“Auf die Gefahr hin, von den aufkommenden libertären Kräften in Grund und Boden gestampft zu werden, möchte ich aus einem Vortrag zitieren, den ich 1995 an mehreren deutschen Universitäten gehalten habe und der mit der Zeit immer aktueller geworden ist. Der Titel dieses Vortrages lautete: „Die ignorierte Katastrophe – Plädoyer für eine Ökodiktatur“.
„Unser Leben wird sich in absehbarer Zeit dramatisch verändern: im politischen, im sozialen, im medizinischen Bereich ebenso wie im kulturellen Miteinander. Die Phänomene der Endzeit werden unseren Alltag sozusagen auf natürliche Weise durchdringen, auch wenn das Wort natürlich in diesem Kontext aberwitzig anmutet. Aber es ist nun einmal ein Naturgesetz, dass auch einstürzende Systeme ihre Dynamik besitzen. Der von den Menschen längst eingeleitete Ökozid geht an den Nerv allen Lebens. Wir sehen also: man muss gar nicht radikal denken und handeln, um zu radikalen Ergebnissen zu kommen. Für gewöhnlich reicht die pure Ignoranz einer Gefahr, um sich ihr unversehens gegenüberzusehen.
Am 23. Mai 1977 gab der amerikanische Präsident Jimmy Carter Wissenschaftlern und Regierungsstellen den Auftrag, eine Studie zur Umweltproblematik zu erstellen. Der Bericht sollte auf der Basis von absehbaren Entwicklungstrends die politische Planungsgrundlage für eine ökologisch orientierte Politik liefern. Die Studie mit dem Titel „Global 2000“ kommt in ihrem Vorwort zu folgendem Ergebnis:
„Die Schlussfolgerungen deuten für die Zeit bis zum Jahre 2000 auf ein Potential globaler Probleme von alarmierendem Ausmaß. Wenn die Trends verändert und die Probleme verringert werden sollen, werden weltweit mutige und entschlossene neue Initiativen erforderlich sein. Die Fähigkeit der Erde, Leben zu ermöglichen, muss geschützt und wiederhergestellt werden. Grundlegende natürliche Ressourcen – Agrarland, Fischgründe, Wälder, mineralische Rohstoffe, Energie, Luft und Wasser – müssen erhalten und der Umgang mit ihnen verbessert werden. Eine weltweite Veränderung der Politik ist erforderlich, bevor die Möglichkeiten für wirkungsvolles Handeln immer stärker eingeschränkt werden. Angesichts der Dringlichkeit, Reichweite und Komplexität der vor uns liegenden Herausforderungen bleiben die jetzt auf der ganzen Welt in Gang gekommenen Anstrengungen allerdings weit hinter dem zurück, was erforderlich ist. Es muss eine neue Ära der globalen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Verpflichtung beginnen, wie sie in der Geschichte ohne Beispiel ist.“
Die globale Zusammenarbeit, welche in dem Bericht an den Präsidenten so vehement gefordert wurde, lässt weiter auf sich warten. Die Vorstellung, die westlichen Industrienationen (übrigens allesamt Demokratien) als die Hauptverursacher der Ökokatastrophe, würden alles tun, um sich in diesem Sinne zu renovieren, ist absurd. Wie geht man mit einer Spezies um, die sich derart blind in den kollektiven Untergang wühlt und dabei alles andere Leben aus dem Gleichgewicht reißt? Lässt man sie gewähren oder versucht man sie mit Gewalt daran zu hindern, ihren tödlichen Wahn auszuleben? Die Ökodiktatur wäre so ein Versuch. Man möchte sie sich fast wünschen.
Demnächst haben wir ein weltumspannendes Elend von unvorstellbaren Ausmaßen zu konfrontieren. Biologisch gesprochen sind wir dabei, aus der Zeit der Bäume in die Zeit des Gestrüpps zu wechseln. Das Problem ist, dass unsere Psyche angesichts der niederschmetternden Botschaften dich macht, unsere Aufnahmefähigkeit und unser Empörungspotential sind schneller erschöpft, als es der Sache dienlich ist. Die Wahrheit ist den Menschen eben nicht mehr zumutbar, wie die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann noch meinte. Wir alle sind in individuellen Geschichten verstrickt, und es ist nicht einfach, sich dort herauszunehmen. Selbst wenn dies gelänge, wären wir doch nur mit unserer persönlichen Ohnmacht konfrontiert. Die Psychologie wird das Schicksal der Erde in Zukunft aber ebenso mitbestimmen, wie Wissenschaft und Politik. Als erstes gilt es daher, die Verleugnung der Ökokatastrophe zu überwinden, die sich in unseren Köpfen festgesetzt hat. Dies betrifft jeden einzelnen von uns. Besonders jedoch jene politischen und unternehmerischen Führungskräfte, die mit ihrer Macht die globale Tagesordnung bestimmen und die ein Interesse an der Erhaltung des Status Quo haben.
Der eigentliche Irrtum besteht darin, dass wir die Anhäufung von Daten mit Wissen verwechseln. Je mehr wir aber in Erfahrung bringen, desto weniger sind die Ergebnisse wert. Unsere Datenbanken blähen sich ins Ungeheuerliche. Alle fünf Jahre verdoppelt sich das Weltwissen. Dieses Trommelfeuer an Informationen macht unsere Köpfe und Herzen taub. Die Informationsflut führt also nicht zu mehr Aufklärung, sondern zu mehr Zynismus und Gleichgültigkeit.
Inzwischen sind unsere Demokratien zu Organismen verkommen, die allein durch wirtschaftliches Wachstum überleben. Bleibt dieses aus, macht sich sofort ein rechtes Protestpotential bemerkbar, das direkt in den verschleierten Faschismus führt. Die demokratisch-ökologische Wende wird unter diesen Umständen auf sich warten lassen. Also lassen Sie uns über den Begriff Diktatur reden. Die Ökodiktatur wird nicht als Ideologie daherkommen, die genügend Ressentiments bedient, um eine Volksbewegung zu werden. Sie wird nicht durch eine Revolution über uns kommen, sondern scheibchenweise installiert werden. Ihre Machtergreifung wird durch die schlechter werdenden Bedingungen diktiert, unter der die herkömmlichen Volkswirtschaften zusammenzubrechen drohen. Je länger wir darauf verzichten, im Vorgriff umzusteuern, desto wahrscheinlicher und grausamer wird die Ökodiktatur. Sie wird wenig zu tun haben mit grünen Idealen, sie wird sich als Entseuchungskommando in einer ganz und gar kaputten Welt verstehen. Das ist nur logisch.
Mitte dieses Jahrhunderts werden die Industrieländer nicht einmal zwanzig Prozent der Weltbevölkerung stellen. Sie werden sich einer Flut von Umwelt- und Armutsflüchtlingen gegenübersehen, die man sich nur mit rigiden, heute kaum vorstellbaren Maßnahmen vom Halse halten kann. Eine solche Gesellschaft wird auch ohne Ökodiktatur kaum noch Demokratie und Menschenwürde bereithalten.
Die meisten Menschen glauben, dass es sich bei dem Thema Ökologie um eine Art Geheimwissenschaft für Erleuchtete handelt. Sobald der enge Rahmen der klassisch naturwissenschaftlichen Ökologie verlassen wird und Begriffe wie ganzheitlich, evolutiv oder gar spirituell ins Spiel kommen, wird die Sache den meisten suspekt. Sie sind unserem wissenschaftlich geschulten Geist fremd. Nachvollziehbar wird Ökologie nur, wenn sie in den konkreten Zusammenhang von Wirtschaft und Politik gestellt ist. Die ethischen Fragen bleiben bei dieser Betrachtungsweise außen vor. Es geht aber im Leben nicht nur um Sachwerte. Die Forderung, der natürlichen Mitwelt Respekt zu bezeugen, ihren Eigenwert anzuerkennen, ist das Kernstück einer Ethik, die zur Leitlinie gesellschaftlichen Handelns werden muss. Ansätze einer solchen Entwicklung sind vorhanden. Es gibt inzwischen viele Initiativen, die den Paradigmenwechsel für sich vollzogen haben. Allerdings glaube ich nicht, dass uns genügend Zeit bleibt, dieser Entwicklung in ihrem jetzigen Tempo zu vertrauen. Aber ich erwähne dies, um nicht als Berufspessimist zu gelten, der in seinem Eifer die positiven Ansätze in unserer Gesellschaft völlig negiert.
Was wir bräuchten, wäre eine Magna Charta der Ökologie. Eine solche Magna Charta unterschiede sich grundsätzlich von dem, was wir bisher unter Umweltschutz verstehen. Bisher reden wir ausschließlich von Beständen, wenn wir von der Natur sprechen. Wir machen in allem unsere Rechnung auf. Dieses Denken ist nicht dem Leben verpflichtet, sondern einer Haushaltsphilosophie. Wir glauben ja immer noch, dass die Lösung ökologischer Probleme in erster Linie ein Fall für die Wissenschaft ist. Ich sehe das genau umgekehrt: Die Wissenschaft ist das stärkste Hindernis für die Lösung dieser Probleme. Solange Wissenschaft und Ethik zwei getrennte Begriffe sind, wird sich an der Talfahrt des Lebens nichts ändern. Der Hochmut der Gentechnologie macht dies auf krasse Weise deutlich. Früher gab es in Asien über 300 verschiedene Reissorten, heute teilen sich einige Großkonzerne den Markt mit wenigen genmanipulierten Pflanzen. Die Folge ist, dass die erzwungenen Monokulturen ganze Kontinente veröden lassen.
Solange sich Wissenschaft und Ethik nicht in wechselseitiger Beziehung begreifen, werden wir keine Lösungen finden. Es geht darum, die Brille des alten Umweltschutzes, der eigentlich nur Menschenschutz bedeutet, abzunehmen und durch die Brille der ganzheitlichen Ökologie zu ersetzen. Sie erst lässt uns erkennen, dass die Umwelt nichts ist, was außerhalb von uns existiert, sondern dass wir Teil einer einzigen und einzigartigen Welt sind. Es ist schon ein erbärmliches Zeugnis, wenn man das den Menschen in Erinnerung bringen muss. Weit vor unserer angeblich so aufgeklärten Zeit haben ganze Kulturen in dem Bewusstsein gelebt, dass alles Seiende beseelt ist. Die Pueblo-Indianer hatten nicht einmal ein Wort für Religion. Das ganze Leben war Religion für sie. Sie glaubten, wer Tiere und Pflanzen nicht achtet, verliert auch die Achtung vor den Menschen. So ist es ja auch gekommen…
Wenn ich also in meiner grenzenlosen Naivität einer Ökodiktatur das Wort rede, so deshalb, weil ich den Traum nicht aufgeben möchte, dass wir eines Tages zurückfinden werden zu einem Verständnis, das nicht nur uns selbst, sondern auch unserer Mitwelt nützt. Sein oder Nichtsein ist zur aktuellen Alternative der Menschheit geworden. Gelingt es und nicht, innerhalb kürzester Zeit zur Besinnung zu kommen und radikal umzusteuern, ob freiwillig oder mit Gewalt, werden wir überhaupt keine Chance mehr haben, die Folgen unseres kurzfristigen Konsumrausches zu überleben. Die eigentliche Frage lautet daher: Kollektiver Selbstmord oder geistige Erneuerung.
Es wird wohl auf den kollektiven Selbstmord hinauslaufen. Also vergessen wir das Gerede von einer Ökodiktatur. Eine Spezies, die sich derart in Gefahr gebracht hat, muss schon von selbst darauf kommen, dass sie die notwendige Operation auch wollen muss, wenn sie am Leben hängt.“