„Der Tod ist das einzige verbleibende Abenteuer, das mich noch reizt.“ Armins Augen glühten wie im Fieber. Ich war fassungslos.
„Das ist doch verrückt. Es gibt doch so viele schöne Dinge auf dieser Welt, so vieles, das zu erleben sich lohnt. Du stehst doch erst am Anfang deiner Träume!“
„Mag sein, doch dieser Traum hier geht zu Ende.“
Ich war entsetzt. Solch expliziten Todesgedanken war ich bei Armin noch nie begegnet. Was hatte das Sanatorium aus ihm gemacht? Ich musste ihn hier rausholen – so schnell wie möglich.
„Ich sehe Angst in deinem Gesicht. Aber du brauchst keine Angst zu haben, nur weil du den Weg nach der letzten Grenze nicht kennst.“
„Kennst du ihn denn? Weißt du, was dich dort drüben erwartet?“
„Nein, viele glauben es zwar zu wissen, doch die Wahrheit kennt niemand. Vermutlich würden wir sie gar nicht verstehen, auch wenn wir sie kennen würden.“
„Du gibst leichtfertig dein Leben auf, Armin. Wieso?“
„Du irrst dich, ich denke nicht an Suizid. Ich kann warten.“
„Warten auf den Tod? Du willst dich einfach hinsetzen und warten? Ist es das was du willst? Hier im Sanatorium ausharren bis an dein Lebensende?“
Schon bei meinen letzten Besuchen bei Armin hatte ich gemerkt, wie er sich verändert hatte. Er war nicht mehr der Armin, den ich kannte. Ob die Medikamente daran schuld waren, die sie ihm gaben?
„Geniesse das Leben, Armin. Jetzt und hier. Du weißt nicht was drüben ist, ja, du weißt nicht einmal, ob ein Drüben existiert.“
Er lächelte.
„Gott existiert wahrscheinlich nicht, geniesst das Leben. Die Parole der Atheisten. Welch verlogenes Gedankengebäude! Wenn uns drüben der ewige Schlaf erwartet, spielt es keine Rolle, was wir hier in diesem leben tun. Ob wir es geniessen, Kriege führen, Kunstwerke erschaffen, oder das leben gleich beenden – es ist egal. Es hat keine Konsequenzen.“
„Nein Armin“, wandte ich ein. „Es hat sehr wohl Konsequenzen. Nämlich für die, die nach uns kommen, für den Fortbestand der Menschheit.“
„Wenn uns das unendliche Nichts erwartet, spielt es keine Rolle, wie lange die Menschheit fortbesteht und unter welchen Bedingungen. Dann ist es nur ein Augenzwinkern in den Hallen der Ewigkeit – ohne Bedeutung und ohne Folgen.“
Was war bloss in ihn gefahren? Das war Fatalismus pur! Nur Medikamente konnten diesen Zustand bewirkt haben, da war ich mir sicher. Doch erhatte etwas Entscheidendes übersehen:
„Wenn du nicht weißt, was dich erwartet, so solltest du alles erwarten. Und du solltest dich auf alles vorbereiten. Wenn uns drüben der ewige Schlaf erwartet, so ist es tatsächlich egal. Doch gibt es noch unendlich viele andere Möglichkeiten. Von der Verschmelzung mit dem grossen Ganzen, über die ewige Seelenreise, bis zu Gott und Teufel. Und die müssen keineswegs die Eigenschaften besitzen, an die wir gerne glauben möchten.“
Armin grinste spitzbübisch, und ich begann zu ahnen, dass ich wieder einmal in seine Falle getappt war.
„Welche Fähigkeiten nützen dir denn drüben? Ein Handwerk, eine Karriere als Banker, Polizist oder Gangster? Wenn es, wie du sagst, unendlich viele Möglichkeiten gibt, so können wir uns gar nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten.“
„Nein, Armin, das können wir nicht. Aber wir sollten versuchen, so viel von dem mitzunehmen, was uns zu Menschen macht.“
„Machtstreben und Gier?“
„Nein, Liebe und Güte und die Fähigkeit zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Ich denken, dass uns diese Fähigkeiten auf der anderen Seite nützen werden, gleich wie das Drüben auch aussehen wird.“
Es ist Ferienzeit. Schickt eure Träume auf Reisen. Euer Traumperlentaucher