Gastkommetar:
Ich fang gleich an, ohne lange Vorbemerkungen.
Jeder, der die aktuelle Medienlandschaft in Deutschland kritisch beobachtet, weiß, wie hier manipuliert wird, Meinungsbilder verzerrt oder durch gezielte Zensur von zum Beispiel Forumsbeiträgen oder Kommentaren unter den ‘Artikeln’ den Werbekunden zumutbar gemacht werden.
Aber in dem Artikel http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/benedikt-herles-im-interview-ueber-sein-buch-die-kaputte-elite-a-926451.html wird etwas augenfällig, worüber ich bisher noch niemanden etwas schreiben gesehen habe.
Wir alle kennen das ja: im bilateralen Gespräch erscheint das Gegenüber verständig und ein Konsens über die Tatsache, daß unsere Gesellschaft durch und durch pervertiert ist, ist schnell erreicht. Sobald aber eine dritte Person dazukommt, sind alle wohlfeilen Worte vergessen und die eigenen Schäfchen, Pfründe und Bevorteilungen werden wieder offensiv verteidigt. Tja, warum ist das so? Liegt das wirklich nur daran, daß Menschen ‘halt so sind’? Ich neige dazu, daß zu glauben. Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob das tatsächlich alles ist.
Deshalb wird es Zeit, diesen scheinbar so vernünftigen und auf der Wellenlänge des als Links kategorisierten Systemkritikers liegenden Artikel mal als das zu entlarven, was er tatsächlich ist: Manipulation und AUSLESE!
[Ich rate dazu, den oben genannten Artikel zunächst vollumfänglich zu lesen. Solle der irgendwann verschwunden sein, ich habe den textlichen Inhalt separat gespeichert und kann ihn zur Verfügung stellen.]
Wenn man sich das Interview ansieht, erscheint es auf den ersten Blick massiv kritisch mit dem bestehenden Bildungs- und Wirtschaftssystem umzugehen. Die Schlagworte linker Empörung werden bedient und oberflächliche Leser werden sich danach zufrieden zurücklehnen und denken: ‘es tut sich ja doch was!’
Ist das wirklich so?
Betrachten wir zunächst mal die Wortwahl:
- Elite
- Turbokarriere
- private Wirtschaftsuni mit Namen und Ort
- Unternehmensberatung
- Allnighter
- sinnentleert
- Studentenleben
- “was haben sie verdient?” Eine Menge!”
- “andere feierten hart…”
- “…wollen das, was sie haben, nicht auf’s Spiel setzen”
- “Leistung ist in diesem System die einzige Religion.”
- “…Gesellschaft entstehen, in der ich nicht leben möchte.”
Welche Assoziationen weckt denn das? Nun, ganz einfach positive! Eine Elite ist früher und heute wieder mit positiven Assoziationen behaftet worden, aktiv über die Medien (Elite-Uni…) und passiv über den allen Menschen innewohnenden Schweinehund, der halt so gerne ‘was Besseres’ ist. Und hier offen und schamlos utilisiert wird.
Das Wort Karriere ist in den Köpfen verknüft mit Erfolg und Geld, Prestige und Glamour. Und Turbo? Mit Schnelligkeit und Kraft.
Die Nennung einer privaten Wirtschaftsuni mit Namen und Ort, was soll das bewirken? Nun, die Selbstvermarkter werden sich den Namen merken. Nicht wahr?
Unternehmensberatung… dieses Wort hat es immerhin vermocht, einen negativen Beigeschmack zu bekommen. Dennoch ist auch jedem klar, daß diese Klientel immer noch einen Haufen Geld verdient und damit ist das für die Selbstvermarkter weiterhin attraktiv. Und der Zusammenhang soll ja dargestellt werden. Auf diese Weise wird eine simple Auslese gefahren: wer niederträchtig und opportunistisch genug ist, sich von diesem System anziehen zu lassen, soll informiert und gelockt werden. Und jeder, der rausfällt, so wie unser Autor hier, macht es für die Anderen einfacher!
Allnighter? Es ist landläufig und selbst in kleinen Klitschen (aka ‘Unternehmen’) bekannt, daß nicht derjenige Karriere machen wird, der wirklich was leistet. Sondern derjenige, der den Eindruck erweckt. Niemand MIßT Leistung! Aber lange Anwesenheitszeiten gelten immer noch als Beweis des eigenen ‘Fleisses’. Was dieser Fleiss tatsächlich zu Stande bringt, wer weiß das? Wer soll es messen, hat denn tatsächlich irgendjemand den Über- und vor allem Durchblick, um eine Bewertung vornehmen zu können?
Sinnentleert: das ist ganz toll! Sinnsuche wird von der anzusprechenden Klientel seit jeher belächelt. Jeder will das irgendwie, genau wie man ja eigentlich mehr Gerechtigkeit will und Umweltschutz und überhaupt und so. Aber selber machen? Nö! Da könnte mir ja ein Schäfchen aus dem Trockenen entkommen! Die Gegenüberstellung von Karriere und Sinn ist perfide. Die Feststellung der Sinnentleerung eines Jobs impliziert für den zu lockenden Selbstvermarkter nur eines: lass die anderen sinnlos einem Sinn hinterhersuchen, den gibt’s eh nicht! Sei du cleverer, kümmer du dich um deine ‘Karriere’! *zwinker, zwinker* Es sei hierzu an das unvergessene Interview mit Herrn Reizle erinnert, der auf seine Bilderbuch-Karriere angesprochen nonchalant vermeldete, er sei ‘damals’ (1968ger) eben lieber zur Uni gegangen als zu demonstrieren. Das System hat ihn für seine Unterwerfung entlohnt.
Studentenleben: grade bei Konservativen gilt der Student als faul. Deswegen Turbogymnasium, Turbo-Uni, Turbo-Karriere. Soviel eigene Lebenszeit in den Rachen des Systems werfen wie möglich, bloß nicht an sich selbst denken und wenn es nur zum Vergnügen ist! Die Tatsache, daß kein Studentenleben existierte an der Privatuni, daß Studenten von Büro zu Vorlesung und zurück hechteten, wird vordergründig zwar angeprangert. Im Hintergrund aber wird gezeigt: schau dir an, was DIE machen und schau dir den ‘Versager’ an, der das NICHT mehr machen will (den Autor des Buches nämlich)!
Dies setzt sich dann auch noch fort in dem als Vorwurf formulierten Lockruf: ‘andere feierten hart’! Tja, was assoziiert man damit unter den Selbstvermarktern? Als erstes Mal: das muß man sich auch erstmal leisten können! Und was will man eigentlich mehr? Einen Haufen Kohle für die eigene Show (leichter geht es doch nicht), und dann Musik, Alkohol und Nutten!?
Unterstützt wird das im Weiteren durch das folgende Frage-Antwortspiel, perfide durchchoreographiert und gespickt mit den Schlüsselbegriffen, die bei den Selbstvermarktern die richtigen Reaktionen antriggern sollen:
“Was haben Sie verdient?”
“Eine Menge!”
Na, wenn das nicht lockt? Ich möchte nicht wissen, wieviele aufgrund einer solchen Aussage nur denken: “was hat der dann zu meckern?” Wobei ich soweit gehe, hierbei zu unterstellen, daß die HartzIV-Angst, also die Angst, abzustürzen und vollends zum ‘Arbeit macht frei’-Sklaven der Agentur zu werden, ein größerer Motivator ist, als es das Geld selbst tatsächlich wäre. Aber es geht hier um die Wahl, vor die man uns alle stellt. Das ganze System ist mafiös, in seiner Weise, Angebote zu machen, die man nicht ablehnen kann.
Das bestätigt sich später auch in der Aussage: “…wollen das, was sie haben, nicht auf’s Spiel setzen”
Suggestiv wird Herrle dann auch noch dazu verleitet, sich selbst auf’s Abstellgleis zu manövrieren, indem er sagt, daß hier eine Gesellschaft im Entstehen begriffen ist, in der ER nicht leben möchte. Tja, ER als Systemkritiker und damit ‘Versager’ nicht, er ist den Auslesekriterien eben nicht gewachsen gewesen, nicht wahr?
Der abschliessende Punkt und damit eigentliche Auslöser für diesen Schrieb ist aber der Satz: “Leistung ist in diesem System die einzige Religion.” Hier wird es dann offensichtlich. Herrle wird als Nicht-Leister, Minder-Leister, als nicht leistungsfähig und -willig impliziert. Dem gegenüber wird gleichzeitig festge- und unterstellt, daß diese Turbokarrieristen tatsächlich etwas leisten! Herrle spricht zwar davon, daß nur Power-Point-Präsentationen ausbaldowert würden, sagt aber gleichzeitig, daß diese “astrein” aussehen müßten. Trotz der ganzen Vorwürfe von ‘Bluffs’ und Sinnlosigkeit, ‘menschlichem Taschenrechner’ und ‘Hände in Unschuld waschen’, die Herrle macht und die sicherlich auch stichhaltig sind, wird die ganze Zeit implizit der Eindruck erweckt, daß man da eben doch ganz oben mitspiele, wenn man diesen Job macht. Und daß das, was hier fabriziert wird, auf Kosten der Allgemeinheit, OHNE jegliche Verantwortung für grade eben diejenigen, die doch aufgrund ihrer angeblich so hohen Verantwortung so teuer bezahlt werden, scheinbar doch eine Leistung darstellt, und zwar eine signifikante! Worin diese Leistung tatsächlich besteht wird garnicht thematisiert. Es wird einfach behauptet, daß nur ‘Leistung’ zählen würde, und wer kann denn dagegen etwas haben? Niemand, nichtmal der weltfremdeste Utopist! Der Schein einer Meritokratie. Die große, dem System zu Grunde liegende, Lüge. Das ist der Trick. Das ist die Manipulation.
Worin besteht denn diese hier bezeichnete Leistung, die so teuer (und natürlich leistungsgerecht, nicht wahr?) bezahlt wird?
Wer das für Paranoia hält, möge sich noch folgendes vor Augen halten. Im Artikel selbst ist Werbung geschaltet. Diese ist wenig verfänglich bzw. doch eher unauffällig. Wer sich aber die Mühe macht und den Text mal in ein Textfile kopiert, wird dann über sehr interessante Formulierungen aus dem Hintergrund der Werbung stolpern wie:
“Training für Unternehmensberater: So zähmt man die Generation Y” (Generation Y sind gut ausgebildete Könner, die sich aber nicht in die 24/7-Sklaverei verkaufen sondern auch ein Leben mit z.B. Familie geniessen wollen)
oder
“Windjammer, Istanbul, Bier-App: So buhlen Berater um die Besten”
“Betriebswirte: Zur Karriere bitte hier entlang”
Die Ironie und die UNverschämtheit, die sich hier zeigt, läßt sich kaum noch in Worte fassen. Es wird eines deutlich: das Buch MUß behandelt werden, da es evtl. sonst viral wird. Aber man macht es so gut wie möglich lächerlich, indem man den Lesern suggeriert, hier sei mal wieder ein trotziger Versager, der nicht mehr mitspielen wolle, sie aber (die zu selektierenden Selbstvermarkter) wüßten es doch besser, oder? *zwinker zwinker*
Und nun?
Die vernünftige Minderheit sollte nicht mehr darüber nachdenken, in welcher Welt sie leben möchte. Sondern ob sie die Welt, diese einzige, einzigartige Welt weiterhin mit einer nicht zur Vernunft zu bringenden Mehrheit teilen will.
ænti