Die Vier Edlen Wahrheiten

Buddha_DharmaChakra1In seiner ersten Lehrrede legte Buddha Shakyamuni dar, dass alles Bedingte letztendlich leidvoll (qualvoll) ist und dass die Ursachen dieser beständig vorhandenen Unsicherheit und Qual aus drei Faktoren des Geistes, nämlich Verblendung, Gier und Hass, herrühren. Weiters eröffnete er, dass dieses Leiden beendet werden kann, wenn die Ursachen erlöschen. Und schließlich zeigte er auf, dass ein achtfacher Pfad zum Erlöschen dieser Ursachen führt.
Die ersten beiden Wahrheiten beziehen sich auf die bedingte Existenz, wodurch die Ursachen und die dadurch bedingte Wirkung beschrieben werden. Die letzten beiden Wahrheiten beschreiben die Befreiung aus der bedingten Existenz und die dafür notwendige Ursache – den achtfachen Pfad. Für das grundlegende Verständnis der Vier Edlen Wahrheiten ist wichtig, dass „Leiden“ nicht als etwas Vorübergehendes, Zeitweiliges verstanden wird, sondern im Grunde ein Zustand ist, der die Bedingungen des Lebens beständig begleitet. Dies ist ein Zustand, der von mangelndem Gewahrsein geprägt ist. Erst durch die Einsicht in die wahre Bestehensweise der Phänomene und dem Erkennen der wahren Natur gelangt man zur Beendigung des Leidens.

Das Leiden des Bedingten

In seiner ersten Lehrrede sprach Buddha Shakyamuni von drei Arten des Leidens: 1) dem Leiden der Wesen in den drei Daseinsbereichen, 2) vom Leiden der Veränderung und 3) vom subtilen Leiden des Zusammengesetzten.
In den drei Daseinsbereichen – dem Begierdebereich, dem Formbereich und dem Bereich des Formlosen – erleben die Wesen endlos verschiedene Leiden. Uns allen bekannte Leiden sind körperliche Schmerzen, die aus Krankheiten oder Verletzungen herrühren können oder auch einfach geistig-emotionale Qualen, aufgrund nicht zufriedenstellender Lebensumstände. Menschen erleben acht verschiedene Arten von Leiden. Geburt, Alter, Krankheit, Tod sind ersichtliche Leiden, aber auch andere Formen wie Kummer, Lamentieren, Schmerz und Verzweiflung werden im Pali-Kanon erwähnt.
Neben diesem offensichtlichen Leiden leidet man auch an der Veränderung. Nichts ist beständig, dauerhaft, auch der glücklichste Moment vergeht. Egal wie lange etwas andauern mag, letztendlich verändert es sich doch.
Die dritte Art des Leidens wird ohne Erforschung und Erkenntnis nicht mehr wahrgenommen, ereignet sich aber dennoch. Diese Art des Leidens wird deshalb als das subtile Leiden bezeichnet und ist das Leiden des Zusammengesetzten. Da in der bedingten Existenz alles miteinander wechselseitig verbunden und somit voneinander abhängig ist, leiden wir immer wieder daran, weil ein ständiger Vorgang von Abstimmung und/oder Anpassung notwendig ist.
Wenn im Dharma vom „Leiden“ (dukkha) die Rede ist, dann muss man dies umfassender betrachten. Dukkha beschreibt einen Zustand, der unbefriedigend, unvollkommen und ungenügend ist. Aber nicht das Dasein an sich ist fehlerhaft, sondern die eigenen geistigen Vorstellungen und begrifflichen Projektionen – die fehlerhafte Haltung des Menschen zum Dasein – ist Leiden (dukkha).
Alle Wesen streben nach einem größtmöglichen Maß an beständigem Glück, aber dennoch erfahren alle immer wieder Schwierigkeiten und Probleme. Statt eine Vermeidungshaltung einzunehmen und den Deformationen auf körperlicher, emotionaler und geistiger Ebene zu unterliegen, lehrte Buddha Shakyamuni natürlich auch den Pfad der Befreiung und machte durch die erste Edle Wahrheit auf diese Tatsache des Leidens aufmerksam. Der Nutzen dieser ersten Edlen Wahrheit liegt vorallem in der Erkenntnis, dass nirgendwo in der bedingten Existenz letztendlich, dauerhaftes Glück zu erlangen ist und alle weltlichen Bestrebungen aufgrund ihrer Bedingungen daher zum Scheitern verurteilt sind.

Leidensursache(n)

Nachdem man sich die Schwierigkeiten des Lebens einmal bewusst gemacht hat, beginnt die Frage nach der Ursache dieser leidbringenden Gefühle und Gedanken. In der zweiten Edlen Wahrheit lehrte der Buddha die Ursachen des Leidens.
Wenn wir etwas als angenehm erleben, dann greifen wir danach und versuchen dieses Erleben festzuhalten. Wir haften begehrlich daran an und versuchen dieses angenehme Erleben möglichst häufig zu reproduzieren. Erleben wir aber etwas als unangenehm, dann gehen wir in den Widerstand dazu und dabei entstehen Gefühle wie Zorn, Ungeduld, Langeweile etc. Diese Emotionen wiederum beeinflussen unser Verhalten und in Folge auch unsere Handlungen.
Wir erkennen nicht, dass die eigenen Handlungen immer wieder qualvolle Situationen schaffen und Leid nach sich ziehen. Und so können wir auch nicht unterscheiden, was wir aufgeben und was wir beibehalten sollen. Dieses Nicht-Wissen – Unwissenheit – ist der Grund, dass wir ständig von den anderen Gefühlen wie Wunschverlangen, Widerwillen, Missgunst, Arroganz etc. hin und her geschüttelt werden und uns von ihnen bestimmen lassen. Die Leidensursachen sind also unsere falsche Sicht von uns selbst und die damit verbundenen leidbringenden Gefühle.

Verlöschen

Obwohl sich ausnahmslos alle Wesen nach beständigem Glück sehnen, gelingt dies nicht wirklich erfolgreich. Durch die dritte Edle Wahrheit zeigt der Buddha auf, dass es tatsächlich möglich ist, diesen gegenwärtigen unbefriedigenden Zustand zu beenden und wahres Glück zu realisieren.
Damit dieses geschehen kann, ist es notwendig, dass die Ursache des Leids verlöscht. Allerdings geschieht dies nicht durch das Vermeiden von misslichen Bedingungen und Situationen, sondern nur durch das Verändern unserer grundlegenden Geisteshaltung und Gefühle. Indem wir mit unserem Geist arbeiten, sind wir in der Lage, die leidbringenden Gefühle in positive umzuwandeln. Wenn wir das erreicht haben, dann sind die Ursachen des Leids entfernt und dies ist die Wahrheit der Beendigung.

Der Pfad zum Beenden

In der vierten Edlen Wahrheit lehrt der Buddha den Pfad zum Beenden des Leids. So wie ein Bauer für die rechte Ernte den Acker bestellen, den richtigen Samen einpflanzen und für weitere rechte Bedingungen sorgen muss, gestaltet sich auch die Vorgehensweise auf dem Pfad zur Buddhaschaft.
Der Pfad, den der Buddha zum Beenden des Leidens lehrt, beinhaltet ein sehr großes Methodenset gemäß der unterschiedlichen Veranlagungen und Neigungen der Wesen. Zunächst einmal beginnt der Pfad mit einer Sammlung und Beobachtung des Geistes. Davon ausgehend werden eben die verschiedenen Gefühle und geistigen Phänomene beobachtet, bis hin zur Untersuchung aller Phänomene überhaupt. Der achtfache Pfad beschreibt ganz klar, wie dies geschieht und weiters auch, wie die gewonnenen Erkenntnisse im täglichen Leben zur Anwendung gelangen. Da ich diesen an anderer Stelle auf rangdrol’s blog schon einmal ausgeführt habe, verweise ich nur mehr auf den betreffenden Beitrag „Der achtfache Pfad des Buddha-Dharma“.
So kann man nach einer Beobachtung der Gefühle vielleicht erkennen, dass der eigene Geist von aggressiven Tendenzen eingefärbt ist. Durch die Anwendung des Gegenmittels von Liebe und Mitgefühl können diese aggressiven Gewohnheiten zunächst gemildert und schließlich überhaupt aufgegeben werden. Wenn Wunschverlangen und Begehrlichkeit den Geist durchdringen, dann kann man das Gegenmittel der Großzügigkeit anwenden. Sind Neid und Eifersucht im Geist vorhanden, dann ist Mitfreude bzw. das Erfreuen am Heilsamen der anderen das entscheidende Gegenmittel.
Das Arbeiten mit Gegenmitteln bedeutet aber nicht, dass man zu einem frommen Lämmchen wird, das jeder Wunschäußerung von anderen willenlos und unterwürfig nachkommt. Wie schon Shantideva in Vers 15 des Bodhicaryavatara – der Lebensführung im Geiste der Erleuchtung – dargelegt hat, „können sie alles mit ihm tun, außer, es schadet ihnen.“ Nicht die Dinge an sich sind aufzugeben, sondern das begehrliche Anhaften daran soll aufgegeben werden. Daher ist es auch nicht notwendig, irgendeinen asketischen Lebesstil zu pflegen und in Sack und Asche zu leben oder sich gar den Verantwortungen des Lebens zu entziehen.

Die erste Drehung des Dharma-Rades – also das Darlegen der Vier Edlen Wahrheiten – wurde von Buddha Shakyamuni besonders für jene gelehrt, deren Streben auf die eigene Befreiung gerichtet ist. Dieser Lehrzyklus richtet sich vornehmlich an Menschen, die mit der Sicht der Leerheit nicht viel anfangen können und meist ein Unbehagen bei diesem Thema verspüren. Auch ist dieser Zyklus für jene gedacht, die nicht die Motivation und das Selbstvertrauen besitzen, große Taten für viele Lebenwesen zu vollbringen.


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