Die Verrückten sind dem Himmel am nächsten

Die Verrückten sind dem Himmel am nächsten

„Hast du dir für das neue Jahr auch etwas vorgenommen?“, fragte ich Armin bei meinem Neujahrsbesuch im Sanatorium. Er sah blass aus und hatte offensichtlich abgenommen. Ging es ihm nicht gut?

„Nein, wieso sollte ich? Ich bin zufrieden.“ Er lächelte sanft.

„Du könntest dir vornehmen, nach Hause zurückzukehren.“

„Das möchte ich nicht. Mir geht es hier gut. Ich habe alles was ich brauche.“

Hatten sie ihn mit Medikamenten voll gepumpt? War er krank? Etwas stimmte mit Armin nicht.

„Das kann doch nicht alles sein“, begehrte ich auf. „Friede, Freude, Eierkuchen, so kenne ich dich gar nicht. Gibt es denn nichts, jenseits der Zufriedenheit, das du anstrebst?“

„Doch, mein Freund, es gibt noch etwas anderes, aber genau das finde ich hier an diesem Ort.“

„Im Sanatorium? Das kann doch nicht dein Ernst sein! Du lebst in einer kleinen Zelle mit einem vergitterten Fenster und bist deiner Freiheit beraubt. Das ist doch wie im Gefängnis.“ Ich wusste, ich hätte das nicht sagen dürfen. Es war übertrieben. Doch mir gingen die Pferde durch. Aber Armin war unbeeindruckt. Er wirkte zufrieden wie ein Marienkäfer.

„Mir scheint, du stehst unter Stress“, sagte er. „Möchtest du nicht für eine Weile hierher ziehen?“

„Nein danke, mir reicht‘s, wenn ich dich besuchen komme. Aber was ist denn so besonders an diesem Haus?“

„Ich bin nirgends so nahe an meiner Welt wie hier.“

„Ist denn deine Welt nicht draußen, daheim in deiner Werkstatt?“

„Ich habe meine Werkstatt hier.“ Er machte eine umfassende Bewegung mit dem Arm. „Und ich bin hier zu Hause.“

Ich realisierte in diesem Augenblick, wie sehr er sich verändert hatte.

„Du bist nicht mehr der Armin, den ich einmal gekannt habe.“

„Ja, ich weiß, und das ist gut so. Wer sich nicht verändert, wer immer gleich bleibt, kann auch keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Nur die Veränderung bringt uns weiter. Wir sind hier in diesem Leben um uns weiter zu entwickeln. Das ist mit guten Neujahrsvorsätzen nicht getan. Oder indem wir gescheite Bücher lesen oder eine neue Sprache lernen. Wir selbst müssen uns transformieren. Jedes Jahr müssen wir uns von neuem häuten, müssen unser altes geistiges Kleid abstoßen um einem neuen Platz zu machen. Wenn wir das nicht tun, erfüllen wir unsere Aufgabe nicht. Die Seele verkümmert und wir werden nicht aufsteigen.“

Ich war wie elektrisiert. Darum ging es Armin also. Jetzt erst erkannte ich das ganze Ausmaß seiner Veränderung…oder Transformation, in seinen Worten.

„Doch wieso ausgerechnet hier? Wieso in diesem Sanatorium?“

Armin lächelte. „Es sind die Verrückten, die dem Himmel am nächsten sind.“

Mag sein, dass er Recht hat. Doch was ist mit den Unverrückten? Euer Traumperlentaucher



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