg Lukács sie vertreten, vor allem in seiner "Ästhetik, 1-4, Neuwied 1963, 1972, III, S. 75 "Grenzfragen der ästhetischen Mimesis", mit der unvermeidlichen "Abbildtheorie" und der "Objektivität der Außenwelt" als vom Menschen unabhängige mechanische "Wirklichkeit", eine Art Ersatzgott, dem sich alles zu beugen hatte. Das Schöpferische wird so zu einem Derivat, das Ich ausgeklammert. [2]Jean-François Lyotard, Das Erhabene und die Avantgarde, in: Merkur, 2/1984, S. 151. Vgl. auch Sigrid Schade, 1990: Inszenierte Präsenz. Der Riß im Zeitkontinuum, in: Zeit-Zeichen, Hg. G.Christoph Tholen und M. O. Scholl, Weinheim , S. 211ff. Vor allem an Monet, Cézanne und Newmann wird diese Erzeugung des gesicherten Augenbildes, die Projektion von "Anwesend-Sein" analysiert und als Sicherheitsbedürfnis bei der traditionellen Bild-Mache entlarvt. Schon Hume, dann Kant, heute C.F. v. Weizsäcker haben die Fiktion des gesicherten Zeit-Kontinuums im voranrückenden Jetzt gezeigt.[3]Vgl. Lyotard, Fußn.7 [4] André Müller, Vom dunklen Tor. Besuche bei Ernst Jünger, DIE ZEIT Nr. 37, S. 68: "Über das Glück im Todesaugenblick wollte ich mit Ernst Jünger sprechen." Und Karl Heinz Bohrer, 1978: Ästhetik des Schreckens, Frankfurt ; und 1981: Plötzlichkeit. Zum Augenblick des Ästhetischen Scheins, Frankfurt.[5] Vgl. dazu meinen Aufsatz, Delta t und Kabbala, "Literaturmagazin" Nr. 16, und "Literaturmagazin" Nr. 27: Widerstand der Ästhetik im Anschluß an Peter Weiss; Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, S. 14. S. 31, ff. Dann vor allem Rüdiger Safranski, Das Theodizeeproblem der Kunst, S.77-81.[6] Es gibt auch den umgekehrten Prozeß, die primitive Angst vor dem BILD, dem Kunstwerk, das zum Halluzinieren führen kann. Von Aby Warburg wird es erzählt, "dessen Schaulust sein Leben lang vom jüdischen Bilderverbot und seiner Bilderfurcht durchkreuzt wurde, überträgt diese Vorstellung auf das Kunstwerk" ( Sigrid Schade, a.a.O. S. 216). Auch manche Indianer lassen sich nicht fotografieren, weil man damit ihre "Seele" forttragen könnte.[7] Beim Überschreiten der Lichtgeschwindigkeit, was theoretisch möglich ist und praktisch im Denken, in der Gravitation, in sogenannten Tachyonen-Prozessen geschieht, lösen sich Raum und Zeit auf, Materie wird zu Licht, Zeit ist umkehrbar und bringt wie in der Gedächtnistätigkeit die angeblich erledigte Vergangenheit wieder ins Leben zurück. Die Nachrichten, daß diese "U-Topie" näher rückt, häufen sich, nicht nur in der Zeitmaschinen-Prosa von Science-fiction-Romanen und esoterischen Engel-Forschungen. Vgl. DER SPIEGEL Nr. 21, 1994, S. 229: Wackelt Einsteins Weltbild? Auch Stephen W. Hawking, 1988: Eine kurze Geschichte der Zeit, Reinbek. Und: Zeit-Zeichen, a.a.O. Eine lockere populäre Darstellung bei P. Watzlawick, Wie wirklich ist die Wirklichkeit. Wahn, Täuschung. Verstehen, München 1976,1978, S.205-237.[8] S. Schade a.a.O. S. 212. Denn diese Imagination wird in jedem Augenblick aufgebrochen durch das "Nichts" eines Abwesendseins zwischen Nichtmehr und Noch-Nicht. Walter Benjamin hat darin den messianischen Moment gesehen. Ebenso die Kabbala (Scholem a.a.O.)[9] Rüdiger Safranski a.a.O. S. 73ff. [10] Eine schöne Analyse des Nichts anhand von Celans Gedichten finden wir bei Klaus Reichert: Hebräische Züge in der Sprache Paul Celans, 1988: Hamacher/ Menninghaus: Paul Celan, Frankfurt/ Main, S. 167. Ayin beginnt wie emeth (Wahrheit), das dem Golem auf der Stirn stand, mit einem Aleph (der Eins und stellvertretend für Gott: Aleph ), der Golem wurde zu leblosem Lehm, nachdem das Aleph getilgt wurde, blieb meth, was Tod heißt. So bleibt auch ohne Aleph im Wort Ayin nur yin, das Neinsagen, total Negative, Schadenzufügende. Das Nichts ist also etwas Anderes als einfach Vakuum, Verneinung, es ist nämlich gebunden an den unaussprechlichen geistigen Einen; nur wer ihn ausklammert, bleibt im Negativen, Selbstzerstörerischen, nimmt Schaden. [11]George Steiner, 1990: Von realer Gegenwart, München, Wien, S. 162/163[12]Gershom Scholem, 1981: Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Frankfurt/Main, S. 327[13]Rudolf Otto, 1979: Das Heilige, München . In diesem Bereich befinden sich auch Arbeiten wie die von Karl Heinz Bohrer über "Plötzlichkeit" und " Schrecken" (a.a.O.) - nur ist sorgfältig auf Reduktion ins "Fachliche" gesorgt, als wäre da eine ontologische Zensur oder ein Berührungstabu wirksam geworden. Ähnliches geschieht mit vielen Arbeiten über den Tod. Etwa in: 1989: Armin Nassehi und Georg Weber, Tod, Modernität und Gesellschaft, Köln. Mit ausführlicher Bibliographie, wo aber z.B. die weiterführenden Erfahrungen klinisch Toter, die R.A. Moody untersucht hat, fehlen. Ebenso die parapsychologischen Ergebnisse und die der sogenannten Transkommunikation. Die modernen Parallelen zu den schon in der Bibel beschriebenen okkulten Phänomenen.[14]a.a.O.[15] Vgl. Eckard Nordhofen, Flüchtige Materie. Über den verdeckten Zusammenhang von Ästhetik und Negativer Theologie, Merkur 1/1992, S.36- 38.[16]Botho Strauß, 1992: Beginnlosigkeit, München, Wien , S. 18.[17] Paul Virilio, 1989: Der negative Horizont, München , Wien.[18]George Steiner a.a.O. S. 151. [19] Vgl. dazu Gershom Scholem, a.a.O. S. 162, 167ff. [20] Vgl. Friedrich Weinreb, 1978: Der göttliche Bauplan der Welt, Bern, S. 310. Doch genau aus der Entdeckung der Proportionen in der Schöpfung entstand auch die Wissenschaft: Pythagoras: "... daß gleichgespannte schwingende Saiten dann harmonisch zusammenklingen, wenn ihre Längen in einem einfachen rationalen Zahlenverhältnis stehen. Die mathematische Struktur, nämlich das rationale Zahlenverhältnis als Quelle der Harmonie - das war sicher eine der folgenschwersten Entdeckungen, die in der Geschichte der Menschheit überhaupt gemacht worden ist." Werner Heisenberg, 1979: Quantentheorie und Philosophie, Stuttgart , S.95.[21] Wichtig scheint mir dazu der Hinweis Werner Heisenbergs, daß "Beglückung, die der Mensch beim Verstehen, d.h. beim Bewußtwerden einer neuen Erkenntnis empfindet", auf einer "Entsprechung... von präexistenten innern Bildern der menschlichen Psyche mit äußeren Objekten ... beruhen". (a.a.O. S. 109). Das sei ein "Aufleuchten des Schönen in der exakten Naturwissenschaft", wo ebenfalls wie in der Inspiration "der große Zusammenhang erkennbar wird, noch bevor (er) in den Einzelheiten verstanden...rational nachgewiesen werden kann." So geschah es z.B. bei Newtons epochaler Entdeckung.[22]Vgl. C.G.Jung, 1987: Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge, in: Gesammelte Werke, Band 8, Olten S. 457-553. [23]Laotse, 1957: Tao Te King. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm, Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf, Köln.Lao Tse, 1981: Das Buch vom rechten Wege. Lau Dse Dau Dö Djing ins Deutsche übertragen und mit einer wörtlichen Übersetzung, einer Einleitung und Erläuterung versehen von Jan Ulenbrook, Verlag Ullstein, Frankfurt a. Main, Berlin, Wien. [24]Laotse, Tao te King, 11, a.a.O. S.51.[25] Die Flüchtigkeit des Details bei den Impressionisten, bei Monet z.B. versucht ebenfalls eine "verzögernde Übersetzung zwischen der Arbeit des Auges und dem Wissen um das Dargestellte", das Resultat: ungeheure Irritation. Es entsteht eine Art Zeit-Spalt durch einen "Aufschub des Verknüpfens von Vorstellungsbild und Begriff", dieser Aufschub macht den Zeitschock möglich, das Unheimliche, wo alles aus dem Namen fällt, eigentlich auch aus dem Bild. Vgl. S. Schade a.a.O. S. 224.[26] Vgl. dazu vor allem Gershom Scholem, a.a.O. Und Friedrich Weinreb, a.a.O. Und: Friedrich Weinreb, 1979: Buchstaben des Lebens, Freiburg, 92ff.[27] Jürgen Egyptien erinnerte mich in einem Brief wieder an meine alte Vorliebe für Hans Kaysers "Harmonia Planetarum" und den Punkt 0/0, den Grund aller Dinge, der außerhalb der faßbaren Schwingungs-Welt liegt, diese hervorbringt. Egyptien beschrieb auch eine Querverbindung zu H.H. Jahnns "Fluß ohne Ufer", wo es heißt: "Im harmonikalen System ist ER, der Ursprung, die unauffindbare Null" Und "Gott ist nirgends, sein Gleichnis ist die Null." Eine Art "negative Epiphanie."[28] Vgl. Karl Popper, Logik der Forschung , S. 168. Der Physikerphilosoph C.F. von Weizsäcker schreibt sogar "Vielheit ist letztlich nicht wahr. Der Begriff eines isolierten Objekts ist...nur eine Annäherung, und eine schlechte. Mathematisch gesprochen enthält der Hilbertraum eines zusammengesetzten Objekts nur eine Menge vom Maße Null von Zuständen, in denen eine bestimmte Zerlegung dieses Objekts in Teile real ist... Fakten sind irreversibel, aber Irreversibilität in einem isolierten Objekt bedeutet nur mangelnde Kenntnis der Kohärenz (der `Phasenbeziehungen`) der Wirklichkeit... Objekte (sind) nur Objekte für endliche Subjekte, d.h. für Subjekte, denen gewisses mögliches Wissen fehlt." [29] Vgl. dazu die Darstellung in der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo. In meinem Aufsatz, Die Farben des verborgenen Namens, "Literaturmagazin" 25, S. 123, habe ich sie zu analysieren versucht. Und in einem dreibändigen Opus als einer der Mitautoren den Einfluß der Kabbala bei Michelangelo anhand der Reproduktionen zu dokumentieren versucht, 1989,1990, 1991: Der neue Michelangelo, 3 Bände, Luzern .[30]Scholem a.a.O, S. 56.[31] Vgl. dazu E.R. Curtius, 1954: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern.Scholem a.a.O., S. 74, 79ff. Über den vierfachen Sinn der Thora, der noch ein fünfter Sinn, nämlich der Zahlenwert hinzugefügt wurde, schreibt Scholem ausführlich. Die Schechinah wurde auf Erden eingekleidet in "PaRDeS: Peschat (Wortsinn), Remes (Allegorie), Derascha (talmudische und agadische Deutung), Sod (mystischer Sinn). Die Erzählungen der Thora sind nur das erste, äußerste Gewand. [32] Ernst Senkowski, 1990: "Instrumentelle Transkommunikation", Frankfurt/ Main, 222ff.[33]Numinos (von numen, Namen, aber schon Kant nannte es "Noumen" im Gegensatz zu "Phänomen", bei Zinsendorf sensus numinis, bei Calvin divini numinis).[34]Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Raionalen," München 1963[35]Siegfried Kohlhammer, Anathema. Der Holocaust und das Bildverbot; Merkur, Juni 94, S 501. Dazu auch mein Aufsatz, Die nachzustotternde Welt; in: Sinn und Form 6/1993, S. 919 ff.[36]Horkheimer/Adorno: 1969: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, Main, S. 13.[37] Vgl. Dieter Schlesak, Die Farben des verborgenen Namens; "Literaturmagazin" Nr. 25, S. 134.
[38]C.F.von Weizsäcker, 1977: Im Garten des Menschlichen, S.543. Und: Verf. 1991: Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, Reinbek, S. 81.