Die Zweifel schwinden

Die Zweifel schwinden

Foto by Gerd Altmann / pixelio.de

Dreju saß bereits an einem Tisch in der Kneipe, als ich eintrat. Mein Herz schlug wie wild, als ich ihn sah. Ernst schaute er mich an und begrüßte mich ruhig. Er rückte mir den Stuhl zurecht - ganz Gentleman wie immer.
Wir schauten uns nur an. Keiner sagte etwas, keiner traute sich, den Anfang zu machen. Ich rief den Wirt und bestellte mir eine Cola, keinen Alkohol mehr, ich musste einen klaren Kopf bewahren.
Endlich brach Dreju das Schweigen und sagte:"Was ist nur mit uns passiert? Ich verstehe das alles nicht!"
Mit großen Augen sah ich ihn an. Wie konnte er nur nicht verstehen? Was gab es da, was unklar war? Misstrauisch schaute ich ihn an.  "Bitte Cherie, erkläre mir, was mit uns passiert ist. Es war doch alles so schön. Und jetzt, auf einmal, soll alles vorbei sein?" Erstaunt bemerkte ich, als ich ihm in seine ausdrucksvollen Augen sah, die mir immer seine Gefühlslage verrieten, dass er die Wahrheit sprach. Er verstand es wirklich nicht! Er kapierte nicht, dass mir sein Geständnis den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, mir die Basis für eine Beziehung mit ihm genommen hatte. Er verstand nicht, was so schlimm daran war, dass er zuhause eine Frau hatte, die ihn liebte und auf ihn wartete. Und gleichzeitig noch eine Geliebte hatte, die ihn ebenfalls liebte und auf ihn wartete.
Wie konnte das sein?
Ich hatte total vergessen, welchen kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund er hatte. In seinem Land war und ist Polygamie weit verbreitet, es ist nichts Anrüchiges daran, eine Nebenfrau zu haben. Dreju wusste zwar, dass diese Fom des Zusammenlebens hier nicht üblich, ja sogar verboten ist. Verstehen konnte er es jedoch nicht. Als er mir am Telefon sagte, dass er sich auf so ein Dreierspiel nicht einlassen würde, da sagte er das nicht, weil er mich verstand, sondern weil er es aus der Sicht des Mannes, der das Recht hatte, mehrere Frauen zu haben, sah. Er würde nie eine Frau mit einem anderen Mann teilen, das war ein Ding der Unmöglichkeit. Andersrum wurde ein Schuh draus. Schließlich war er der Mann! Bis dato hatte ich nicht bemerkt, dass Dreju ein Traditionalist war. Er kam mir immer sehr modern vor, ließ mich nicht spüren, dass er zwischen Mann und Frau Unterschiede machte. Er hatte bis jetzt noch nie den Versuch unternommen, mir in irgendeiner Art und Weise Vorschriften zu machen, hatte mich bis jetzt noch nie kritisiert. Wir liebten uns nicht nur, wir schätzten uns auch als Gesprächspartner auf gleicher Augenhöhe. Er ließ meine Meinungen gelten, hatte diese bis dahin noch nie als "Weibergewäsch" abgetan. Und nun das!
Als ob er meine Gedanken erraten hätte, sagte Dreju:"Ich weiß, dass Dich meine momentane Situation stört. Aber was ist denn schon so schlimm daran? Ich lebe von meiner Frau getrennt. Wir schlafen nicht mehr miteinander. Ich lebe mein Leben - mit Dir. Ich bin nur noch zuhause wegen meiner kleinen Tochter. Sie braucht mich. Ich will sie auf gar keinen Fall verlieren. Das wird aber der Fall sein, wenn ich unbedacht handle und ausziehe. Dann darf ich sie nur noch alle 2 Wochen sehen. Das ist nicht fair. Warum sprechen in Deutschland die Gesetze die Kinder meist den Müttern zu? Das verstehe ich nicht. Bitte Beloti, glaube mir, sobald ich eine Lösung gefunden habe, wie ich meine Tochter behalten kann, dann stehe ich ohne Wenn und Aber zu Dir. Ich weiß, dass die europäischen Frauen mit der Polygamie nicht zurecht kommen, dass es hier sogar verboten ist. Verstehen kann ich das nicht. Warum ist hier nicht erlaubt, dass jeder so lebt, wie er möchte? Ich versuche es zu tolerieren. Wenngleich es mir schwer fällt. Cherie, ich liebe Dich sehr, Du bist die einzige Frau, der ich das sage, ich möchte nur mit Dir allein zusammen sein."
Seine Worte gingen nicht spurlos an mir vorbei. Noch immer hatte ich Zweifel, was seine Einstellung des Zusammenlebens mit Frauen gegenüber betraf. In einem Punkt jedoch hatte er mich tief getroffen. Es war seine Tochter, die mich so berührte. Die Motivation, seine Tochter nicht zu verlieren, konnte ich nur zu gut verstehen.
Was hatte ich nicht schon alles gemacht, damit meine Kinder und ich ein ruhiges Leben zusammen hatten? Damit ich sie nicht verlieren würde? Ich war sogar so weit gegangen und hatte sie vor Jahren gegen das geltende italienische Gesetz ohne das Einverständnis ihres Vaters außer Landes geschafft. Ich arbeitete und arbeitete, nur damit es den Kindern an nichts fehlte. Und ich diskutierte mit Dreju, damit er und meine Kinder mehr zueinander finden würden und die Kinder sich wohl fühlen konnten, auch wenn ich nun in einer Beziehung lebte. Das Wohl meiner Kinder lag mir doch genauso am Herzen wie ihm das Wohl seiner Tochter.  Durfte ich ihm da böse sein, wenn für ihn die Nähe zu seiner Tochter so wichtig war? Durfte ich verlangen, dass er aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung auszog und er und seine Tochter dann mit dem üblichen Besuchsrecht zurecht kommen mussten? Natürlich kann man jetzt dagegen halten, dass er nichts mit mir hätte anfangen dürfen, solange seine Situation noch nicht geklärt war. Doch fragt Liebe, ob sie geschehen darf? Ist man nicht manchmal machtlos und es passiert einfach?
Mein Widerstand bröckelte, meine Fassade, die ich mir aufgebaut hatte, schwand. Seine Worte trafen mein Herz. Meine Liebe gewann Oberhand, mein Verstand, der mir immer noch sagen wollte, dass ich besser die Finger von Dreju lassen sollte, wurde immer leiser.
"Und wie soll das künftig mit uns funktionieren?" fragte ich ihn leise.
Er hatte gewonnen. Er wusste es sofort. Strahlend nahm er mich zärtlich in den Arm und küsste mich. Dann begann er mit Feuereifer zu erzählen.

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